Bei ihrem Amtsantritt als künstlerische Leiterin der Kaserne Basel blies der deutschen Dramaturgin ein rauer Wind entgegen. Der hat sich seither gelegt.
Es hat eine besondere Qualität, wenn man sich in einer Stadt wie Basel im Kulturleben immer wieder begegnet und nicht ins Nähe vortäuschende «Du» verfällt. Carena Schlewitt weiss diese Distanz und Contenance zu wahren, ohne kühl und distanziert zu wirken. Vielmehr scheint sie vorsichtig. Bedächtig.
Wie bemerkenswert bedächtig sie ist, ahnte man noch nicht, als Schlewitt vor sechs Jahren nach Basel kam. Die künstlerische Leiterin (ihre offizielle Amtsbezeichnung), die Dramaturgin (ihr vorgängiger Beruf), die Theaterwissenschaftlerin (ihre Ausbildung), die zweifache Mutter (ihre Familie) vermittelte zunächst den Eindruck, im Stil einer eisernen Lady zu agieren.
Diese wenig charmante Anspielung auf die britische Hardlinerin Margaret Thatcher kursierte für kurze Zeit in der alternativen Szene Basels – nachdem sich Schlewitt 2008 in ersten Gesprächen mit ihrem Team vertraut gemacht und die beiden Musikchefs rausgeschmissen hatte. Ausgerechnet in jener Sparte, in der noch ein treues Publikum, eine grosse Lobby auszumachen war, sprach Carena Schlewitt kurz nach ihrer Ankunft in Basel Kündigungen aus.
Nachbarschaftliche Kontakte
Das sorgte für Unmut, für grosse Irritationen auch. «Ich weiss, dass mir damals vorgehalten wurde, dass ich die Musik aus der Kaserne verdrängen wollte», sagt sie heute. «Aber das wäre mir nie in den Sinn gekommen.»
Sie holte mit Laurence Desarzens eine Bookerin aus der Romandie nach Basel, die allerdings schon bald weiterzog, nach Frankreich, zu Red Bull. Schlewitt hatte die Kontinutität des Dreispartenhauses in einer schwierigen und sehr kritisch beäugten Phase aufs Spiel gesetzt. Sie brachte aber auch dringend benötigten frischen Wind.
Als sie von Berlin nach Basel zog, suchte sie zunächst den Kontakt zur Bevölkerung. Zu den umliegenden Mietern. «Nachbarn» hiess die Inszenierung, mit der sie Arealnutzer zusammenführte, sie miteinander vertraut machte und selber ein Gefühl erhielt für die Atmosphäre, die die Kaserne umgab.
«Ich vertraue darauf, dass dieses Areal die Mischung beibehält», sagt sie heute. Auf keinen Fall möchte sie, dass sich diese vielgestaltige Nutzung eindimensional verändert.
Mit ihr, das machte Schlewitt von Beginn weg deutlich, würde eine neue Ära eingeläutet.
Dabei hat die Kaserne eine Vormachtstellung. Vieles deutet darauf hin, dass der Kulturbetrieb seine starke Position behaupten, ja, ausbauen kann. Im Hauptbau sind Proberäume angedacht – seit vielen Jahren werden diese nicht nur im Musik-, sondern auch im Theaterbereich gefordert.
Schlewitt nähme eine solche Lösung mit Handkuss. Denn durch ihre Leistung, durch ihre Aufbauarbeit ist die einst verkümmerte Basler Theaterszene wieder am Aufblühen. 270 Veranstaltungen pro Jahr, rechnet sie vor, finden in der Kaserne statt, da bleibt derzeit kaum Platz zum Proben.
Die Mischung mache das Areal aus, wiederholt Schlewitt. Da gehöre auch eine Moschee dazu, sagt sie. Dass die Kaserne schwieg, als die Stadt der ältesten Moschee der Schweiz die Kündigung aussprach, kann man als unpolitische und/oder eigennützige Geste interpretieren. Aber auch den Büros der Kaserne wurde gekündigt, da der obere Dachstock nach den Umbauarbeiten weder Veranstaltungsort noch Büroraum sein darf. Das hat vor allem mit Notausgangsrichtlinien und Sicherheitsmassnahmen zu tun. Für beide Raumsituationen muss eine Lösung gefunden werden.
Platz ist gefragt, den die Kaserne längst brauchen kann. Dicht gedrängt sitzen die Mitarbeiter um Carena Schlewitt an einem langen Tisch, reiht sich die Chefin ins Team ein. Und baut mit, an der Sehnsucht, an den Träumen, den Ideen, die mit dem Theater in der heutigen Zeit möglich sind. Mit ihr, das machte Schlewitt von Beginn weg deutlich, würde eine neue Ära eingeläutet. Nachdem ihr Vorgänger Urs Schaub eher wie ein Beamter auf uns wirkte, der Programme runterbetete, liess es Schlewitt krachen – im Theater und im Tanzbereich.
Phönix aus der Asche
Wie lange will sie bleiben? 20 Jahre? Das wäre zu viel, sagt sie. Wie auch andere künstlerische Leiter baut man sich seine Arbeits- und Programmstruktur auf und irgendwann kommt die Zeit zu gehen.
Sie sagt das mit Blick auf Birsfelden, wo das Theater Roxy, das kleinere Pendant zur Kaserne, sitzt. Roxy-Gründer Christoph Meury unterstützte Schlewitt in den schwierigen Anfangsmonaten. Sah zu, wie dieser Phönix aus der Asche aufstieg, nachdem ihn Schlewitt aufgepäppelt hatte. Mit viel Geduld. Mit viel Einsatz. Mit viel Geschick.
Auf der Klaviatur der Diplomatie hat sie schon vor ihrer Ankunft in Basel zu spielen gelernt. Schlewitt wuchs in der Deutschen Demokratischen Republik auf, der DDR. Sie lernte dort schon früh, mit begrenzten Mitteln das Maximum herauszuholen.
Kasernen-Geschäftsführer Thomas Keller, der Schlewitt seit ihrem ersten Tag eng zur Seite steht, zieht sie gerne auf, indem er daran erinnert, dass «wir mit der neuen Saison jetzt ins verflixte siebte Jahr kommen». Doch eine weitere Krise scheint sich nicht abzuzeichnen. Das Dreispartenhaus im Kleinbasel wirkt solide finanziert, solide ausgelastet. Vorbei die Zeiten, als viele Stimmen (auch Politiker) forderten, die Kaserne sterben zu lassen, um etwas Neues zu schaffen. Die Kaserne, sie hat gerade auch dank dem Engagement von Carena Schlewitt noch einmal die Kurve gekriegt.
Was man auch weit über die Landesgrenzen hinaus wahrgenommen hat: «Ihr kommt aus Basel? Da ist doch die Kaserne – gutes Programm, gutes Programm!» Das warf uns vor einem Jahr eine Berlinerin an den Kopf, einfach so, spätnachts an einer Hausparty. Das will was heissen, wenn man in Indiekreisen über Theater zu sprechen beginnt. Das ist Theater, das auffällt.
«Es gab andere Angebote», sagt Schlewitt denn auch auf Nachfrage. Für die Nachfolge von Georges Delnon habe sie sich aber nicht beworben. Die Sachzwänge eines Stadttheaters sind ganz andere als in der freien Szene. «Für mich bleibt die freie internationale Szene der Performing Arts interessant und eine Herausforderung.»
«Ein Sabbatical, das könnte ich mir schon vorstellen», sagt Schlewitt. «Viel Lesen. Viel Nachdenken. Ruhe haben.»
Was aber kommt dereinst, in einigen Jahren, wenn sie die Leitung der Kaserne abgibt? Eine Pause? «Jaaaaa, ein Sabbatical … Das könnte ich mir schon vorstellen», sagt Schlewitt. «Viel Lesen. Viel Nachdenken. Ruhe haben, um neue Projekte vorzubereiten. Wir merken: Die Idee eines Sabbaticals ist ihr nicht ganz fremd. Zumal ihr jüngerer Sohn schon 17 Jahre alt ist, also bald erwachsen. Sobald er ausgezogen ist, könnten sich ihr und ihrem Mann (Dirk Baecker, Soziologe, der an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen lehrt) neue Freiheiten eröffnen.
«Allerdings wäre es schon ein ziemlich mutiger Schritt», sagt sie zum Thema Sabbatical. «Denn wer ein Jahr pausiert, der läuft Gefahr, dass er danach nicht mehr so leicht einsteigen kann.»
Offene Wünsche
Schaut man, welche unbeliebten Entscheidungen Schlewitt schon getroffen hat, welche Unsicherheiten sie überstehen musste, dann glaubt man nicht, dass sie heute oder morgen kündigen wird. Sondern erst mal die Früchte ihrer Aufbauarbeit erntet. Und es gibt ja weiterhin einiges zu tun: Vor der Kasernen-Saison steht das Basler Theaterfestival an, mit reichhaltigem Programm.
Zudem haben sich noch nicht ganz alle Wünsche und Hoffnungen im Tanz erfüllt. «Es geht darum, mehrere Tanzsprachen in der Stadt zu haben und die Basler Tanzszene weiter zu entwickeln», sagt sie, mit Blick auf das Ziel. «Zusammen mit dem Roxy arbeiten wir daran.»
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Theaterfestival Basel. 27.8. bis 7.9.2014
Artikelgeschichte
Dieser Text ersetzt eine fehlerhafte, unautorisierte Version, die in der gedruckten Ausgabe vom 22. August 2014 erschienen ist. Wir bitten Sie, den Fehler zu entschuldigen.