Rocky zeigt uns, wie man über sich selbst hinauswächst

Dem Mythos «Rocky» können weder missratene Sequels noch schmalzige Klischees etwas anhaben. Das liegt an seinem Schöpfer Sylvester Stallone.

(Bild: © Studio / Produzent)

Dem Mythos «Rocky» können weder missratene Sequels noch schmalzige Klischees etwas anhaben. Das liegt an seinem Schöpfer Sylvester Stallone.

Verehrung die tief geht: Mancher Rocky-Fan lässt sich den Boxer sogar unter die Haut stechen.PS: Nein der Autor gehört nicht dazu.

Verehrung die tief geht: Mancher Rocky-Fan lässt sich den Boxer sogar unter die Haut stechen.
PS: Nein der Autor gehört nicht dazu. (Bild: zVg)

Rocky ist ein Held. Auch wenn das lächerlich klingt: Er ist mein Held. Die Filme habe ich in mich aufgesogen, und zwar bei jeder einzelnen Wiederholung nach Mitternacht auf zweitklassigen deutschen Privatsendern. Bei den Kampfszenen konnte ich nicht still sitzen. Stattdessen habe ich zuvorderst auf der Couchkante nervös zuckend mitgefiebert, die Hände unbewusst zu Fäusten geballt.

Jedes Mal, wenn ich beim Joggen eine Treppe hinaufrenne, sehe ich die epischen Szenen auf den «Rocky Steps» vor mir. Jedes Mal, wenn im Boxkeller «Eye of the Tiger» von Survivor läuft, rotiert mein Springseil doppelt so schnell. Jedes Mal, wenn ich mich am Speed Ball abmühe, hämmert in meinem Kopf Rocky mit knapp 200 Beats pro Minute auf die lederne Birne.

Grosse Träume sind kitschig

Natürlich sind die «Rocky»-Filme etwas kitschig, eine Spur naiv: Junger Migrant aus ärmlichen Verhältnissen boxt sich an die Spitze der Gesellschaft, erringt nebenher das Herz seiner Angebeteten. Im Ring eine erbarmungslose Kampfmaschine, ausserhalb ein sensibler, von Selbstzweifeln geplagter junger Mann. Grosse Träume sind immer etwas kitschig.

Die Filmbesprechung zu «Creed» finden Sie hier.

In den späteren Filmen, vor allem in den Teilen 3 bis 5, kommen zum Kitsch noch die Klischees hinzu. Volksheld Rocky muss Stellvertreterkämpfe führen, die grossen gesellschaftlichen Schlachten bestreiten. «Rocky 3» steht für einen gesellschaftlichen Riss, der sich bis heute durch die amerikanische Gesellschaft zieht. Der gutsituierte Weisse (Rocky) muss sich mit einem erfolgshungrigen, naturgewaltigen schwarzen Boxer (Mr. T als Clubber Lang) rumschlagen. Erst die Demut einer Niederlage lehrt ihn, die Wohlstandsträgheit abzuschütteln und seinen Platz an der Spitze der Nahrungskette zurückzuerobern.

Teil 4 erscheint dann 1985, und Rocky steigt im «Kampf des Jahrhunderts» gegen den sowjetischen Superboxer Ivan Drago (Dolph Lundgren) in den Ring, um mal eben so im Alleingang den Eisernen Vorhang auszuknocken. Für den fünften Teil schämt sich Sylvester Stallone heute noch (zu Recht), und «Rocky Balboa», wie Teil 6 hiess, geriet zum Trauerspiel. Es sei denn, jemand findet Gefallen daran, einem 60-Jährigen voller Steroide beim Workout zuzuschauen.

Gründermythos und Parallelen zum Leben Stallones machen die Figur Rocky grösser als missratene Sequels.

Dass die Figur Rocky grösser ist als noch das missratenste Sequel, liegt wohl an ihrem Schöpfer Stallone selbst. Ein regelrechter Gründermythos umgibt die Geschichte des ersten Films: Stallone, der halb verhungerte, teils obdachlose Schauspieler in Los Angeles, muss jede Rolle annehmen, um sich und seine Familie durchzubringen. So spielt er sogar für 200 Dollar in einem Softporno mit.

Inspiriert von einem Boxkampf, in dem ein Underdog überraschend lange gegen einen Champion durchhält, schreibt er innerhalb dreier Tage das Drehbuch zu «Rocky». Für das Skript wird ihm viel Geld angeboten, doch Stallone besteht darauf, die Hauptrolle selbst spielen zu dürfen. Irgendwann gelingt es ihm, die Produzenten von seinem «wahnwitzigen Plan» (wie er ihn heute nennt) zu überzeugen. Das zahlt sich für alle Beteiligten aus, «Rocky» gewinnt 1977 drei Oscars und macht Stallone über Nacht zum millionenschweren Superstar. 

«Creed» heisst nun der neueste Spinoff der «Rocky»-Reihe. Spin-off, nicht Sequel, wie Stallone nicht müde wird zu betonen. Darin steht Rocky zum Glück nur noch in der Ecke des Rings, wo er seinem Schützling Adonis Creed (der uneheliche Sohn von Rockys Erzrivalen und Freund Appollo Creed) dabei hilft, über sich selbst hinauszuwachsen.

Das ist Rockys Erbe – das, was ihn zum Helden macht: die Fähigkeit, über sich selbst hinauszuwachsen.




Wille besiegt gesellschaftliche Nachteile, Körper besiegt gegnerischer Boxer. (Bild: © Studio / Produzent)

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Natürlich haben wir uns «Creed» angesehen. Die Filmbesprechung finden Sie hier:

» Creed: Rocky verlässt den Ring hoch erhobenen Hauptes 

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