Die Sängerin, die in keine Schablone passt

Ihre Musik ist genauso unbequem wie ihr Künstlername: Meshell Ndegeocello steht seit 20 Jahren als multitalentierte Musikerin auf der Bühne und hat seither Stars wie Jill Scott und Erykah Badu beeinflusst. Am 4. November gastiert sie in der Kaserne Basel.

Die eigentliche Provokation ihrer Kunst liegt in den Texten: Ndegeocello hinterfragt die Geschlechterrollen. (Bild: zvg)

Ihre Musik ist genauso unbequem wie ihr Künstlername: Meshell Ndegeocello steht seit 20 Jahren als multitalentierte Musikerin auf der Bühne und hat seither Stars wie Jill Scott und Erykah Badu beeinflusst. Am 4. November gastiert sie in der Kaserne Basel.



Meshell wächst in Berlin und Washington auf, ihr Vater ist beim Militär und spielt Saxophon. Die Mutter ist sehr religiös, und denkt, ihre Tochter sei vom bösen Geist besessen, als diese das «Dirty Mind»-Album von Prince entdeckt. Mit 17 tauscht Meshell den bürgerlichen Nachnamen Johnson gegen das Wortungetüm Ndegeocello ein, das aus dem Swahili stammt und eigentlich nur «frei wie ein Vogel» bedeutet.

Und das passt: Von Beginn an lässt sie sich musikalisch auf keine Kompromisse ein. Prägend werden für sie die Erfahrungen in der Go-Go-Szene, Washingtons Variante des Achtziger-Funks. Nachdem eine Bewerbung bei der Band Living Colour für die Position der Bassistin nicht zum Erfolg führt, wird sie bereits 1992 Solokünstlerin. 



Debüt auf Madonnas Label



Ihr Debüt «Plantation Lullabies» erscheint auf Madonnas Maverick-Label und steckt voll knackiger Funk- und Rap-Stücke, die sich vom sterilen R&B der Zeit deutlich absetzen. Ihre direkte, dunkle Altstimme konfrontiert den Hörer, ihr virtuoses Bassspiel reduziert sich nie auf die Begleiterrolle. Zur gleichen Zeit unternimmt sie Spagate in ihren Teamworks, die vom Rocker John Mellencamp bis Madonna, von den Rolling Stones bis zu Herbie Hancock reichen.

«Ich bin selbst der Mann meiner Träume.»

Die eigentliche Provokation ihrer Kunst liegt in den Texten: Ndegeocello hinterfragt als Bisexuelle die herkömmlichen Rollenverteilungen (O-Ton: «Ich bin selbst der Mann meiner Träume»), denkt nicht im stereotypen Muster von weiss kontra afro-amerikanisch. «Im Moment erleben wir das Ende der Religion. Ich hoffe, dass ich in meinem Leben noch das Ende des Konzepts ‹Rasse› erleben werde», ist ihr Credo.



Nichts Süssliches, nichts Klischeehaftes



Die Liebe hat bei ihr nichts Süssliches, wie es im glamourösen R&B-Zirkus sonst üblich ist: Ihr 1999 erschienenes «Bitter» ist ein Konzeptalbum über die schmerzlichen Seiten der Zwischenmenschlichkeit, gefasst in empfindsamen Folk- und Klassiktönen. Es wird als «unschwarze Musik» kritisiert, sie antwortet mit einem «anthropological mixtape», einer Satire auf alle Klischees der «black music».

 

Stilistisch bleibt sie unfassbar auf den weiteren Alben: Mal experimentiert sie mit Reggae, mal traut sie sich an eine vom HipHop geschwängerte Jazz-Landschaft heran. In jüngster Zeit jedoch ist es die Sphäre des Songwritings in ruhigen Tönen und geradezu zärtlichen Vocals, die sie sich erobert hat. Und in die sie Elemente aus sämtlichen Stilen der Popmusikgeschichte einarbeitet – so, wie es gerade dem entsprechenden Song dienlich ist. Da gerät dann selbst ein Nina-Simone-Tribut, wie sie es vor zwei Jahren veröffentlicht hat, zu einem Zyklus fernab jeglicher Jazzfärbung.



Früher Zorn, jetzt Zuflucht



Ihr neues, bereits elftes Album ist poetisch «Comet, Come To Me» betitelt, vielleicht das unspektakulärste ihrer Karriere bislang. Wie früher das Erscheinen eines Kometen, erklärt sie den Titel des Werks, so sei auch dieses Album offen für jede Deutung. Und in der Tat ist es schwer zu (be-)greifen, gerade in seiner souveränen Ruhe, die nur durch einen kleinen Ausflug in die Frühzeit des Hip-Hop unterbrochen wird.

Ansonsten singt Ndegeocello mit fast hauchender Folkstimme, spielt mit sphärischem Countryflair und dubbigen Grundierungen, mit zeitlosem Popminimalismus. Die Lyrics hinterfragen den Begriff «Freundschaft» im Facebook-Zeitalter, erzählen von der Selbstzerstörung eines geliebten Menschen, vom Ende des amerikanischen Traums.

Verflogen ist ihr Zorn der früheren Jahre, die Musik ist Zuflucht geworden: «Wie können wir lernen, unsere Verschiedenheit zu tolerieren? Kein Wissenschaftler, keine religiöse Person hat darauf bisher eine Antwort gefunden. Darum mache ich Musik, die einen Moment des Friedens geben kann», sagte sie kürzlich dem Factmag. Desillusionierung einer ehemaligen Kämpferin? Wohl eher nüchterne Einsicht einer lebenserfahrenen Künstlerin. Die sich auch in vermeintlicher Stagnation ihren Eigensinn nicht nehmen lässt. 




_

Live: Kaserne Basel, 4.11., auch als Kombiticket mit dem Robert Glasper Experiment (2.11.) erhältlich

Nächster Artikel