Regisseur Sebastian Nübling und Choreograf Ives Thuwis lassen barocke «Melancholia» auf den Schwermut der vom Glückswahn geprägten Jugend von heute prallen. Das Resultat ist ein trotz des Themas beschwingtes Panoptikum der Gegensätze – getragen von hinreissender Musik.
«Bring mir meinen Liebsten zurück, so wie er einst war, oder töte mich, damit ich nicht mehr leide». Herzzerreissend klagt die junge Sängerin im blauen Kleid vom Liebesleid. Ein Moment voller Schwermut und Einsamkeit, doch um sie herum wuselt eine Schar Jugendlicher, die ihr Leid mit der Handycam aufzeichnen.
Das «Lamento della Ninfa» von Claudio Monteverdi ist so hinreissend schön (gespielt vom Barockorchesters La Cetra, gesungen von Bryony Dwyer), dass es ans Herz rührt. Wie nur kann man da das Smartphone aus der Tasche ziehen und so hemmungslos die Kamera draufhalten?
Es sind diese markanten Kontraste, die den unterschiedlichen Umgang mit Melancholie und Schwermut vor 400 Jahren und heute verdeutlichen. Damals gewährte die Musik des Barocks den Tiefen der Gefühlswelt allen Raum; heute zappeln junge Menschen alle Schwermut weg, versuchen mit Selfies das nicht vorhandene Glück zu simulieren und alles mit Hyperaktivismus zu übertünchen.
Ein Programm der Kontraste
Regisseur Sebastian Nübling und Choreograf Ives Thuwis setzten im Musiktheater- und Tanzprojekt «Melancholia» auf diese krassen Kontraste. Auf der Bühne stehen, sitzen und agieren 16 Musikerinnen und Musiker des Barockorchesters La Cetra mitsamt ihrem Leiter Andrea Marcon, 6 Sängerinnen und Sänger sowie 19 jugendliche Tänzer aus den Reihen des Jungen Theater Basel.
La Cetra und das Junge Theater Basel beweisen an diesem Abend einmal mehr, dass die Kulturstadt Basel zu Recht stolz sein kann auf diese Vorzeigeinstitutionen. Dabei könnten die Gegensätze zwischen den beiden kaum grösser sein. Die Jugendlichen, die man kürzlich erst bei der ebenfalls von Nübling inszenierten Produktion «Noise» durch den von lauter Rockmusik erfüllten Raum stampfen sehen konnte, zappeln, springen und hetzen nun zu sanfter Barockmusik von Monteverdi, Henry Purcell und weniger bekannten Komponisten über die Bretter. Die Bühne hat Muriel Gerstner als Blackbox mit einem riesigen Bildschirm im Hintergrund gestaltet.
Die Gegensätze als Verstärker
Funktioniert das? Ja, das tut es. Nübling setzt auf das Prinzip, dass harte Kontraste die verschiedenen Facetten eines szenischen Bilderreigens verstärkt hervortreten lassen. Und das geht so: Der herausragende Countertenor Tim Mead (der auch spielerisch eine wunderbare Figur abgibt) besingt die «Einsamkeit, du Qual der Herzen». Um so deutlicher wird sein Alleinsein, weil rundherum Betrieb herrscht wie in einem Ameisenhaufen, und weil auf der Box, auf der er sitzt, zwei Mädchen ihre Brüste und Hüften in Idealform zu pressen versuchen.
Der Melancholie entfliegen: Der Junge (Andrew Hale) machts vor, der Ältere (Tim Mead) gibt schnell auf. (Bild: Sandra Then)
Und es funktioniert, weil die temperamentvolle, auf die jugendlichen Laien zugeschnittene Choreografie es schafft, diese Gegensätze zu betonen, ohne dass die Musik darunter leidet. Und weil sowohl die Sängerinnen und Sänger als auch die Jugendlichen in ihren Gruppen- und Solopartien ausgesprochen präzise und spielfreudig agieren. Einziger Makel ist, dass der Abend, der mit Ausnahme des in seiner Einsamkeit gefangenen Countertenors keine Erzählebene hat, mit einer Stunde und fünfzig Minuten etwas lang ist und das Geschehen in der Mitte etwas durchzuhängen beginnt.
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«Melancholia» von Sebastian Nübling und Ives Thuwis. Koproduktion mit dem Jungen Theater Basel. Theater Basel, Grosse Bühne. Weitere Vorstellungen bis 25. Juni.