Wenn es eine Zahl gibt, mit der sich die Relevanz eines Museums in etwa messen lässt, dann ist es die der Besucher. Wer viele Besucher hat, dem wird Erfolg zugesprochen und im besten Fall auch Geld.
Kein Wunder, tun manche staatliche Museen alles dafür, dass diese Zahl möglichst hoch liegt. Und manchmal tun sie dabei auch Dinge, die ausserhalb oder im Graubereich des Erlaubten liegen.
Zum Beispiel das Historische Museum, das in der offiziellen Statistik auch jeden Bistrobesucher oder Toilettengänger im Museum mitzählte (die TagesWoche berichtete). Von den 126’000 Besuchern im letzten Jahr war laut einem Bericht der Bildungs- und Kulturkommission des Grossen Rats nur ein Drittel, also 42’000 Personen, wirklich im Ausstellungsteil in der Barfüsserkirche.
Nach dem Abgang der früheren Museumsdirektorin Marie-Paule Jungblut kam die unerlaubte Praxis ans Licht. Der neue Direktor Marc Fehlmann versprach, die Zählung zu ändern und sich an die Richtlinien des Verbands der Museen der Schweiz (VMS) zu halten, nach der die frühere Zählung klar unzulässig ist.
Auch das Antikenmuseum frisierte Zahlen
Aber nicht nur das Historische Museum schönte jahrelang seine Zahlen. Recherchen der TagesWoche zeigen, dass auch das Antikenmuseum bis 2017 trickste. Dort wurden alle Personen in die offizielle Besucherstatistik aufgenommen, die nur das Museumsbistro besuchten. Auch externe Eventgäste, die womöglich keine Ausstellung besuchten, wurden zu den offiziellen Besuchern gezählt.
Beim Antikenmuseum führten diese Tricks zu einer Erhöhung der Besucherzahl um 10 Prozent. Von 79’000 Museumsbesuchern 2016 waren nämlich rund 7000 nur im Bistro oder an einem Event.
2017 hat das Antikenmuseum die Praxis geändert. Aber nicht, weil die Zählung den VMS-Richtlinien widersprach, sondern «aus betriebswirtschaftlichen Gründen», wie Museumssprecherin Alexandra Maurer erklärt. Seit Anfang 2017 wird das Bistro nämlich vom Museum selbst betrieben und nicht mehr verpachtet. Man wollte deshalb die Anzahl Bistrogäste separat ausweisen.
Zählen die Shopbesucher mit?
Die Situation beim Museum der Kulturen ist umstritten. Ein ehemaliger Mitarbeiter sagt, die Besucherzahlen seien ähnlich wie beim Historischen Museum frisiert worden. Die Museumsleitung habe alle Shopbesucher und Personen, die zum Beispiel beim Shop lediglich auf die Toilette gingen, zur Besucherstatistik gezählt.
Die Museumsdirektorin Anna Schmid streitet das ab. Ein Besuch zeigt aber, dass der Empfang auch für Shopbesucher ein Ticket löst. Die Mitarbeiterin erklärt auf Nachfrage, dass die Shopbesucher statistisch erfasst werden. Ob sie als Museumsbesucher gezählt werden, kann sie jedoch nicht sagen.
Bei den Eventgästen sei es hingegen so, dass diese in die Besucherstatistik fliessen, auch wenn sie möglicherweise keine Ausstellung besuchten, bestätigt Schmid. Allerdings sind das nur sehr wenige – weniger als ein Prozent der Gesamtbesucherzahl.
Grosszügige Zählung bei Museumsnacht
Eine weitere ehemalige Mitarbeiterin erzählt, dass die Besucher bei Events wie der Museumsnacht sehr grosszügig gezählt würden. Die Museumsnacht ist für die Statistik enorm wichtig. Bei manchen Museen kommen in dieser einen Nacht bis zu einem Drittel der Besucher eines ganzen Jahres.
In der Museumsnacht werden jeweils alle Personen gezählt, die beim Museum der Kulturen den Innenhof betreten. Die Ex-Mitarbeiterin sagt: «Manche gingen vielleicht nur kurz auf die Toilette oder holten sich etwas zu essen – wir haben sie alle gezählt, vielleicht auch mehrmals.»
Schmid meint, das stelle keine Ungenauigkeit dar. «Selbstverständlich werden die Personen gezählt, die in den Museumshof gehen – da finden ja auch jedes Jahr Veranstaltungen speziell für die Museumsnacht statt.»
Angewiesen auf «Treu und Glauben»
Wie die Museen ihre Besucher registrieren, liegt allein in ihren Händen. Es gibt zwar die Richtlinien des Museumsverbands VMS und seit Herbst 2017 exakte Vorgaben der Abteilung Kultur beim Präsidialdepartement. Aber ob diese Vorgaben eingehalten werden, das kontrolliert niemand.
Die neue Co-Kulturchefin des Kantons, Sonja Kuhn, sagt: «Wir sind in gewisser Weise darauf angewiesen, dass sich die Museen nach Treu und Glauben an unsere Vorgaben halten. Ich wüsste nicht, wie wir die Eingabe der Besucherzahlen genau kontrollieren könnten.»
Zwar gibt es eine parlamentarische Kontrolle: Die Bildungs- und Kulturkommission (BKK) des Grossen Rates kümmert sich um die einzelnen staatlichen Museen. Aber die unerlaubte Zählung beim Historischen Museum flog nicht durch die Kontrolle auf, sondern nur darum, weil die interimistische Direktorin 2016 die Praxis ändern wollte.
Daraufhin wurde der Fall in der BKK besprochen und in einem Mitbericht zum Jahresbericht der Finanzkommission 2017 publiziert. Andere Museen habe man punkto Besucherzahlen aber nicht hinterfragt, erklärt BKK-Präsident und CVP-Grossrat Oswald Inglin.
Durchschnittspreis pro Eintritt: 1 Franken
Dabei machen bereits die Zahlen stutzig, die die Museen in ihren Jahresberichten veröffentlichen. Das Historische Museum wies 2016 rund 136’000 Besucher aus und einen Ertrag durch Eintritte von 216’000 Franken. Das ergibt einen Durchschnitt-Eintrittspreis von 1,4 Franken pro Besucher.
Beim Museum der Kulturen liegt der Durchschnittspreis pro Besucher noch tiefer; nämlich bei 40 Rappen. Natürlich gibt es einige Gratiseintritte, die in die Besucherstatistik einfliessen – zum Beispiel für Schulklassen und Personen, die am eintrittsfreien Sonntag ins Museum gehen.
Doch auch die Statistik der bezahlten Eintritte, welche die Museen auf Anfrage der TagesWoche offenlegten, weist erheblichen Erklärungsbedarf auf. Selbst bei den bezahlten Eintritten kommt das Museum der Kulturen auf einen durchschnittlichen Eintrittspreis von 1 Franken pro Besucher. Zum Vergleich: Eine Eintrittskarte fürs Museum kostet 16 Franken für Erwachsene.
Schmid erklärt, bei den Zahlenden seien auch eine Vielzahl an Personen, die vergünstigt ins Museum kommen – zum Beispiel Studenten oder Inhaber eines Dreiland-Ferienpasses. Doch auch bei all den Vergünstigungen: Wie der Durchschnittspreis von 1 Franken zustandekommt, bleibt ihr Geheimnis.
Einzigartig in der Schweiz
Sonja Kuhn von der Abteilung Kultur spricht von einer «Paradoxie», in der Museen punkto Besucherzahlen stecken. Denn einerseits versuchten sie, mithilfe der Besucherzahlen ihre Legitimation zu stützen, und schliesslich spiele auch der Kampf ums Globalbudget eine Rolle. Andererseits haben die Museen einen Sammlungs-, Forschungs- und Vermittlungsauftrag, bei dem die Besucherzahlen eine weniger wichtige Rolle spielen sollten.
Catherine Schott, die Chefin des Museumsverbands VMS, sagt, die Schweizer Museen seien um Transparenz bemüht – «gerade auch, wenn es um die Besucherzahlen geht». Und: «Mir ist nicht bekannt, dass ein ähnlicher Fall, wie im Historischen Museum, in der Schweiz vorgekommen wäre.»