Marcel Schwald stellt sich in seiner neuen Produktion «Together» in der Kaserne Basel einer viel zu grossen Frage: Wie funktioniert Gemeinschaft in der menschlichen Zivilisation? Klar, dass er und sein Ensemble damit heillos im Klamauk landen. Aber die Wendung nach der Pause hat es in sich.
In der Kaserne, heisst es, gibt es während den Aufführungen keine Pause. Überhaupt sind Vorstellungsunterbrüche im freien Theater sehr selten. Marcel Schwald hat in seiner neuen Produktion «Together» trotzdem eine Pause angesetzt. Und zwar anderthalb Stunden nach Beginn, während die Gesamtspielzeit mit zwei Stunden angegeben war.
Aber sie musste sein, es ging nicht anders. «Was wir bis jetzt gemacht haben», sagt eine der Schauspielerinnen direkt vor der Pause in einem zeternden Monolog, «war alles so huschi-huschi! Das geht so nicht weiter. Wir müssen mit der Lupe hinschauen, wenn wir wirklich was herausfinden wollen.» «Ja», sagt darauf ein anderer, «also dann machen wir jetzt mal 15 Minuten Pause.»
Aber interessant: Die Gruppe hat anderthalb Stunden etwas durchgespielt, was gar nicht funktioniert und es selber gewusst. Sehr schön formuliert es derselbe Schauspieler in einem Gespräch nach der Vorstellung: «Es war doch von Anfang an klar, dass wir direkt in eine Wand laufen.»
«Es war doch von Anfang an klar, dass wir direkt in eine Wand laufen.»
Vorgeführtes Scheitern also. Die Aufgabe, die sich Marcel Schwald und seine Crew vorgenommen haben, ist auch gross. Ausgangslage ist ein Buch von Richard Sennett mit dem Titel «Together – The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation». Gemeinschaft ist das Thema und die Frage lautet, wie das Zusammenleben in den verschiedenen Phasen und Regionen der menschlichen Zivilisation funktioniert. Sozusagen die Grundfrage nach Kultur, ganz von vorn.
Mesopotamischer Ackerbau in fünf Minuten, von links: Daniel Hinojo, Patricia Nocon, Susanne Abelein, Léonard Bertholet, Olivia Csiky-Trnka, Julia Schmidt. (Bild: Lukas Acton)
Als erstes haben sie dann auch wirklich ein belaubtes Waldwesen auf die Bühne gesetzt, das uga-uga macht und seine Mitwesen auffordert, auch uga-uga zu machen. Dann sind Adam und Eva dran (schwul übrigens, nichts für überzeugte BLT-Kunden), eine andere Schauspielerin spielt die Schlange und Gott steht erhöht auf einem Baugerüst. Doch es wird noch trashiger. Die Nachkommen und Ehegatten der alteuropäischen Königshäuser werden durch Gemüsekisten veranschaulicht, und dann rutschen die Schauspieler in denselben Kisten durch Nebel aus Maschine – in der Rolle der spanischen Eroberer Amerikas.
Klamauk ist auch keine Lösung
Die grosse Frage war zu gross. Wie soll man das darstellen, die menschliche Gemeinschaft an sich? Schwald tut nicht so, als wüsste er eine Antwort. Und das macht die Schauspieler, wie sie da rumhampeln im Klamauk und Gemeinschaft als Kinderspiel zeigen, so sympathisch. Man kann ihnen nicht böse sein. Und zugleich nervt es. Klamauk ist eine anstrengende Lösung, um sich mit Überforderung zu arrangieren. Soweit war ich auch schon, denkt man sich beim Zuschauen.
Im Garten Eden: Olivia Csiky-Trnka. (Bild: Lukas Acton)
Wahrscheinlich ist es Geschmackssache. Die einen amüsieren sich königlich und finden die Sache auf den Punkt gebracht, die anderen schauen schon bald mal auf die Uhr. Und deswegen war die Pause unumgänglich. So gings nicht weiter, aber die Frage nach der Gemeinschaft war damit natürlich nicht vom Tisch. Es ist ja schliesslich nicht so, dass wir für unsere Gegenwart wüssten, wie Gemeinschaft funktioniert.
Nicht nachspielen, sondern herbeiführen
Und dann findet Schwald doch noch eine Antwort. Oder genauer: Techniken, wie man die Mitglieder einer Gemeinschaft herausfordern kann, miteinander zu funktionieren. In der Pause lässt er die Bühne räumen, die bis dahin mit Kuriositäten vollgehäuft war. Fertig Krimskrams, so wie auch fertig mit der spassigen «history show», wie die Schauspieler sie selber nennen.
Schwald lässt nun davon ab, Gemeinschaft nachzuspielen, sondern probiert sie in einer Schlüsselszene aus. Er will sie nicht länger erklären, sondern schauen, wie sie sich herstellen lässt. Die Gruppe, die sich im Theater dafür anbietet, ist das Publikum. Auch wenn das gefährlich ist, es gibt nicht umsonst das abschätzige Wort «Mitmachtheater».
Mitmachtheater oder Mitmacher
Doch die Gefahr umgeht Schwald. Die Schauspieler tragen das Gestänge eines Partyzelts in die Zuschauerreihen und erklären den Innenraum zur Wohlfühlzone. Das heisst: Jeder kann machen, was er will. Aufstehen, rausgehen, von aussen reinkommen, reden, die Schauspieler berühren.
Wie zu erwarten ist, passiert natürlich fast nichts. Es geht letztlich aber auch weniger darum, was tatsächlich passiert, sondern um die Möglichkeit, dass etwas passieren könnte. Es geht um etwas, was man im Alltag und in der Öffentlichkeit meist vergisst, nämlich dass man eigentlich auch mal etwas zu jemand anderem sagen könnte. Das Gefühl von Können, die Möglichkeit zum Handeln, das ist schon mal etwas.
Die Szenen in diesem zweiten Teil, von der die Wohlfühlzone nur eine ist, sind sehr fein, ein totaler Kontrast zur übermütigen Show vor der Pause. Und vielleicht musste man durch die wilden Versuche des ersten Teils durch, um sich das besonnenere Nachspiel zu verdienen.
Übrigens: Das Vorbild zur Wohlfühlzone ist der Salon einer französischen Dame im 18. Jahrhundert, die einen Gegenraum zur stieren Hofwelt schaffen wollte. Schwald bleibt sich und seiner «history show» also bis zum Ende treu, aber eben mit weniger Show und dafür mehr Performance. Offensichtlich ist das Zeigen von Gemeinschaft zurzeit weniger wichtig als das Herbeiführen im Spiel auf der Bühne.
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«Together»: 29. bis 31. Januar, 20 Uhr, 1. Februar, 19 Uhr. Kaserne Basel, Klybeckstrasse 1b. Mehr über den Basler Theatermacher Marcel Schwald im Porträt: Ein Basler, der wissen will, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält