Er war fast 20 Jahre lang Rockförderer, jetzt meldet sich Dänu Siegrist als Musiker zurück. Und bringt eine Idee ins Spiel, die sich gut anhört: Fair Trade Music.
«Wasser u Brot» hiess sein letztes Album. Das ist 14 Jahre her. Eine unendlich lange Zeit im Popgeschäft, das weiss Dänu Siegrist selber nur zu gut. Als Mitgründer und Co-Geschäftsleiter des RFV, des Musikfördervereins der Region Basel, richtete der gebürtige Berner den Scheinwerfer jahrelang auf andere Musiker, gab als verlängerter Arm der Kulturpolitik sein Wissen und seine Erfahrung an Jüngere weiter. 2013 folgte ein harter Schnitt: die Wege trennten sich. Seither nimmt er die Gitarre wieder täglich in die Hand.
Wasser und Brot, davon kann sich – man verzeihe den Kalauer – manch ein Musiker eine Scheibe abschneiden. Es ist nicht leichter geworden, mit Musik im digitalen Zeitalter Geld zu verdienen. Viele Bands stemmen Plattenproduktionen, indem sie auf Erspartes zurückgreifen. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass der Aufwand mit Album- und Ticket-Verkäufen refinanziert werden kann.
Miterfinder des Berner Rock
Auch Dänu Siegrist hat sich dieser Herausforderung gestellt: «Chansons Urban» heisst das Album, sein sechstes als Solomusiker. Zuvor hatte er den Berner Rock miterfunden, als Mitglied von Span und Polo’s Schmetterding. Das war in den 70er-Jahren. Es folgten die 80er, und die Erfahrungen mit dem grossen Business im kleinen Land: Plattendeal mit Ariola (heute Sony Music), der Boom des Mundartrock, er bekam ihn hautnah mit – auch wenn ihn die Liebe vor 30 Jahren von der Aare an den Rhein führte.
Heute ist er 60, und wenn einer so blendend aussieht wie Dänu Siegrist, dann darf man dieses Alter auch bei der Zahl nennen. Seine Chansons verdeutlichen: Er ist weiser und auch ein bisschen heiser.
Siegrist bestellt einen Chai, dreht sich eine Zigarette und erzählt vom Prozess, der ihn bei der Entstehung dieses Albums begleitet hat. Darüber wollen wir reden, denn Dänu Siegrist hat sich viele Gedanken gemacht über die Existenz von freischaffenden Musikern in der vernetzten Welt.
«Das Geschäft ist diversifiziert worden, das Risiko aber bleibt voll an den Musikern hängen.»
Die vielbeschworene Demokratisierung, die man sich vom Internet versprach, hat Musik zwar global zugänglicher, die Musiker aber nicht reicher gemacht. «Der Zugang zum Markt wird noch immer von Händlern beherrscht», stellt Siegrist fest. Vielleicht sind die klassischen Plattenfirmen schwächer geworden, doch sprangen neue Player in die Lücke, erschlossen Geschäftsfelder: Streaming-Dienste wie Spotify, Online-Shops wie iTunes, soziale Medien wie Youtube und Facebook mögen zwar die Verfügbarkeit von Musik erleichtern, bereichern aber nicht die Musiker selber.
Ein veritabler Handel ist entstanden, so genannte Aggregatoren vermitteln Musik. Solche Firmen sorgen gegen Kommission dafür, dass man im virtuellen Regal auftaucht – oder eben auch nicht. «Manche Aggregatoren nehmen einen einzelnen Musiker nicht auf, kooperieren nur mit Labels. So bleibt einem einzelnen Musikschaffenden der Zugang zu manchen globalen Shops verwehrt.»
Damit nicht genug: «Haben wir in den 80er-Jahren alles über eine Plattenfirma abgewickelt, so arbeiten Indiemusiker heute mit mehreren Dienstleistern zusammen: Das Geschäft ist diversifiziert worden, das Risiko aber bleibt voll an den Musikern hängen: von den Kosten für die Studioaufnahmen über die Grafik bis zur Pressung und Bewerbung.»
Alleingang nach 30 Jahren
Wer sein Album beworben und vertrieben haben möchte, greift auf professionelle Dienstleister zurück, die das für ein paar Tausend Franken übernehmen. Das Outsourcing geht ins Geld. Siegrist machte die «Miuchbüechli-Rächnig», wie er es im charmanten Berndeutsch nennt, und kam zum Schluss, dass er nach 30 Jahren einen neuen Weg einschlagen will. Ohne klassische Plattenfirma, klassischen Vertrieb. Im Alleingang. «Weil ich finde, dass Independent-Musiker auch im Internetzeitalter noch viel zu stark von externen Playern abhängig sind.»
Nicht dass es früher besser war, betont er, «aber es war anders. Früher hatte sich eine Plattenfirma immerhin am Risiko beteiligt. Heute kassieren Zwischenhändler Kommissionen, indem sie dafür sorgen, dass die Musik zum Beispiel auf iTunes erhältlich ist. Aber dass ich da auch nur ein Album verkaufe, das garantiert mir niemand.»
Der Musiker sei noch immer das schwächste Glied in der Kette. «Die Bedingungen sind aus wirtschaftlicher Sicht weiterhin katastrophal», sagt Siegrist. Wer ein anständiges Album auf den Markt bringen will, gebe schnell einmal 20’000 Franken aus – und müsse dann 2500 Exemplare verkaufen, um wieder im grünen Bereich anzukommen. Oder muss das mit Konzerteinnahmen kompensieren.
Weniger verkauft, gleich viel eingenommen
Diesem Zustand sagt er den Kampf an. Er hat in Eigenregie eine neue Website gebaut, im Netz Werkzeuge und Module gesucht, einen Webshop eingerichtet und sich einen Claim ausgedacht, der sehr gut klingt: Fair Trade Music.
Sein neues Album bringt er so in Eigenregie an die Leute, zählt auf die Treue seiner Fans. Jeder Franken fliesst direkt in seine Tasche. Seit einem halben Jahr auf dem Markt, hat er zwar weniger Exemplare verkauft als zuletzt unter dem Schweizer Label Sound Service, dem Heimathafen des Mundartrock. «Aber eingenommen habe ich bereits jetzt gleich viel Geld wie damals.»
Natürlich ist die Idee der Hilfe zur Selbsthilfe nicht neu. Es gibt sie seit Beginn der Independent Music. Und immer schon wurden Versuche unternommen, unabhängigen Künstlern eine Dépendance zu bieten. In der Schweiz etwa mit Fontastix.ch, einem unabhängigen Vertrieb, der allerdings noch immer im Schatten des grösseren Online-Shops cede.ch steht. Und bei cede.ch, weiss Siegrist jetzt aus eigener Erfahrung, läuft der digitale Vertrieb über einen ausländischen Aggregator, der eine Kommission verlangt.
Auf solche Zwischenhändler will er verzichten, so wie der Bauer, der seine Früchte ab Hof verkauft. Ein Vergleich, der Siegrist gefällt. Kein Wunder, hat er doch in seinen Hippie-Jahren mit Span in einem Bauernhaus im Emmental gelebt. Als Selbstversorger.
«Eine Art Hippie-Idee»
Wenn sein Selbstversuch erfolgreich ist, möchte er einen Schritt weitergehen, sein Wissen weitergeben. Er denkt an eine Schweizer Plattform im Sinne von «Artists United», die dafür sorgt, dass die Künstler präsent sind und auch wirklich wahrgenommen werden. Alle Beteiligten teilen sich Kosten und Profite. «Eine Art Hippie-Idee», sagt er.
Dänu Siegrist ist nicht der einzige gestandene Musiker in Basel, der derzeit mit einem eigenen Weg auffällt. Roli Frei, unlängst von Kritikern mit einem mit 5000 Franken dotierten Anerkennungspreis gewürdigt, weiss zum Beispiel seit einigen Jahren den Verein «Friends of Roli Frei» hinter sich. «Allein von der Musik zu leben, ist heute schwierig. Ohne Musik zu leben, können wir uns nicht vorstellen», verkünden die Freunde des Singer-Songwriters, die ihn mit jährlichen Mitgliedschaftsbeiträgen direkt unterstützen. Freiwilligkeit als Zauberwort. Man unterstützt den Künstler direkt, weil man nicht auf ihn und seine Musik verzichten möchte.
Auf die Spitze getrieben haben das Prinzip der Selbsthilfe die umtriebigen The bianca Story: Für ihr Album «Digger» sammelte die Band vor einem Jahr via Crowdfunding 90’000 Euro, schwang dafür aber die Marketing-Schaufeln auch arg heftig, im Hintergrund unterstützt von Tim Renners Plattenfirma Motor Music.
Gespannt darf man auch auf die Zukunft der Lovebugs sein. Erstmals seit Jahren sind sie vogelfrei. Ihr Vertrag mit der Plattenfirma Gadget Records ist ausgelaufen. «Im Januar 2015 nehmen wir in Berlin neue Songs auf», erzählt Bassist Florian Senn, «und zwar auf eigene Kosten. Was mit den Aufnahmen geschieht, ist noch völlig offen. Es bestehen keine Verpflichtungen, also ist auch alles denkbar.» Vielleicht werden ja auch sie im Sinne von Fair Trade Music einen neuen, direkteren Vertriebsweg wählen.
Bis wir darüber mehr wissen, können wir uns die Zeit verkürzen. Mit Dänu Siegrists Idee und mit seinen Chansons (live, in der Kuppel), in denen er die Hippie-Träume mit der urbanen Gegenwart vernetzt. So singt er im Lied «Das sy mir»:
Die wo ihre Troum so ärnscht näh
aus wärs e Businessplan
dene wo me seit sie syge wäutfrömd
u sie blybe trotzdäm drann
Das sy mir.