Mit seinen Filmen – von «Boogie Nights» bis «Inherent Vice» – führt er uns in die obskuren Ecken Amerikas: Paul Thomas Anderson ist seit 20 Jahren einer der originellsten Filmemacher Hollywoods.
Paul Thomas Anderson macht Hoffnung. Sein erster Kurzfilm, eine Parodie auf Pornofilme, war furchtbar anzusehen (das Gedächtnis namens Youtube ist gnadenlos), die Weiterentwicklung des Stoffs aber war preisverdächtig. So bewies der Kalifornier allen Nachwuchsfilmern: Man kann talentfrei wirken mit 18 und zehn Jahre später dennoch für einen Oscar (bestes Drehbuch für «Boogie Nights») nominiert werden. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Paul Thomas Anderson macht auch Hoffnung, weil er im Zeitalter der Akademisierung der Künste sagt: «Das einzig gute an Filmhochschulen ist, dass man sein Geld zurückbekommt, wenn man schnell genug wieder aussteigt.»
Die Quartier-Videothek als Masterclass
Er wusste schon als Teenager, dass er Filme drehen wollte, und begann ein entsprechendes Studium in New York. Doch gab er es nach zwei Tagen auf. Alles, was er übers Filmemachen wissen musste, habe er durch die Filme und die Kommentare der Regisseure auf den DVDs erfahren, sagt Anderson.
Die Quartier-Videothek als Masterclass – das kennen wir auch aus der Biografie von Quentin Tarantino. Tatsächlich bewundern sich die beiden Filmemacher gegenseitig und gehören zur überschaubaren Anzahl Autorenfilmer, die Hollywood seit den 90er-Jahren bereichern.
Episch, hypnotisch, kryptisch
Ob «Boogie Nights» (1997), «There Will Be Blood» (2007) oder aktuell «Inherent Vice»: Die Filme von Paul Thomas Anderson sind ein Ereignis; oft episch, hypnotisch, leicht kryptisch. Er selber wirkt dagegen bescheiden, zugänglich, fast unscheinbar. Wie der Kumpel von nebenan, mit dem man ein Baseballspiel besuchen und einen Hot Dog mampfen will. Doch so unauffällig er auch aussieht, seine Filme sind es nicht. Von der grassierenden Ideenlosigkeit der grossen Hollywood-Studios hat sich Paul Thomas Anderson nicht anstecken lassen, obschon er für diese arbeitet und noch immer dort wohnt, in den Hügeln von Los Angeles.
Wer seine Karriere zurückverfolgen will, der fährt in Gedanken hinein in dieses Valley, wo er in einer liberalen, den Künsten zugeneigten Familie aufwuchs (harmonisch) und sein Interesse an existenziellen Themen geweckt wurde; die Pornofilme im Büro seines Vaters waren ihm ebenso lehrreich wie Steinbecks Bücher («Früchte des Zorns»). Und wie der andere grosse Anderson des amerikanischen Autorenkinos, Wes Anderson, rückt auch Paul Thomas durchs Band die Familie ins Zentrum seiner Filme.
In «Boogie Nights» siedelte er diese Familie in einer Subkultur an: In der jungen Pornoindustrie, als diese ihre Unschuld noch nicht verloren hatte. Alles da, was gute Laune machte: Geld, Glamour, Spass, Sex. Und wer grad nicht gut drauf war, zog sich die gute Laune durch die Nase rein. Dazu plantschen im Pool und Disco ohne Ende.
Was als Feelgoodmovie beginnt, wird jedoch zur Tragödie. Die Oberfläche, über welche die Pornodarsteller gleiten, ist von Rissen durchzogen, die nicht mehr zu kitten sind. Stigmatisierung, Selbstbetrug, Sauereien: Der Eskapismus vermag die individuellen Zerrüttungen, die persönlichen Dramen nicht zu übertünchen. Die Zeit, ihre Zeit, läuft ab – und der Filmemacher führt uns das schonungslos brutal vor Augen.
Ähnlich verhält es sich in «Magnolia», diesem kunstvollen, aber auch ein bisschen gekünstelten Episodenfilm, mit dem Anderson 1999 nach eigenen Angaben sein Opus magnum ablieferte. Darüber lässt sich streiten, denn wie er Daniel Day-Lewis als tyrannischen Öl-Tycoon inszeniert hat («There Will Be Blood», 2007) ist nicht minder beeindruckend. Da wäre aber auch die skurrile Liebesgeschichte «Punch Drunk Love», worin er Adam Sandler zu dessen grösster schauspielerischer Leistung führte.
Die Schauspieler als Familie
Die Schauspieler, sie gehören zu seiner Familie. Oder gehörten, so wie der 2014 verstorbene Philip Seymour Hoffman. Kein anderer Regisseur hatte ihm mehr Rollen zugetragen, ihm das Umfeld geboten, damit er sich entfalten konnte. Hoffman hat sich für das Vertrauen revanchiert und das eher maue Drehbuch zu «The Master» (2012) mit einer sensationellen Leistung gerettet. Andersons langatmiger Versuch, sich an einen Sektenführer heranzutasten (als Inspiration diente ihm Scientology-Gründer Ron L. Hubbard), ist durch die Leistungen seiner beiden Hauptdarsteller (nebst Hoffman auch Joaquin Phoenix) verzeihlich.
Wenn er mal als Autor nicht ganz zu begeistern vermag, hat er noch immer das Händchen, sensationelle Darsteller auf Zelluloid zu bannen. Ja, Zelluloid. Bis heute leistet er sich die Sentimentalität, auf digitales Filmen zu verzichten. Hollywood gewährt es ihm. Im Wissen, dass es durch Leute wie ihn (oder Tarantino, die Coen-Brüder und Wes Anderson) von den Feuilletons ernst genommen wird. Die coolsten Superhelden Hollywoods.
Eine Familie ist es auch, die ihn hinter der Kamera begleitet. Jonny Greenwood, der Gitarrist der britischen Band Radiohead, zeichnet für mehrere Soundtracks verantwortlich, und für die Bilder engagiert er seit 20 Jahren fast ausnahmslos Kameramann Robert Elswit.
Humor, Empathie und Tragik
Beide wirken auch bei «Inherent Vice» mit, dieser werktreuen, gelungenen Verfilmung eines Romans von Thomas Pynchon. Anderson zieht uns hypnotisch rein in eine skurrile Detektivgeschichte, erzeugt dabei einen Sog voller obskurer Ereignisse und Figuren, wie ihm das vor 18 Jahren schon mit «Boogie Nights» gelang, als er seine eigenartige Mischung aus Humor, Empathie und Tragik erstmals auf sensationelle Weise zusammenführte.
Dass er vordergründig gar nicht bedeutsam sein will, spricht für die Bescheidenheit des 45-jährigen Familienvaters. In erster Linie will er unterhaltsame Geschichten erzählen, sagt er. Und liefert en passant gesellschaftskritische Parabeln mit. Beides gelingt ihm ganz famos.