Zwei grossartige Stimmen, die uns tief berühren. Dutzende Leuchtstäbe, die uns an die Kindergeburtstage der 90er erinnern. Und ein Froschgesang, der uns draussen Platz nehmen lässt: Das war der erste Festivalabend an der BScene 2015.
Und auf einmal gibt es kein Durchkommen mehr in dieser Freitagnacht: Stau vor der Reithalle, Einlasssperre, «s glemmt». In der Reithalle falsettiert Asaf Avidan wie ein Frosch, draussen protestieren einige forsch. Bringt nix, da kommt niemand mehr rein.
So geht das also, wenn BScene, das Basler Clubfestival, einen internationalen Star verpflichtet: der israelische Neofolkie Avidan landete vor drei Jahren indirekt in der Hitparade, durch einen Remix des deutschen DJs Wankelmut. Vor einem Jahr sang er zuletzt in Basel, im Grand Casino beim Flughafen, jetzt also die grosse Rückkehr. Die jungen Besucher stürzen sich in die Reithalle – und viele möchten nach vier Songs wieder raus, weil sie merken: Der Gesang nervt dann doch mit der Zeit.
Unsereiner nutzt dieses mitternächtliche Tohuwabohu, um sich in eine Ecke zu setzen und das Publikum an dieser 19. BScene zu betrachten, die Avidan-Hitzeile im Hinterkopf: «One day, Baby, we’ll be old / think about the stories that we could have told».
In der Basler Bandszene macht sich ein Generationenwechsel bemerkbar
Ja. Wer sich noch an die Anfangsgeschichte dieses Clubfestivals erinnert, gehört hier zum alten Eisen. Es ist ein weiterer Generationenwechsel im Gang, nicht nur beim Festivalpublikum, das in den Konzertsälen mitunter ganz aufgeregt und hormongesteuert plaudert statt lauscht. Auch auf der BScene-Affiche sind am ersten der beiden Abende wenige Namen sichtbar, die in den Nuller-Jahren schon aufgefallen waren.
Junge Talente stossen also nach, sorgen für eine willkommene Auffrischung dieser Musikszene. Den Auftakt machen am Freitag Amorph, eine Basler Instrumentalgruppe, die kürzlich ihr Debüt «Dreiundzwanzig» veröffentlicht hat. Schwarz gekleidet die Band, weiss die Lichter, und ein bisschen schwarz-weiss auch die Musik. So changieren ihre Songs meist zwischen der Schwerelosigkeit von Ambient und der treibenden Rhythmik des Industrial, was man schliesslich als Post-Rock verorten könnte.
Allerdings vermissen wir in ihren Instrumentals die Zwischentöne, die Graustufen. Die Kompositionen werden vorhersehbar, weil sie meist dem selben Schema folgen: Synthiewolke, treibender Drumbeat, raumfüllende Gitarren, Eruption, Zusammenbruch – und wieder von vorne. Da ist auf Dauer zu wenig Herausforderung drin, sind die Arrangementverläufe zu statisch (so wie ein Jahr zuvor bei Static Frames auf derselben Bühne). Wer ganz auf instrumentale Musik setzt, muss mit Progmusikern mithalten, oder aber wie Mogwai mehr Zwischentöne einbauen. Wir sind gespannt, in welche Richtung es Amorph ziehen wird.
Vom Keller in den Rossstall: der Aufstieg der Space Tourists
Jung und ehrgeizig, das trifft auch auf die Basler Space Tourists zu, die wir erstmals vor drei Jahren im privaten Rahmen bei einem Kellerkonzert erlebten. Da waren sie noch junge Gymischüler, klangen wie Joy Division, aber ohne diese Band überhaupt zu kennen. Es folgten regionale Gigs, Fans, Wettbewerbe wie das RFV-Demotape Clinic, die sie gewannen und die Aufnahmen in einem Studio. Jetzt haben sie ihre Debüt-EP im Rossstall gefeiert, vor 500 Leuten. So schnell kann es gehen, wenn Talent und Wille aufeinandertreffen.
Allerdings haben sie sich mit ihrer Plattentaufe am Freitag ein wenig übernommen: Wie die Grossen wollten sie gross anrichten, boten 14 Musiker auf, um ihren britischen Indiepop mit Strings und Horns zu garnieren. Das grosse Unterfangen begann aber recht wackelig angehörs des Streicher-Intros, das auseinanderzufallen schien. Die eingespielte Kernband sorgte danach für Standfestigkeit, bescherte uns ganz famose Momente (auch dank der Gäste, darunter ein fantastisches Tenorsax-Solo). Im Vordergrund: Ein Duettgesang, wie wir ihn je nach Jahrgang durch Arcade Fire oder The Human League lieben gelernt haben. Wann hat man in Basel zuletzt eine Schülerband erlebt, die auf diesem Level Popmusik machte? Länger her, wir erinnern an die Kapoolas, ca. 2008.
Nicht gleichermassen zu überzeugen vermag eine andere junge Band: Delorian Cloud Fire sieht man ebenfalls an, dass sie ihre Sache unbedingt ganz gross und gut machen wollen. Aber wer im Jahr 2015 zur Animation fluoreszierende Leuchtstäbe ins Publikum wirft, hat von Beginn weg viel Kredit verloren. Dass der Gesang an die Stimme der Cranberries erinnert, komplettiert unseren 90er-Backflash. Wünscht man sich diese Zeit zurück? Noch nicht wirklich.
«Thorne» – eine grossartige Stimme verschafft sich Gehör
Ein grosser Irrtum, dem gerade junge Festivalbesucher unterliegen, ist oft jener, dass die besten Bands in den grössten Sälen spielen. Stimmt so nicht. Am Freitag Abend haben wir das aufwühlendste Konzert im kleinsten Club erlebt, im Parterre. Da steht eine Frau, Mitte Zwanzig, steht da still und bewegt ungemein. Charismatisch, authentisch wirkt sie, ihre Stimme trifft direkt in Herz und Seele. Wir spüren, wir fühlen und wir notieren: Wenn Ira May die Amy Winehouse der Region ist, dann steht Nadja Vogt für Adele. Aber nicht, dass das jetzt haften bleibt, dieses Etikett.
Thorne heisst die Band, sie trat früher als The Greatest auf, an der Seite von Vogt spielt und singt Chris Weber, der Mick Ronson der Schweiz. Ein Kontrast zum Gros der BScene-Musiker: Als Ü-40er bildet er die grosse Ausnahme im jung besetzten Feld, hat er doch schon in den 90er-Jahren als Gitarrist bei Dominique & The Wondertoys Basler Rockgeschichte mitgeschrieben. Doch gerade solche erfahrene Musiker tun diesem Festival gut, bereichern es, denn hier in der Intimität des Parterres erfahren wir die höchste Musikalität des gesamten Abends: eine hervorragend aufspielende Band, ein nicht minder grossartiger Soundmix und stimmige Songs – abgesehen von wenigen Ausnahmen am Ende des Sets, als sich die Band im Powerrock der 80er-Jahre verliert, statt bei der zeitlosen, von Nachdenklichkeit und Sehnsüchten geprägten Gegenwart zu bleiben, mit der sie uns in der ersten Sethälfte tief berührt hat.
Vogts dunkles Timbre, ihre raumfüllende Stimme ist nicht die einzige, die uns an diesem Abend umhaut. Auch der heisere Gesang von Luca Daniel sticht heraus, sticht ins Herz. END heisst die Band, sie überzeugt nicht nur mit einer starken Lichtinstallation, sondern auch mit eindringlichen Melodien, unterlegt von dringlichem Indierock. Die Songs fahren ein, wir fahren los, dringen ein, in einen hypnotischen Zustand, der ziemlich zu Beginn des Konzerts schon seinen Höhepunkt erreicht: «Alaska» heisst der Song, der auf einer nächsten Basler Band-Compilation unbedingt vertreten sein sollte.
Und dann war da noch ein scherzhaftes Versprechen von Regierungsrat Wessels
Neben Klängen und Melodien hallen nach diesem ersten Abend auch noch einige Worte nach: BScene-Präsidentin Jennifer Jans hatte zum Auftakt Polit- und Popprominenz ins Restaurant Union eingeladen. Dort befragte sie Philipp Schnyder von Wartensee vom Migros Kulturprozent zur Popförderung. Der Gründer und Leiter des Zürcher Festivals m4music wies darauf hin, wie marginal die Gelder noch immer seien, die in diese Sparte fliessen würden. «Das grösste Problem bei der Popmusik ist aber weniger, dass sie zu wenig gefördert wird, sondern vielmehr, dass sie zu fest weggedrückt wird», sagte Schnyder – und wünschte sich mehr Deregulierung.
Keine Frage, auch in Zürich hat man von den Sorgen der Basler Clubszene gehört. Ob Schnyders Plädoyer beim anwesenden Regierungsrat Hans-Peter Wessels auf offene Ohren stiess? Wann dürfen Clubbetreiber auf Deregulierungen hoffen, Herr Wessels? «Gleich Morgen», versprach der Regierungsrat. Wir einigten uns am Ende unseres Smalltalks darauf, dass das ein Scherz gewesen war.