Es ist, als ob man wie Alice durch ein Kaninchenloch in eine Wunderwelt stolperte, in der alles ganz anders, bunter, merkwürdiger, aufregender und unterhaltsamer ist als im richtigen Leben.
Das fängt schon damit an, dass es in der Ausstellung keinen spezifischen Anfang gibt. Sondern deren drei. Als Museumsbesucher muss man wählen, ob man durch die Türe der Vergangenheit, der Zukunft oder direkt in das Jetzt tritt. Hinter jedem Eingang verbirgt sich ein anderes Kapitel des Kunstkosmos von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger, denen das Museum Tinguely unter dem Titel «Too early to panic» eine Restrospektive widmet, verbunden mit einer interaktiven neuen Installation.
Hereinspaziert in den Beautysalon für die Psyche
Fangen wir mal beim «Jetzt» an. Hinter dieser Tür wird man von einem freundlichen Herrn empfangen. Er sitzt an einem Tisch, auf dem eine Unzahl künstlicher Fingernägel ausgebreitet ist, die von menschlichen Ausmassen bis zur Elefanten-Fussnagel-Grösse reichen.
Der Empfangsherr im weissen Anzug erklärt, was man in dieser Psycho-Beauty-Welt alles erleben kann: Man kann eine Träne spenden, sie unter dem Mikroskop analysieren und mit Tränenproben aus Fukushima vergleichen. (Eine emotionale Träne sei anders zusammengesetzt als eine, die mit Zwiebel-Hilfe erzeugt wurde.) Man kann das Ritual einer Schönheitsvirus-Schluckimpfung durchleben, die alles in der Umgebung schöner erscheinen lassen soll.
Vielleicht ist es also auf dieses Doping zurückzuführen, dass dieser Ausstellungsbericht so positiv ausfällt …
Und man kann durch das Besingen einer Muschel seine innere Blume finden – mein Selbstversuch führte übrigens zu einem schmeichelhaften Resultat.
Chillen unter dem Meteoriten
Das «Jetzt» ist der interaktive Teil des Kuriositätenkabinetts von Steiner/Lenzlinger. Der Schritt durch einen überfüllten Geräteschuppen in die «Vergangenheit» offenbart, dass dieses international renommierte Künstlerpaar aus Langenbruck schon seit 30 Jahren fantastische Reisen durch wundersame Kunstwelten ermöglicht. In Basel überraschte es zuletzt 2016 mit seiner Totentanz-Installation während der Herbstmesse.
Ein Raum gegen Kopfschmerzen zum Beispiel versammelt in einer Vitrine Schmerzmittel aus unterschiedlichen Kulturen: Tabletten aus Industrienationen, Pülverchen aus der Dritten Welt. Und als einzig wirklich wirksames Mittel, wie Steiner sagt, einen hängenden Meteoriten, unter den man sich legen kann.
In der «Zukunft» wiederum lädt eine Kraftmaschine zu Übungen ein, die nicht nur dem Muskeltraining dienen, sondern eine ganze Figuren- und Geräuschmaschinerie in Gang setzen. Das regt vor allem den Geist an. Daneben kann man über eine aus vielen Objekten zusammengesetzte Kunstlandschaft staunen, die durch kristallisierenden Kunstdünger zum künstlichen Leben erweckt wurde, und stetig weiterwächst.
«Too early to panic» führt in eine Kunstwelt, die auf wohltuende Art unakademisch ist. Sie zeigt Gegenwartskunst, die sich sinnlich erfahren lässt, ohne dass ein Kurator lange Erklärungen abgeben muss, bevor man den Zugang findet. Es ist eine Kunst- und Erlebniswelt, die ganz einfach Spass bereiten kann, ohne dass sie banal und anbiedernd wäre.
Irgendwie bewusstseinserweiternd ist das Ganze. Wie ein Kindergeburtstag auf LSD.
«Too early to panic – Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger» im Museum Tinguely. Bis 23. September 2018.