In Basel erlebte Dürrenmatt seine schönste Theaterzeit – und seine grösste Enttäuschung

Basel spielte eine wichtige Rolle in Friedrich Dürrenmatts Laufbahn als Dramatiker: Hier begann sie und hier zeichnete sich später nach einem Höhepunkt in seiner Theaterarbeit deren Ende ab.

Werner Düggelin mit Friedrich Dürrenmatt bei der Hauptprobe zu «Die Wiedertäufer» im März 1967. (KEYSTONE/Str)

(Bild: Keystone/STR)

Basel spielte eine wichtige Rolle in Friedrich Dürrenmatts Laufbahn als Dramatiker: Hier begann sie und hier zeichnete sich später nach einem Höhepunkt in seiner Theaterarbeit deren Ende ab.

Am 21. Oktober 1946 packte der 25-jährige Friedrich Dürrenmatt seine Koffer und zog nach Basel. Es war aber, wie Peter Rüedi in seiner Biografie «Dürrenmatt oder Die Ahnung vom Ganzen» schreibt, «keine Entscheidung für diese Stadt», die in seinem Werk im Gegensatz zu Bern und Zürich auch nie zum Thema wurde. Es war seine Frau Lotti, die er kurz davor geheiratet hatte, eine Schauspielerin, die sich in Basel ein Engagement erhoffte. Ihr reiste er nach.

Und doch spielte die Stadt am Dreiländereck in Dürrenmatts Laufbahn als Dramatiker zweimal eine entscheidende Rolle: Basel stand am Beginn seiner Tätigkeit als Autor von Bühnenstücken, und hier wurde 20 Jahre später auch sein langer Abschied vom Theater eingeläutet.

Das erste Stück des Wahlbaslers in Zürich uraufgeführt

Als Dürrenmatt Ende des Zweiten Weltkrieges eine Absteige an der Daig-Meile St.-Alban-Vorstadt bezog, hatte er das Manuskript seines ersten Stücks, das Wiedertäufer-Drama «Es steht geschrieben», in der Tasche. Das Stück fand in Basel zwar einen Verleger, das hiesige Stadttheater aber hatte Mühe, das personenreiche Stück zu besetzen. Uraufgeführt wurde es 1947 schliesslich in Zürich – immerhin führte der damalige Basler Schauspieldirektor Kurt Horwitz Regie.

Friedrich Dürrenmatt ist 25 Jahre nach seinem Tod wieder in aller Munde. Mehr Texte zu unserem Wochenthema lesen sie hier:
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Im Basler Stadttheater gingen später mit «Der Blinde» und «Romulus der Grosse» doch noch zwei Dürrenmatt-Uraufführungen über die Bühne. 1948 endete Dürrenmatts erste Basel-Episode. Er zog mit Lotti und dem 1947 geborenen Sohn Peter nach Schernelz am Bielersee. Es war keine Absage an die Stadt Basel, in der er fruchtbare Begegnungen unter anderem mit dem Theologen Karl Barth und dem Literaturprofessor Walter Muschg hatte; Dürrenmatt, der eigentlich kein Stadtmensch war, suchte einen Wohnsitz auf dem Land.

Konfliktreicher zweiter Basel-Aufenthalt

Gut 20 Jahre später verliess Dürrenmatt Basel ein zweites Mal. Allerdings nicht im Frieden, sondern gesundheitlich angeschlagen und mit einer riesigen Wut im Bauch. «Dürrenmatt und ich erlebten in Basel eine wunderbare Zeit zusammen und eine höchst ungute dazu», erinnert sich der legendäre Basler Theaterdirektor Werner Düggelin, der den weltberühmten Autor 1968 als Co-Direktor an die Basler Theater geholt hatte.

Dabei hatte Dürrenmatts zweiter Aufenthalt in Basel überaus hoffnungsvoll begonnen. Düggelin hatte sich 1967 während seiner Inszenierung von Dürrenmatts «Die Wiedertäufer» am Zürcher Schauspielhaus mit dem Autor angefreundet und ihn überredet, mit ihm nach Basel zu gehen. Das Direktoren-Gespann mit dem jungen aufstrebenden Regisseur und dem neun Jahre älteren Starautor stiess im internationalen Feuilleton auf grosse Resonanz.

«Basler Dramaturgie»

Eine, die gewissermassen bis heute nachhallt. Der aktuelle Intendant des Theaters Basel, Andreas Beck, beruft sich explizit auf die «Basler Dramaturgie» von damals. Konkret spricht er damit das Prinzip an, «den Goldschnitt des Klassikers zu überprüfen und alte Stoffe zu überschreiben» – eine Methode, die Dürrenmatt in Basel entwickelt habe, wie er in einem Interview mit der TagesWoche sagte.

Diese neue «Basler Dramaturgie» schlug ein. Im September 1967 eröffneten die beiden Co-Direktoren ihre erste Spielzeit in Basel mit der Bearbeitung der selten gespielten Shakespeare-Tragödie «König Johann». Dürrenmatt, der Tragödien nicht mochte, hatte das Werk zur Tragikomödie umgeschrieben. Die Produktion wurde zum gefeierten Erfolg, wie wenig später auch Dürrenmatts Nachdichtung von August Strindbergs «Totentanz», die unter dem Titel «Play Strindberg» bis heute weltweit auf den Spielplänen steht.

Brennpunkt von Kultur, Gesellschaft und Politik

Dürrenmatt stürzte sich in einen euphorischen Arbeitsrausch, wie Biograf Rüedi schreibt. Er dichtete nicht nur Klassiker neu, er organisierte Diskussionsrunden oder Protestveranstaltungen, etwa gegen den Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei im Mai 1968. Er schrieb Beiträge für die Theaterzeitung und Programmhefte, besuchte Proben, tröstete in seiner kleinen Wohnung am Barfüsserplatz Ensemblemitglieder und spendierte an Ensembleveranstaltungen Bordeaux-Weine.

«Mit Staunen sah ich, dass der Mann täglich nicht mehr als zwei bis drei Stunden schlief», wird der damalige Hausregisseur Erich Holliger in Rüedis Biografie zitiert. Dürrenmatt fügte sich zumindest zu Beginn in ein Kollektiv ein, das die Welt in Bewegung setzen wollte, und das Theater zum grenzüberschreitenden Brennpunkt von Kultur, Gesellschaft und Politik erhob.

Missverständnisse trübten das Verhältnis

Mit der Zeit begannen sich aber auch Missverständnisse abzuzeichnen. Denn der grosse Autor wollte mehr sein als ein Rädchen im Kollektiv. «Dürrenmatt wollte ein Dürrenmatt-Theater», sagt Düggelin. Der Autor hatte im Hinterkopf, in Basel so etwas wie ein eigenes Autorentheater nach dem Vorbild von Brechts «Berliner Ensemble» zu verwirklichen, schreibt auch Biograf Peter Rüedi. Dürrenmatt liess vor lauter Begeisterung ausser acht, dass sich dies an einem klassischen Dreispartenhaus in einer vergleichsweise kleinen Stadt niemals hätte verwirklichen lassen.

Damit stiess er bei den Mitstreitern zunehmend auf Skepsis und löste letztlich auch eine Gegenbewegung aus: Regisseur Düggelin und das Ensemble schraubten Dürrenmatts Bearbeitung von Lessings «Minna von Barnhelm» während den Proben auf den Originaltext zurück, die Neudichtung von Shakespeares «Titus Andronicus» wich einer Bearbeitung durch Regisseur Hans Hollmann.

Eklat in der Kunsthalle

Dürrenmatt, der sich von einem Herzinfarkt erholen musste, bekam erst spät mit, dass seine Stückbearbeitungen mehr oder weniger im Papierkorb gelandet waren. Zur gleichen Zeit wurde Düggelin wegen eines erschöpfungsbedingten Lungenleidens ausser Gefecht gesetzt. So kam es, dass die Beziehung des Traumgespanns in Abwesenheit der Hauptdarsteller in eine veritable Krise schlitterte.

Am 14. Oktober 1969, während eines Pressegesprächs im Restaurant Kunsthalle, kam es zum Eklat. Dürrenmatt tauchte auf. Er gab sich als Journalist des damaligen Zürcher «Sonntags-Journals» aus und erklärte in einem theatralischen Auftritt seinen Rücktritt.

Dabei liess er kein gutes Haar am Theater, in das er so grosse Hoffnungen gesetzt hatte: «Mit den Leuten, die das Basler Theater führen, kann man kein Theater führen», schrieb er im «Sonntags-Journal». «Ich kann es der Stadt gegenüber nicht mehr verantworten, den bankrotten Institutionen zu dienen, die sie und damit auch mich subventioniert.» Sich selber bezeichnete Dürrenmatt in seiner wüsten Abrechnung als «den grössten Narren» an «diesem Theater der Narren».

Rüge von Max Frisch

Der öffentliche Rundumschlag gegen seinen Mitstreiter Düggelin trug Dürrenmatt unter anderem eine Rüge durch seinen Schriftstellerkollegen Max Frisch ein – allerdings in einem Brief, den dieser nie abschickte. «Jetzt machst du Werner Düggelin öffentlich zur Sau und zwar als Person wie als Artist, Rufmord erster Klasse», schrieb Frisch. Und: «Dass du die andern nicht zu Wort kommen lässt, das geht, so lange du witzig bist; nur ist der Gekränkte selten witzig, sondern verfällt leicht einer unkontrollierten Eitelkeit.»

«Die Art, wie Dürrenmatt abtrat, verletzte mich sehr», sagt Düggelin, «da brach eine enge und sehr freundschaftliche Beziehung auseinander.» Zur Versöhnung der früheren Freunde kam es nicht mehr. Dennoch bezeichnet Düggelin die guten Momente der Zusammenarbeit noch heute als wunderbar. Gute Momente, die sich nicht nur auf die Theaterarbeit beschränkten: «Dürrenmatt hatte mir die grossen Bordeaux-Weine nähergebracht», sagt er.

Für Düggelins erfolgreiches Theater blieb Dürrenmatts Abgang ohne negative Folgen. Das Basler Theater entwickelte sich unter ihm weiter zu einer der führenden und stilbildenden Bühnen im deutschsprachigen Raum. Für Dürrenmatt begann sich indes langsam aber sicher das Ende seiner grossen Laufbahn als Dramatiker abzuzeichnen. Beinahe wehmütig klingen seine Worte in einem Interview, das er fast zehn Jahre nach dem Eklat der «Weltwoche» gab. Streitigkeiten seien vergänglich, sagte er. Und: «Das erste Jahr mit Düggelin war meine schönste Theaterzeit überhaupt.»
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Friedrich Dürrenmatt ist 25 Jahre nach seinem Tod wieder in aller Munde – auch aufgrund eines Films, der derzeit in den Schweizer Kinos läuft. Wir widmen dem grossen Schweizer Autor unser Wochenthema.

Bereits erschienen:
» «Dürrenmatt – eine Liebesgeschichte» (Film)

» Kampf der toten Dichter: Dürrenmatt versus Frisch

» Auf Dürrenmatts Spuren: Eine Wanderung durch die Twannbachschlucht, wo sich «Der Richter und sein Henker» trafen.

 

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