Das Sommercasino ändert mal wieder das Konzept. Bei der neuen Crew steht nur noch die Gebäudehülle unter Denkmalschutz. Alles andere sollen Junge mit Kultur auf den Kopf stellen.
Neun Monate war die bunte Villa beim St.-Jakobs-Denkmal geschlossen. Der einstige Jungbrunnen der Basler Jugendkultur wurde durch hausinterne Schlammschlachten selbst ein Mahnmal. Leider eines des Scheiterns.
Das Publikum blieb dem Sommercasino fern, und man sprach nur noch von fehlendem Kapital statt über bewegende Kultur. Die Szene nahm die Querelen kopfschüttelnd zur Kenntnis – und belebte andere Orte.
Nach fast 30 Jahren gab die Jugendarbeit Basel (ehemals BFA – Basler Freizeitaktion) die Trägerschaft des Hauses deshalb Ende 2015 an den Verein Junge Kultur Basel ab. Dieser stellte nun bei einer Baustellenbesichtigung das neue Konzept vor.
Unbelastete Kräfte mit viel Know-how
Der neue Geschäftsleiter Mich Gehri startete mit einem historischen Abriss des bald 200-jährigen Gesellschaftshauses, das schon zu Beginn zum Tanzen gedacht war, im 2. Weltkrieg aber auch Flüchtlinge beherbergte. Die bewegte jüngere Geschichte blendete der Berner, der 2011 für die Programmleitung des Sud nach Basel kam, komplett aus: «Ich kannte das Sommercasino vor allem von den Konzerthinweisen früher auf DRS 3», erklärt er im Gespräch nach dem Rundgang. Als Gast sei er in den fünf Jahren Basel kaum im Sommercasino gewesen.
Auch Tanya Gavrancic, die neu für das Booking und die Produktionen zuständig ist, kennt die Stadt erst seit Juni: «Für mich ist das Haus ein weisses Blatt. Ich weiss nur, dass es ‹e huere geile Ort isch›, wo ich etwas reissen will.» Klingt naiv, doch genau diese unbelastete Lust am Aufbau bietet die Chance für einen erfolgreichen Neustart des Sommercasinos.
«Für mich ist das Haus ein weisses Blatt», sagt die neue Bookerin Tanya Gavrancic. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Die Stadt und ihr Gerede kennt Gavrancic vielleicht nicht, den Sound aber schon: «Basel hat eine Unmenge guter Bands. Viele fliegen aber unter dem Radar der Öffentlichkeit. Hier will ich eine Möglichkeit schaffen, dass sie sich präsentieren können.»
Mit dem 500er-Saal bietet sich auch die Möglichkeit, Basler Bands als Support vor grösseren internationalen oder Schweizer Acts auftreten zu lassen. Die Beziehungen und das Know-how dafür hat Gavrancic zweifellos. Die letzten zehn Jahre baute sie den Jugendsender Joiz mit auf, war im Gründungsteam des One Of A Million Festivals in Baden, Teil des Berner ISC-Clubs und betreute viele Bands in noch mehr Funktionen. «Ich hab schon fast alles gemacht, was zu einem Konzert gehört – ausser selber auf der zu Bühne stehen.»
Das Herz schlägt im Keller, den Puls bestimmt die Jugend
Diese Vielseitigkeit ist im neuen Konzept gefragt. Denn das Sommercasino soll fortan nicht nur Platz für Musik bieten. Geschäftsleiter Gehri sagt: «Wir bieten eine Plattform für alle Kultursparten.»
Damit auch Theater, Tanz oder Ausstellungen von Fotografie und Bildender Kunst möglich sind, wurden die beiden Räume des Sommercasinos neu gestrichen und eingerichtet. Das Herzstück des Hauses ist für Gehri nicht der grosse Saal mit einer Kapazität für 500 Leute, sondern der kleine 100er-Club im Keller: «Hier können junge Künstler experimentieren, etwas wagen, anecken und ausloten. Der Raum ist wandelbar wie die Generationen.»
Findet ein Format anklang, kann man es im grossen Saal weiterziehen. Am liebsten würde Gehri im Untergeschoss auch die Wand eines ehemaligen Proberaumes rausreissen, damit eine Lounge entsteht, «doch das müssen wir noch mit dem Denkmalschutz klären».
In drei Wochen sieht das alles wieder piekfein aus. Dann eröffnet das umgebaute Sommercasino. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Der Jugend will der Gesamtleiter möglichst keine Schranken setzen. Ist der Umbau mal erledigt, soll vor allem ihre Kreativität das Haus beleben. «Sie müssen die Ideen haben. Wir liefern nur Boden und Dünger, damit diese gedeihen können» – also Infrastruktur und Know-how. Der Enddreissiger ist überzeugt, dass die heutige Jugend den Do-it-yourself-Geist genauso enthusiastisch lebt wie die Kulturszene in den 70er-Jahren. Andere florierende Schweizer Clubs wie das Kofmehl in Solothurn, die KuFa in Lyss oder das KiFF in Aarau zeugen davon.
Viele Gestaltungs-Möglichkeiten
Das Gestalten betrifft nicht nur die Bühnen. Das erste grafische Konzept wurde vom jungen Basler Grafiker Noé Herrmann erstellt. Die Möglichkeit will Gehrig im Drei-Monate-Rhythmus weitergeben und ergänzt: «Das Haus bietet nicht nur Möglichkeit, sich kreativ zu entfalten. Man kann auch wertvolle Erfahrung sammeln und helfen, etwa beim Catering oder der Bandbetreuung – und schon beim Umbau wuchs die Crew freiwilliger Mitgestalter auf locker 20 Leute.»
Rebecca Metzger und Chiara Selva sind zwei davon. Die beiden 19-Jährigen haben im Sommer die Matura gemeistert und schleifen nun ihre selbstgezimmerten Paletten-Sitze. «Ein Freund sagte uns, dass man hier etwas mitgestalten kann», so Selva. Seit Anfang Woche legen die Freundinnen freudig Hand an.
Den Bändeln an ihren Handgelenken nach sind sie fleissige Konzert- und Festivalgängerinnen. Im Sommercasino waren sie bisher aber kaum: Eine an einer Geburtstagsparty, die andere an einer Plattentaufe. Für sie lief zu viel Hip-Hop im Sommercasino. Auf die Neueröffnung Anfang September freuen sie sich, obwohl Metzger dann einen neuen Job anfängt. Doch kommt sie gerne als Gast, «wenn das Programm offener und damit spannender ist». Ausserdem wollen sie dann die Sitze testen. «Diese hier sind für die Lounge im Club. Aber wir haben 80 Paletten. Mal sehen, was das Sommercasino mit den weiteren Sitzen noch machen kann.»
Kontakt mit Nachbarschaft dank Park-Kaffee
Vielleicht stehen ein paar der Paletten auch bei der Aussenbar. Philipp Geisinger, der neue Gastronomie-Leiter, gibt nach dieser Sommersaison die Flora Buvette am Rheinbord ab. Neu will er den Park des Sommercasinos beleben – am liebsten ganzjährig. Hier sollen sich die Hausnutzer mit den Bewohnern der Umgebung treffen. «Ein sozialer Austausch mit den Nachbarn und zwischen den Generationen ist uns wichtig. Das ist für alle bereichernd», so Gehri.
Der Gesamtleiter ist überzeugt, dass die Jugend von heute genauso anpacken kann und will wie anno dazumal in den 70er-Jahren. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Ausdrückliche Sozialarbeit, wie sie im ältesten Jugendhaus der Schweiz seit 1961 betrieben werden sollte, steht jedoch nicht im neuen Konzept. Auf der Lohnliste findet sich auch kein Sozialarbeiter. Gehri: «Uns geht es in erster Linie um junge Kultur.» Um sich vom alten Jugendhaus-Image abzugrenzen, sind die Anlässe denn auch ab 18 Jahren. «Wenn 16-Jährige kommen, sind leider die 23-Jährigen weg.» Für die Jugendlichen gibt es ja das Badhüsli St. Johann, das sich während der Misere des Sommercasinos einen guten Ruf bei Nachwuchsbands erspielt hat.
Tobit Schäfer, Geschäftsführer des RFV Basel, hofft, dass das Sommercasino für die Basler Musikszene wieder relevant werde wie vor zehn Jahren. Die Karrieren einiger Basler Bands wurden an diesem Ort lanciert. Ohne den Gewinn des damaligen Sprungbrett-Wettbewerbes gäbe es die Lovebugs kaum, und auch der RFV selbst hat hier seinen Ursprung.
Neustart statt Nostalgie
Nostalgie-Schwelgerei findet auch die neue Crew spannend. Doch noch lieber hört sie neue Ideen. Sie will Neues schaffen. Oder wie Gavrancic sagt: «Wir finden Aufbau recht spannend.»
Anfang September startet man mit einem Weekend im kleinen Club. Wenn das Hausherz mal schlägt, wird es spannend, welcher Puls im Sommercasino tickt. Die Zeit für den Neustart der Bühne ist günstig. Vergleichbare Bühnen und Veranstaltungsräume sind in Basel rar. Und da das Parterre erst Mitte November wieder loslegt und die neue Kuppel noch in weiter Ferne ist, kann man hoffen, dass das St.-Jakobs-Denkmal bald wieder als Veloparkplatz zweckentfremdet werden muss, weil alle anderen Ecken ums Sommercasino bereits vollgestellt sind.
_
Ab 1. September schweigen die Baumaschinen und hämmern die Bässe. Das Progamm mit Basler Musik findet man hier.