Sie wurde weitum als kleines Wunder von Basel gefeiert und bewundert: die Zwischennutzung der ehemaligen Grossgarage Schlotterbeck Anfang der 1990er-Jahre. Zwei Jahre zuvor hatte die gewaltsame, aber durch eine Volksabstimmung legitimierte Räumung des sozialen und künstlerischen Experimentierraums Alte Stadtgärtnerei im wahrsten Sinne des Wortes einen Scherbenhaufen hinterlassen. Und nun stellte eine Grossbank jungen Menschen, die zum Teil den Freiraum Alte Stadtgärtnerei (auch liebevoll «Stadtzgi» genannt) mitgestaltet hatten, ihre Liegenschaft zur Zwischennutzung zur Verfügung.
Noch heute schwärmen die Exponenten von damals von dem «gelungenen Experiment». Zum Beispiel Heinz Huber als damaliger Vertreter der Schweizerischen Volksbank, der heutige TagesWoche-Bildchef Hans-Jörg Walter als einstiger Nutzer oder Markus Ritter als Vermittler. Sie tun es in 360-Grad-Video-Gesprächsrunden, die für die Videoausstellung «68–88–18. Freiraum in Basel» aufgezeichnet wurden.
Kreative Wohlfühloase
In den Gesprächen kristallisieren sich aber auch kritische Erinnerungen heraus. Das Experiment Schlotterbeck kann auch als geordneter Abklatsch der einstigen Freiraum-Bewegung gesehen werden, als eine kreative Wohlfühloase, die nicht die politischen Hintergründe hatte wie etwa zuvor die «Stadtzgi»-Bewegung.
Die Zwischennutzung war für die damalige Volksbank auch ein Vehikel, um wenigstens einen Teil ihrer Kosten zu decken und eine Besetzung sowie Vandalismus zu verhindern, wie Bankenvertreter Heinz Huber 1992 im Basler Stadtbuch freimütig zugab.
Die Gesprächsrunden – fünf an der Zahl – öffnen Reflexionsräume in der Ausstellung, die am Freitag, 6. April, in den Räumlichkeiten der Kunstmesse Scope an der Webergasse starten wird. Dazu kommen Videoarbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die einen Bezug zu den Freiraum-Bewegungen von 1968, den 1980ern und der Gegenwart hatten oder haben.
Im Zentrum aber stehen bewegte Bilder von den Schauplätzen selbst – spannende Videodokumentationen von den Basler Pionieren der Videogenossenschaft Basel und deren Nachfolgern, die in den grossen TV-Anstalten der Schweiz und in Deutschland Fuss fassen konnten.
Die Ausstellungsmacher im Alter von Mitte zwanzig bis Anfang vierzig haben «Stadtzgi» und Schlotterbeck nicht mehr persönlich erlebt – die ersten Freiraum-Inseln der 68er, auch nicht die AJZ-Besetzungen von 1972/1973 und 1981.
«Wir gehören, wenn man so will, der Generation NT-Areal an», sagt Kurator Benedikt Wyss. Sein Mitkurator Claudio Miozzari stimmt mit einem Kopfnicken zu: «Da war die Freiraum-Geschichte schon lange weg von den politischen Bewegungen, die ihre Räume durch Besetzungen einnahmen, und mitten drin in der dialogischen Schiene der Zwischennutzungen – und der Partybewegung.»
Basel als Soft-Variante der Jugend-Revolte
Zwischennutzung als geordnete Variante der Freiraum-Bewegung ist ein besonderes Charaktermerkmal für Basel. Aber ganz allgemein präsentieren sich die Kapitel der Aufbruchbewegung und Jugendrevolten in Basel um einiges ruhiger und geordneter als beispielsweise in Zürich:
- Als 1968 die Jugendbewegung die gewohnte Ordnung in vielen Städten Europas aus den Fugen hob, prosteten sich die Künstler sowie politisch bewegte Studenten und Lehrlinge in den einschlägigen Beizen Farnsburg, Bodega oder Hasenburg bei mehr oder weniger bewegten Diskussionen zu. Die legendäre Gratistram-Demonstration fand erst 1969 statt. Immerhin wurde damals in Basel die neue Linkspartei Progressive Organisationen (Poch) gegründet.
- Als Zürich 1980 nach den Opernhauskrawallen gemäss dem Titel des berühmten Video-Pamphlets «Züri brännt» sinnbildlich in Flammen stand, liessen sich die Basler Jugendlichen ein Jahr Zeit, bis auch sie ein besetztes Haus zum Autonomen Jugendzentrum (kurz AJZ) erkoren – dies ebenfalls ganz schön konfliktbeladen.
- Während alternative Kulturschaffende in Zürich die Rote Fabrik und in Bern die Reitschule besetzten, konnten ihre Basler Kollegen die Räumlichkeiten der ehemaligen Kaserne nach mehr oder weniger gesitteten Verhandlungen beziehen. Diesen folgte aber ein langwieriger politischer Prozess.
Dass in Basel alles etwas ruhiger und geordneter ablief als in Zürich, mag nicht zuletzt auch daran gelegen haben, dass das Basler Bürgertum gesprächsbereiter und aufgeschlossener war als dasjenige in Zürich.
Das Kuratorenteam geht in der Ausstellung und dem Begleitbuch (das sich mit Hilfe einer App zum interaktiven Medium erweitern lässt) all diesen Fragen nach. Das ist keine einfache Aufgabe, denn in den Gesprächsrunden zeigt sich, dass der Begriff «Freiraum» sehr unterschiedlich verstanden wird.
Die Ausstellung wirft mit zum grossen Teil hinreissenden Video-Zeitzeugnissen einen Blick zurück auf die bewegten Zeiten von einst und schaut auf die Beispiele von heute sowie der Zukunft – Stichworte Hafenareal und Zukunft.Klybeck.
Sie blickt mit den Brennpunkten Palazzo Liestal oder Jugendhaus Palais Noir in Reinach auch über die Kantonsgrenzen hinaus. Und sie versucht herauszufinden, wie diese Räume und Errungenschaften das Leben in der Stadt grundsätzlich beeinflusst haben.
Das sind sehr ambitionierte Ziele. Da kann es nicht erstaunen, dass der historische Parcours auch Lücken enthält. So beschränkt sich der Blick auf die jüngere Vergangenheit und Gegenwart auf den institutionellen Rahmen der Zwischennutzungen – mit Ausnahme des Wagenplatzes auf dem Hafenareal. Die Episoden aus dem Umfeld der jüngeren Besetzerszene – Stichworte Villa Rosenau oder Schwarze Erle – kommen lediglich am Rande vor.
Das sei keine inhaltliche Entscheidung, rechtfertigt sich Wyss. «Wir konnten schlicht kein brauchbares Videomaterial auftreiben.»
Teppich der Freiraum-Geschichte
«68–88–18. Freiraum in Basel» ist eine reich befrachtete Film- und Videoausstellung. Es ist also Voraussetzung, dass man etwas Zeit mitbringt, wenn man den weitläufigen Parcours in Angriff nimmt. Es gibt aber auch ein physisches Objekt zu entdecken, das sich wie ein ironischer Kommentar zur Basler Freiraumgeschichte verstehen lässt.
1981 begann der damalige Poch-Politiker Ruedi Schönholzer, aus Protest gegen die Schliessung des AJZ, einen schwarzen Teppich zu stricken. Er schwor, erst damit aufzuhören, wenn Basel endlich sein AJZ erhielte. 2017 starb Schönholzer und damit auch sein Strick-Protest. Der schwarze Teppich hat die stattlichen Masse von 150 Metern Länge und 220 Zentimetern Breite. 180 Kilometer Wolle hatte Schönholzer verarbeitet. Der Teppich wird sich also wie ein schwarzer Faden durch die Ausstellung ziehen.
«68–88–18. Freiraum in Basel». Videoausstellung in den Räumlichkeiten der Kunstmesse Scope (Webergasse 34). Bis 27. Mai, Vernissage am Freitag, 6. April.