Was eine alte Grösse der Basler Musikszene vom Verriss der Jugend hält

Einst Treibstoff von Jugendbewegungen, schaffen es Hymnen heute kaum noch von virtuellen Playlists auf analoge Platten. Darüber schütteln wir alten Säcke schmunzelnd den Kopf und feiern befreit vom Druck des Zeitgeists ungeniert und ungebändigt. Alle paar Jahre sogar ein Jubiläum.

Vergiss den Verriss: Oli Joliat, Drummer der kürzlich kritisierten Lombego Surfers, stellt da mal was klar.

Als ewiger Neuzuzug der Lombego Surfers werde ich seit 13 Jahren von alten Fans «der Junge» gerufen. Und nun schimpft mich also die Redaktorin in der eigenen Zeitung «angegraut». Die paar Silberhaare sind bisher erst der Freundin aufgefallen, aber okay: Weitere spriessen mir deswegen keine. Die Kollegin muss auch keine «blutige Nase befürchten».

Eine Hampfel genüsslich ausgeteilter Beleidigungen können wir und wohl auch die anderen zwei geschmähten Basler Bands Brandhärd und Lovebugs bei all dem Schulterklopfen und Klatschen auf und neben der Bühne ohne Weiteres wegstecken. Da uns Lombego Surfers gerade wegen des Alters zunehmend Respekt gezollt wird, empfinden wir das Rüpeln sogar als höchst amüsant.

Rebellieren, fordere ich als Schlagzeuger der «Altpunkband», ist nicht nur Recht, sondern Pflicht der Jugend (auch wenn sich Kollegin Ronja Beck dieses Attribut mit 25 Jahren kaum mehr anheften kann).

https://tageswoche.ch/kultur/was-die-jugend-ueber-die-alten-groessen-der-basler-musikszene-denkt/

Umso schockierter mein Blick die Altersskala hinunter, wenn ich als Musikinteressierter an konzertfreien Wochenenden durch die Clubs ziehe, wo Musik von heute oder allerhöchstens von letzter Woche gespielt wird. Etwa bei der Block Party im «Viertel». Bei der Serie zelebrieren die besten DJs der Stadt (in meinem Alter) den musikalischen Zeitgeist auf dem Dancefloor. Die Serie ist so alt wie der Durchschnitt des Publikums, doch die Schlange vor dem Einlass wächst mit jedem Jahr. Die DJs meiner Generation treffen den Nerv noch immer.

Endlich drinnen, entlädt sich die aufgestaute Feierlaune. Würde man erwarten. Falsch gedacht: Statt nach dem Schweiss einer tanzenden Meute riecht es penetrant nach Axe-Deo und viel zu süssen Parfüms – ein verzweifelter Versuch der cool posierenden Jugend, ihre Pubertäts-Pheromone zu übertünchen. Als Gipfel der spätnächtlichen Profilierungsneurose trainieren die rausgeputzten Jungs vor dem Klo-Spiegel die Feinmotorik ihrer fitnessgestählten Unterarmmuskulatur mit dem Zupfen widerborstiger Augenbrauen. Als müsste auch der letzte Widerstand gebrochen werden.

Die neue Musik im Club passt mir, die hochgerollten satten Jeans definitiv weniger. Bequeme Baggy Jeans waren mir schon immer lieber. Aber mehr als die Modefrage beschäftigt mich: Wissen diese Jungen überhaupt, wie Feiern geht? Es ist eine «Schande» – um es mit den Worten des bekennenden Hardcore-Schlager-Barden Sedlmeir auszudrücken.

Was mich wirklich stört, ist der Wahn nach Neuem. Ideen verpuffen, bevor etwas daraus entstehen kann.

Wobei, ein paar feiern schon. Etwa beim Konzert von Trettmann in der Kaschemme. Dessen Sound ist derzeit eine Speerspitze des deutschen Raps – vor ein paar Jahren hätten wir es Schlager geschimpft oder Blumfeld auf Beats und Autotune. Egal – Respekt für seinen DIY-Erfolg, er brachte die Meute zum Toben. Aber wie: Mit einer Wall of Death. Hallo? Das eine ist Hip-Hop, das andere Hardcore. Ein Circle Pit ist doch keine Hüpfburg! Ich schob es aufs Alter.

Anscheinend sind wilde Alte für brave Junge ein genauso unmögliches Bild: verkehrte Welt verstört. Das ist voll okay.

Was mich als Mensch und Musiker wirklich stört, ist der Wahn nach Neuem im Musikgeschäft. Bei der Treibjagd auf den neusten Hype ist die Luft bei manch hyperventilierenden Durchstartern raus, bevor sie den Sprung von virtuellen Playlists auf analoge Platten schaffen. Ideen verpuffen, bevor etwas daraus entstehen kann.

Seit Grunge kam von der Gitarrenfront kein originär die Jugend prägender  neuer Stil. Auch in der elektronischen Musik war nach den Neunzigern mit Techno und Drum ’n‘ Bass Schluss mit bahnbrechend Neuem. Seither wird Altes rezitiert und frisch angerichtet. Das schmeckt kurz interessant, aber nährt nicht lange. Fancy Fastfood versus Oldschool Slowfood.

Es ist einfacher, eine neue Sau durchs Dorf zu jagen, als die langjährige Entwicklung eines Künstlers zu beurteilen.

Und für einmal sind nicht die Major Labels die Hauptschuldigen an der Musikmisere. Die setzen schon lange vor allem auf grosse Klassiker. Die Schuld trägt vor allem das Internet, wo Trends gleich weltweit gehypt werden, bevor sich eine neue Knospe abgeschottet zur Blüte entwickeln kann. So verglühen neue Ideen, bevor ein Kult oder gar eine Jugendkultur entsteht.

Mitschuld haben auch die Medienschaffenden, die in diesem Kesseltreiben unbedingt als Erste über ein neues Phänomen berichten wollen. Es ist einfacher, eine neue Sau durchs Dorf zu jagen, als die langjährige Entwicklung eines Künstlers zu beurteilen.

Altgedient, nicht einfach nur alt: Lombego Surfers mit Drummer Olivier Joliat (rechts).

Und auch in Jurys steckt der Jugendwahn. Das Publikum, also die Fans, wählten Brandhärd, Lovebugs und Lombego Surfers schon für den Poppreis Basel. Die Jury-Mitglieder aus dem Business setzten dagegen immer auf eine «junge, hoffnungsvolle Band». Als hätten wir Alten keine Pläne mehr!

Auch wir wollen weiter touren und neue Fans erreichen. Respekt und Ehrgehudel, weil wir die äusserst lebendige Basler Szene mitaufgebaut und die eine oder den anderen vielleicht inspiriert oder gar am Instrument unterrichtet haben, das qualifiziert uns noch immer nicht für den Ruhestand!

Waren wir nicht selbst mal so? «Verschwende deine Jugend» klingt auch erst in der Retrospektive intellektuell.

Aber genug Mimimi. Das Alter hat gelehrt: Populärmusik ist nun mal Jugendkultur. Uns Altgedienten bleiben dafür ein über lange Jahre aufgebautes treues Publikum – und die Jubiläen. Schön, stossen immer wieder neugierige Junge dazu. Das Generationenübergreifende ist wichtig. Den beiden jungen Schreibenden würde diese Lektion sicher nicht schaden …

Aber zum Schluss noch eine Replik an alle Kommentarspaltenschreiber, welche den Praktikanten und die Jungredaktorin wegen Unwissen und schnodderiger Unerfahrenheit anprangern: Das gehört naturgemäss zu jungen Schnöseln. Waren wir nicht selbst mal so? «Verschwende deine Jugend» klingt auch erst in der Retrospektive intellektuell. Heute wissen wir dank Erfahrung mehr und manches auch besser, seit wir uns auch für Country Music interessieren.

Adressiert eure Wutschreiben für mehr und besseren Musikjournalismus deshalb besser an die alten Entscheidungsträger in den Chefsesseln. Die Jungen sollen ruhig vorlaut rüpeln! Hoffentlich entsteht daraus mal wieder etwas Neues.

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