Wenn Flüchtlingshelfer stranden

Mit dem Bühnenprojekt «Träges Herz» richten die Autorin Renata Burckhardt und Regisseur Lorenz Nufer den Scheinwerfer auf die Bewegung freiwilliger Flüchtlingshelfer in Griechenland. Was sehr anregend beginnt, versandet mit der Zeit aber in einer etwas arg papierenen Diskurshaftigkeit.

Verloren in den bitteren neuen Sphären der Flüchtlingsströme: Pascale Pfeuti, Dominik Blumer und Julia Schmidt im Theaterprojekt «Träges Herz» von Renata Burckhardt.

(Bild: Christian Knörr)

Mit dem Bühnenprojekt «Träges Herz» richten die Autorin Renata Burckhardt und Regisseur Lorenz Nufer den Scheinwerfer auf die Bewegung freiwilliger Flüchtlingshelfer in Griechenland. Was sehr anregend beginnt, versandet mit der Zeit aber in einer etwas arg papierenen Diskurshaftigkeit.

Es ist eine höchst unruhige Kamerafahrt: In gehetztem Tempo geht es hinunter zum Kiesstrand und dem schmalen Streifen an den Gestaden des Mittelmeers entlang. Vorbei an unordentlich angehäuften Schwimmwesten, die darauf hinweisen, dass an dieser Küste viele Flüchtlingsboote angelandet sind. Am Bildrand ist ein Stück des signalgelben Ärmels eines Helfers zu sehen, der – wir ahnen es – zu einem neu ankommenden Flüchtlingsschiff eilt, das schliesslich dann auch im Bild auftaucht.

Aber wir befinden uns nicht im Kino oder vor dem TV-Schirm, sondern in der Reithalle der Kaserne Basel. Die Videosequenz (das Video stammt von Michael Räber, Leiter der Hilfsorganisation Schwizerchrüz.ch) wird auf einen Container an der Bühnenrückseite projiziert. Davor ist eine blendend weisse kleine Zirkusarena aufgebaut (Bühne: Chaschper Bertschinger).

In der Arena stand zuvor eine elegante Frau im weissen Business-Zweiteiler mit einem Alu-Rollkoffer (Julia Schmidt). Sie fühlt sich fehl am Platz, als «Frau alleine im Niemandsland», in diesem «Scheissland», in dem es keine Taxis gibt und die Busse nicht auftauchen. Irgendwelche Geschäfte haben sie ins Land geführt, erfährt man. Und sie nutzt die Zeit, ihren Bruder – der von einer Ferienreise nicht mehr zurückgekehrt ist (und im Stück physisch nicht auftaucht) – zu suchen.

Vom Helfer-Virus befallen

Dieser Bruder, eigentlich ein Loser-Typ, wie die Schwester sagt, ist in Griechenland vom Helfer-Virus befallen worden. «Ein Held», sei er, erfährt sie mit Erstaunen von freundlichen Flüchtlingen, denen sie begegnet. Er habe sie alle gerettet. Den Kontakt zu seiner Lebenspartnerin und zu seiner Mutter hat er aber abgebrochen.

«Träges Herz», heisst das Theaterstück, das die Berner Autorin Renata Burckhardt geschrieben und der Basler Schauspieler und Regisseur Lorenz Nufer inszeniert hat. Inhaltlich dreht sich das Ganze um das ebenso schwierige wie komplexe Thema der Volunteer-Bewegung – um die Welle der hilfsbereiten Mitteleuropäer, die nach Griechenland gereist sind, um den massenhaft anlandenden Bootsflüchtlingen die lebensnotwendige Hilfe zu gewähren.

Es geht um ein Phänomen, das von den einen als Hilfsbereitschaft gefeiert und von anderen als Eskapismus gebrandmarkt wird. «Ich werde nicht der sein, der auf die Frage, ‹Was hast du getan›, mit ‹Nichts› antworten muss», ist einmal zu vernehmen.

Spannungsvoller Beginn

Der Theaterabend, der sich um die Schwester des Helfers dreht, beginnt ausgesprochen spannungsvoll und klug konzipiert. Burckhardt hat einen Text geschrieben, der in regem Wechsel von der Spiel- auf die Erklärebene hin- und herswitcht und zugleich mit Zeit- und Ortssprüngen auf die Vorgeschichte und das verständnislose heimische Umfeld verweist.

Die Schwester, die zentrale Figur, bleibt dabei als Einzige individuell fassbar, während die zahlreichen Nebenfiguren quasi flashartig in die Szene geworfen werden. Die beiden hochkonzentriert agierenden Schauspieler Pascale Pfeuti und Dominik Brunner deuten dabei das Individuelle der vielen Figuren bewusst nur an, wie der Regisseur Lorenz Nufer auch szenisch grosse Zurückhaltung walten lässt.

Zwischen den Spielszenen eingestreut werden immer wieder Videosequenzen mit Originalaufnahmen von den Stränden und den Flüchtlingslagern auf Lesbos. Etwa der eindringliche Aufruf eines Helfers, dass Europa dringend handeln müsse, dass die Grenzen geöffnet werden müssten, um eine humane Katastrophe zu vermeiden. Oder die eingangs erwähnte Szene mit dem konkreten Hilfseinsatz. Man kennt diese Aufrufe und Bilder vom Fernsehen.

Im Diskurshaften versandet

Das Bühnenprojekt schafft es, dass man als Zuschauer sehr rasch tief in das Geschehen hineingezogen wird. Auf eingängige Art wird dargelegt, wie sich die anfängliche Hilflosigkeit der Schwester in Empathie umwandelt, wie sie mit der Zeit ihre Distanz ablegt und selber vom Helfer-Virus befallen wird.

Doch der Abend kann die Eindringlichkeit, welche die schnell wechselnde Szenenfolge zu Beginn hat, nicht bis zum Schluss halten. Immer mehr verlagert sich das Geschehen auf der Bühne von der Spiel- auf die Erzählebene, bis der Abend gegen Schluss im Diskurshaften versandet. Es bleibt der Eindruck, dass die engagierte Theatercrew rund um Lorenz Nufer selber nicht richtig wusste, worauf das Ganze hinauslaufen soll.

Aber wer kann das in der immensen gesellschaftlichen und politischen Tragweite, die das andauernde Flüchtlingsdrama hat, wirklich wissen …
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«Träges Herz» von Renata Burckhardt. Kaserne Basel, Reithalle. Weitere Vorstellungen bis Samstag, 22. April.

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