Der neue Literaturclub: Drei Zahme, ein Bissiger

Der erste Literaturclub in neuer Besetzung wurde ausgestrahlt, mit Nicola Steiner als Moderatorin und Nachfolgerin von Stefan Zweifel. Zunächst war vor allem der Druck zu spüren, der auf der Runde lastete, doch sie kriegte zunehmend die Kurve.

Die neue Literaturclub-Runde: Moderatorin Nicola Steiner (2.v.l.) mit der Kritikerrunde Julian Schütt (l.), Christine Lötscher (2.v.r.) und Philipp Tingler (r.). Copyright: NO SALES NO ARCHIVES Die Veröffentlichung im Zusamm (Bild: SRF/Gian Vaitl)

Der erste Literaturclub in neuer Besetzung wurde ausgestrahlt, mit Nicola Steiner als Moderatorin und Nachfolgerin von Stefan Zweifel. Zunächst war vor allem der Druck zu spüren, der auf der Runde lastete, doch sie kriegte zunehmend die Kurve.

 

Geladen war die Stimmung, als am Dienstagabend der erste Literaturclub in neuer Besetzung auf Sendung ging. Nicola Steiner hat die Nachfolge von Stefan Zweifel anzutreten, der sich im Sommer mit der Kritikerin Elke Heidenreich vor laufender Kamera überworfen hat, was SRF zum Anlass nahm, ihn von seiner Aufgabe freizustellen. Der Zeitpunkt seiner Kündigung war eine Farce, hatte Zweifel doch zu Recht darauf beharrt, dass Heidenreichs pikantes Heidegger-Zitat falsch sei, während diese auch später nicht die Grösse besass, ihren Fehler einzugestehen. Doch SRF behauptete, zwischen der Entlassung und dem Streit mit Heidenreich bestehe kein Zusammenhang. Auslöser sei ursprünglich Zweifels Doppelrolle als Kritiker und Moderator gewesen, die von beiden Seiten als schwierig empfunden wurde.

Umso mehr ist Nicola Steiner die Erwartung anzusehen, die sie sich entgegengebracht fühlt. Neu ist ihr die Materie freilich nicht, sie produzierte unter anderem die Radiosendung «52 beste Bücher» und war seit 2008 Mitglied der Redaktion des Literaturclubs. Doch nun beeilt sie sich, rasch die Gesprächspartner vorzustellen, die ab nun im Wechsel mit den bestehenden Mitgliedern Elke Heidenreich, Rüdiger Safranski und Hildegard Keller die Runde bilden werden, und gibt das Wort möglichst schnell an den Schriftsteller und Philosophen Philipp Tingler.

Rap im Club?

Der behält es gleich mal ewig und referiert den Inhalt des ersten Buches, das zur Diskussion steht, «Kastelau» von Charles Lewinsky (hätte das nicht Frau Steiner angestanden?). Frei herausgesprochen: Tingler dürfte manchem Zuschauer zunächst als Ekel erschienen sein. Als das inszeniert er sich von vornherein beziehungsweise als Störenfried des klassischen Literaturgesprächs.

Tingler trägt nicht die obligatorische Intellektuellenkluft aus knittrigem Hemd und Sakko, sondern Sneakers und dazu, unter einer Anstandsstrickjacke, ein T-Shirt mit dem amerikanischen Rapduo Outkast drauf. Explicit Content im Literaturclub? Outcast, ausgestossen, ist er auf jeden Fall nicht, sondern er bestimmt das Gespräch, macht es schnell, manchmal schneller als ein besonnenes Gespräch verträgt. Alle drei Gesprächspartner messen sich an ihm: Der weniger prägnant argumentierende Literaturkritiker Julian Schütt und die Literaturwissenschaftlerin Christine Lötscher, die sehr gute Gedanken äussert, jedoch weniger scharf formuliert.

Über Dave Eggers Utopie der digitalen Überwachung «Der Circle», die vor Kurzem die Feuilletons beherrschte und anschliessendes Thema der Runde ist, sagt Nicola Steiner: Es sei für sie das Buch der Stunde. Was denn das heissen solle, entgegnet Tingler, dann sei es ja eine Stunde später nicht mehr aktuell. Sie erkenne sich aber im kompletten Online-Leben der Heldin wieder, sagt Steiner, es sei schlimm. Tingler: Aber das habe sie doch schon vorher gewusst! Steiner: Bei Eggers fühle sie es.

Christine Lötschers Stärke

Hier greift wiederum Christine Lötscher ein: Eggers habe für sie ein interessantes Pamphlet geschrieben, seine Figuren seien hingegen unglaubwürdig. Es gebe nichts zu fühlen. An verschiedenen Stellen lässt Lötscher ihre Stärke ins Gespräch einfliessen: Sie kann die Diskussion über Texte von ihrer scheinbaren Objektivität runterholen und auf eine Weise, die über ihre Person hinausreicht, dahinlenken, was der Text mit dem Leser macht.

Ihre Unsicherheiten sind indessen eher charmant als störend.

Das Gespräch kam zu Beginn als eher bemühte und gestresste Kür daher, weil alle das Gefühl hatten, sie müssten einen funktionierenden Diskurs liefern, der ausserdem noch die Unmachbarkeit in sich schliesst, in 70 Minuten über fünf Bücher sinnvoll sprechen zu sollen. Doch die Sendung wird zunehmend interessant und amüsant.

Zwar ist man nach einer Stunde Zuhören ziemlich fertig, und auch Nicola Steiner erhält sich ihre Aufregung. Eine intellektuelle Kapazität, die das Zentrum des Gesprächs bilden könnte, ist sie nicht. Ihre Unsicherheiten sind indessen eher charmant als störend. Zum Schluss der Sendung sagt sie einen kleinen Epilog auf: «Bis wir uns am 20. Oktober wiedersehen: Lesen Sie! Lesen Sie! Lesen Sie! Denn lesen ist» (Verhaspler) «zauberhaft!»

Dann wird neben Thomas Strässle Elke Heidenreich dabei sein, die, auch wenn sie sich zuletzt nicht von ihrer besten Seite gezeigt hat, immer für eine Pointe gut ist. Sie zusammen mit Philipp Tingler könnte zünden.

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Der nächste Literaturclub wird am 20. Oktober auf SRF 1 ausgestrahlt.

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