Glückliche Zirkuskinder: «Es gibt hier nichts, das nicht gut ist»

Noch eineinhalb Stunden bis zum Spektakel: Wir haben dem «Kinder und Jugend Circus Basilisk» bei den Vorbereitungen zugeguckt.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Noch eineinhalb Stunden bis zum Spektakel: Wir haben dem «Kinder und Jugend Circus Basilisk» bei den Vorbereitungen zugeguckt.

Unter der rotgelben Zeltplane ist alles anders. Es ist, als hätte sich die Wirklichkeit verschoben; es wird bedeutungslos, worum sich vorher alles drehte, und wichtig, was im Alltag oft untergeht. Wie zum Beispiel das Träumen. Das Zusammensein. Und auch: das Zusammenträumen.

Im Aufenthaltszelt des «Kinder und Jugend Circus Basilisk» auf der Basler Rosentalanlage sitzen die Artisten an langen Tischen. Vor Handspiegeln klacksen und kleben sie Farbe und lange Wimpern in ihre Gesichter. Die Glitzerstoffe, in die sie sich danach hüllen, machen aus den Kindern und Jugendlichen Akrobaten, Jongleure, Clowns, Zirkusdirektoren. Und dies nicht nur für einen einzigen Nachmittag, sondern für 20 Tage. Für die ganze Tournee. Ein bisschen dieses Glanzes bleibt danach an ihnen hängen. Auch dann, wenn sie sich wieder über schlechte Noten ärgern und steife Blue Jeans tragen – denn sie bleiben Zirkuskinder.




Kleinere und grössere Artisten vor ihren Spiegeln – Vorbereitung ist alles! (Bild: Alexander Preobrajenski)

Noch 90 Minuten bis zur Nachmittagsvorstellung. An den Tischen ist es still. Schminken, Kämmen, Frisieren. Jeder weiss, was er zu tun hat. Die Zirkus-Welt braucht nicht viele Worte. Ein blondes Mädchen stellt sich vor Karolina Kowalska hin. Die artistische Leiterin, die seit 23 Jahren im Zirkus dabei ist, flicht geschickt ihre Haare. «Wir sind wie eine grosse Familie», sagt sie. Es ist ein Satz, den man auch von den Jugendlichen hört. «Es macht mega viel Spass. Wir helfen einander und sind wie eine Familie», sagt die 14-jährige Némea wenig später am Tisch nebenan, und man sieht ihr an, wie viel ihr die Zeit jenseits des Alltags bedeutet.

In diesem Moment schiebt ein grösseres Mädchen ein kleineres zur artistischen Leiterin. Tränen kullern über seine Wangen. Es hat sich am Zeh verletzt. Und weint auch deshalb, weil es Angst hat, nicht auftreten zu können. Sie solle ihn kühlen, meint Karolina ruhig. Das werde schon wieder. Und: Sollten sie nichts zum Kühlen finden, dürften sie sich auch in der Glacétruhe bedienen. Die Tränen versiegen fast sofort wieder.

Auf der Matte ganz hinten im Aufenthaltszelt stützt Raul den Kopf in seine kleinen Hände. Und blickt in Richtung Zirkus-Zelt, an dessen Kuppel sich zwei Artisten zu schaffen machen. «Was machen die dort oben?», fragt er, ohne seine Worte an jemanden zu richten. Karolina hat ihn doch gehört: «Sie müssen die Plane öffnen, damit es nicht zu heiss wird im Zelt.» Für einen Moment hat man das Gefühl, Rauls staunende Augen würden noch grösser.




«Was machen die dort oben?» (Bild: Alexander Preobrajenski)

Mit seinen acht Jahren ist er der Jüngste unter den vierzig Artisten. Die Ältesten sind 17 Jahre alt. Raul erzählt nun sehr erwachsen, wie er zum Zirkus gekommen sei. Er habe «schon lange» in einem Zirkus mitspielen wollen, als ihm seine Mami von diesem Zirkus erzählt habe.

Und dann bleiben noch 60 Minuten, bis die Show beginnt. Zeit für die «Gemeinsame Runde»: Kurze Lagebesprechung in der Zirkusfamilie. Der technische Leiter sagt, dass gestern das Licht nicht überall funktioniert habe. Die Kostümiere bedankt sich fürs Umdrehen der Kostüme, was den Wäscherinnen die Arbeit erleichtere. Und die artistische Leiterin wirft ein, dass einer seine Haarbürste vergessen habe. Das bedeutet: 50 Rappen für die Zirkuskasse. Während alle davontrödeln, ruft ein Mädchen plötzlich: «Jugend Circus». Worauf im Chor ein «Basilisk» ertönt, das bestimmt bis in die Bar Rouge im Messeturm zu hören ist.




Auch Putzen gehört zum Zirkusleben dazu. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Der Circus Basilisk kennt keine Nachwuchsprobleme. Aber so angesagt wie früher ist er auch nicht mehr. «Zirkus-Machen gilt nicht mehr als cool», sagt Karolina nüchtern. Wer im Zirkus mitmachen will, kann an einem Probetraining teilnehmen. Danach wird entschieden, ob er ins Grundtraining einsteigen darf.

Falls man sich in der Zirkuswelt wohl fühlt, in der Zusammensein wichtiger ist als Whatsapp-Chats und man noch träumen darf, wird man als Basilisk aufgenommen. «Wir lehnen selten jemanden ab», sagt Karolina. Etwas härter fügt sie hinzu: «Falls es jemandem an Konzentration oder Sozialkompetenz mangelt, passt er aber nicht zu uns.» Dann sagt sie, dass sie stets mehr Mädchen als Buben im Zirkus hätten. Obgleich Buben genauso willkommen seien.

Einer der wenigen Buben ist Laurin (15). Auf die Frage, warum er Zirkus mache, sagt er einfach: «Es gibt hier nichts, das nicht gut ist.» Er geniesse das «Lagerfeeling» während der Tournee, wo sie zwischen den Vorstellungen auf Gummimatten in Schulzimmern schlafen und auf Pausenhöfen tafeln. Und: Da sie immer noch ein paar Jungs seien, störe es ihn nicht, dass sie weniger seien. Dann verschwindet er im Garderobenwagen, um sich umzuziehen.




Viele Jungs sind nicht mehr dabei – nur noch ein paar wenige. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Vor dem Garderobenwagen der Mädchen sitzt Julia (13). Sie ist wohl die Einzige, die ein bisschen traurig aussieht in dieser Zirkuswelt. Neben ihr liegen Krücken, sie darf nicht mitmachen heute.

Die Manege glänzt nun wieder. Das ist dem Zeltdienst zu verdanken. Staubsaugen, Abfall einsammeln, Toiletten putzen – ein bisschen Realität gehört auch in die Zirkuswelt.

Die Kostüme sind geflickt. Dank der Kostümiere, die in einem Zirkuswagen vor der Nähmaschine nur darauf wartet, dass wieder ein Trikot reisst. Im Buffetzelt duftet es nach Zuckerwatte und Popcorn. Zirkusmusik trällert aus Lautsprechern. Ein Mädchen ruft: «Fädeli zieh! Fädeli zieh!» Ein Losspiel, das zwei Franken kostet und nach ein bisschen Glück verlangt. Doch das noch grössere Glück, das ist aus den Gesichtern der Zirkuskinder zu lesen.




Wenn was reisst am Kostüm, muss die Kostümiere ran. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Noch zwei Minuten bis zur Vorstellung, wie die Uhr am Materialwagen anzeigt. In Crocs oder Pantoffeln hüpfen die Kinder zwischen den Garderobenwagen und dem Zirkuszelt hin und her. Her und hin. Noch im Laufen stülpt sich ein Mädchen orangefarbene Handschuhe über und setzt sich ein Knabe den Hut auf den Kopf.

Punkt drei Uhr leuchten die Scheinwerfer in der Manege auf. Der Zirkusdirektor begrüsst das «verehrte» Publikum. Wie bei den Grossen – während zwei kleine Artisten händehaltend und in letzter Sekunde auch noch ins Zirkuszelt schlüpfen.

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Jugend Circus Basilisk, Rosentalanlage Basel, Vorstellungen noch bis 14. Juli.

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