Die kulturelle Apokalypse verspätet sich. Schon wieder!

Alle wollen digital, niemand will analog. Das ist das Vorurteil. Nur: Es will sich einfach nicht bewahrheiten.

Zwei Frauen rätseln bei Room Escape im Warteck: Analoge Vernügen sind im Trend.

(Bild: Livio Marc Stoeckli)

Alle wollen digital, niemand will analog. Das ist das Vorurteil. Nur: Es will sich einfach nicht bewahrheiten.

Computerspiele machen dumm. Und dick. Und gewalttätig selbstverständlich auch. Und führen zu Herzinfarkt. Insgesamt – genau wie «das Internet», Handys und vieles andere mehr – sind Games und andere digitale Technologien gerade für junge Menschen Gift. Einsamkeit und gestörtes Sozialverhalten sind programmiert. Videogames nicht bloss als Tod des klassischen Gesellschaftsspiels, sondern gleich der Gesellschaft an sich.

So jedenfalls geht, plakativ formuliert, die Erzählung mancher Aficionados des Analogen: Nur Holzspielzeug ist gut für Kinder, Pixel können nur Schaden anrichten. Und ein Buch, das nicht auf Papier gedruckt, sondern in einem E-Reader gespeichert ist, bedeutet schon mindestens den Anfang vom Ende des Abendlandes.

Analoge Abenteuer boomen

Nur: Die Vision einer Apokalypse des Analogen will sich einfach nicht manifestieren. Im Gegenteil. Analoges Entertainment erlebt derzeit einen Boom. Damit ist nicht nur das schwer zu übersehende öffentliche Leben am Basler Rheinufer, den Parks und den Bars gemeint. Sondern zum Beispiel auch: Abenteuerspiele für Gruppen, «Room Escape» genannt.

«Wir haben über 1000 Besucher pro Monat», sagen Kathrin Beer und Séverine Ochsner vom Room-Escape-Team Basel. Ein riesiger Erfolg für das Unternehmen, das im Warteck-Areal einmal klein angefangen hat. Mittlerweile betreibt es im Warteck-Areal zwei Fluchträume, und einen neuen Raum am Voltaplatz mit neuem Abenteuer – «Der Fluch des Yama». 



Das neuste Room-Escape-Abenteuer am Voltaplatz: Indiana Jones lässt grüssen.

Das neuste Room-Escape-Abenteuer «Der Fluch des Yuma» am Voltaplatz: Indiana Jones lässt grüssen. (Bild: Friedel Ammann / zvg Room Escape)

Der Ansturm sei derart gross, dass die Abenteuer am Abend und an den Wochenenden jeweils weit im Voraus ausgebucht seien. Die Lösung: «In den nächsten Monaten werden noch vier weitere neue Räume am Standort Voltaplatz zur Verfügung stehen», sagt Kathrin Beer. Neben Room Escape gibt es in Basel auch noch die Firmen One Hour Escape und Breakout Basel – auch sie bieten jeweils mehrere verschiedene Abenteuer an.

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Ein Ende ist nicht in Sicht. Aber wie ist der Boom zu erklären? Ironischerweise stammt die Spielidee ursprünglich von Computer-Games: Die Room-Escape-Spiele sind klassische Point-and-Click-Abenteuer. Aber die Leute spielen sie lieber in echt.

«Es geht darum, miteinander ein Erlebnis zu haben, im Team und in der Gruppe etwas zusammen zu machen», sagt Kathrin Beer. «Einmal weg von der Reizüberflutung durch Handy, Internet und TV – die Leute wollen wieder mehr spüren und selber machen», ergänzt Séverine Ochsner.

Lädeli für analoge Vergnügen

Im Spielwarengeschäft bestätigt sich der Trend. Zwar toppen Videogames nach wie vor alle Verkaufs-Charts. Doch das bedeutet nicht, dass andere Genres untergehen: Auch sie sind zum Teil im Aufwind. «Bei Gesellschaftsspielen geht es seit einigen Jahren nur noch in eine Richtung: steil nach oben», sagt Mikko Goepfert vom Spielbrett am Andreasplatz.

Brett- und andere Gesellschaftsspiele seien das, was die Leute spielen wollen, sagt Goepfert: «Jedes Jahr gibt es neue Spiele-Messen, neue Formate – es ist wirklich toll, wie sich das entwickelt, sowohl beim Angebot als auch bei der Nachfrage.»

Das Schaufenster des kleinen Zihlmann-Elektronik-Lädeli an der Schneidergasse 30, gleich um die Ecke vom Spielbrett, ist zugeklebt. Drinnen wird gearbeitet: Am 3. Juni soll hier, nur wenige Schritte vom legendären Roxy am Rümelinsplatz entfernt, ein neuer Platten- und CD-Laden mitten in der Basler Altstadt entstehen. Vinyl-LPs als Geschäftsidee im Jahr 2017: noch vor Kurzem etwas für Liebhaber, mittlerweile keine schlechte Geschäftsidee.

Zumal die oftmals totgesagten Scheiben munter weiterdrehen: Im vergangenen Jahr wurden so viele Schallplatten verkauft wie seit 25 Jahren nicht mehr. Und, vor zehn Jahren völlig undenkbar: Die Vinyl-Industrie soll noch dieses Jahr wieder zum Milliarden-Business werden.

Totes Buch, topfit

Was für den Plattenteller gilt, gilt für das Bücherregal erst recht. Daran konnten auch alle gegenteiligen Schlagzeilen um die Jahrtausendwende und darüber hinaus nichts ändern:

«Verschwindet das gedruckte Buch?» («Berner Zeitung», 2009) – «Es war einmal: Die Ära des gedruckten Buchs geht zu Ende» («Die Zeit», 2009) – «Kindle-Verkaufszahlen: Amazon verkündet E-Book-Sieg» («Spiegel online», 2010) – «Das E-Book verdrängt das gedruckte Werk» («Welt», 2011), und so weiter und so fort. Andere prophezeiten gleich das Ende des Buches an sich: «Is This The End For Books?» («The Guardian», 2011).

Keine zehn Jahre später präsentiert sich ein differenzierteres Bild: Die Verkaufszahlen von E-Books sind in den USA regelrecht eingebrochen – um 18,7 Prozent in den ersten drei Quartalen des Jahres 2016, wie CNN berichtet. Gleichzeitig nahmen die Verkäufe von gedruckten Büchern zu: bei den Paperbacks um 7,5 Prozent und bei den gebundenen Ausgaben um 4,1 Prozent.

Dasselbe Phänomen bestätigen neue Zahlen aus England: E-Book-Verkäufe gingen im Jahr 2016 um 17 Prozent zurück, während gedruckte Bücher 9 Prozent zulegten. Die Gründe, die ein Verleger im «Guardian» dafür anführt, klingen ähnlich wie diejenigen, die Baslerinnen und Basler zum gemeinsamen Spiel treiben: «Allgemein herrscht der Eindruck, dass die Leute ein bisschen müde sind, respektive es ein wenig satt haben, immer auf die vielen Bildschirme der vielen Geräte zu schauen. Gedruckte Bücher bieten die Gelegenheit, von all dem mal wegzukommen.»

Hartes Brot für Buchläden

Das sture Nicht-Verschwinden, ja die sanfte Rückkehr des gedruckten Buches bedeutet nicht automatisch, dass es der heimische Buchhandel leicht hätte: Gedruckte Bücher werden nach wie vor gerne online bestellt. Trotzdem: Es gibt nach wie vor erfolgreiche Buchhandlungen in Basel. Und auch solche, die bisweilen knapp am definitiven Aus vorbeischrammen, können überleben – unter ihnen etwa das Labyrinth am Nadelberg.

«Es kommt sehr drauf an, was ein Buchladen macht – also ob das Programm, die Ausrichtung ankommt. Sortimentsbuchhandlungen haben eine Zukunft», sagt Samuel Ammann von der Buchhandlung Labyrinth. Das Digitale, so Ammann, sei nicht mehr wegzudenken – gerade an der Uni sei es nach wie vor stark im Kommen. Dort könne das Labyrinth nicht mitmachen – es würde sich nicht lohnen.

Trotzdem bleibt Ammann optimistisch: «Die Leute lesen nach wie vor gerne gedruckte Bücher. Ganz besonders schöne Bücher, aufwendig gemachte Bücher – aber auch einfach Taschenbücher.»

Womöglich, sagt Samuel Ammann, habe das durchaus mit dem Medium zu tun: «Ich würde behaupten, die Leseerfahrung ist anders, wenn man ein gedrucktes Buch liest – der Akt des Lesens ist physischer als beim E-Book. Wir stellen jedenfalls keinen Einbruch fest. Im Gegenteil.»

«Ein fröhliches Nebeneinander»

Die verbreiteten Prognosen und Ängste, digitale Technologien würden geliebtes Kulturgut in kürzester Zeit komplett obsolet machen, sind bisher nicht eingetroffen. Wer vom neuen Plattenladen in der Altstadt, der bald eröffnet, noch ein paar Schritte weiterschlendert, der landet bei der Hauptfiliale der GGG Stadtbibliothek Basel. Sie kann sich jedenfalls nicht über Mangel an Kundschaft beklagen.

765’787 Kundenbesuche verzeichneten die GGG-Stadtbibliotheken (ohne Pratteln und Binningen) im vergangenen Jahr – plus 3,17 Prozent. 32’191 Kunden und Kundinnen waren sogenannt Aktive – haben also mindestens eine Ausleihe getätigt. Ein Plus von 3,65 Prozent gegenüber 2015. Die Zahl der Abos ist innert Jahresfrist um 5,4 Prozent gestiegen – 8413 Personen haben neu ein Abonnement der Stadtbibliothek gelöst.

Die Zahlen verdeutlichen: Für Kulturpessimisten ist der GGG-Bibliotheks-Jahresbericht 2016 keine geeignete Lektüre. Klar: Den Erfolg haben die Bibliotheken auch dem wachsenden Digital-Angebot zu verdanken. Aber längst nicht nur: Auch gedruckte Bücher und Veranstaltungen der Bibliothek erfreuen sich steigender Beliebtheit, wie die TagesWoche auf Anfrage erfahren hat. In den Worten der Medienstelle der GGG-Stadtbibliothek: Analoge und digitale Medien, das sei kein Gegeneinander, sondern «ein fröhliches Nebeneinander».

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