Wie man als Hardrock-Hippie cool bleiben kann

Robert Plant schafft es, den Blues des Mississippi-Deltas mit Afro-Einflüssen und Trip-Hop-Grooves zu vereinen, ohne dass das bemüht klingt. Der Frontmann von Led Zeppelin zeigt in Montreux, wie man als Hippie würdevoll altern kann. Heute Abend kann man sich auch in Zürich (Live at Sunset) davon überzeugen.

Noch immer ein klasse Showman: Robert Plant. (Bild: Lionel Flusin)

Robert Plant schafft es, den Blues des Mississippi-Deltas mit Afro-Einflüssen und Trip-Hop-Grooves zu vereinen, ohne dass das bemüht klingt. Der Frontmann von Led Zeppelin zeigt in Montreux, wie man als Hippie würdevoll altern kann.

In Montreux hat das 48. Jazz Festival begonnen – es ist die erste Ausgabe, die ganz ohne die Mithilfe des 2013 verstorbenen Festivalgründers Claude Nobs zustande gekommen ist. Doch der Geist des Gründers ist noch immer greifbar – an den Merchandising-Ständen, wo reihenweise Retro-T-Shirts an die goldenen Zeiten der Musikbranche erinnern. Und auch im Programm, wo sich nebst gegenwärtigen Super-Stars wie Pharrell Williams auch weiterhin Grössen finden, die zum Legendenstatus von Montreux beigetragen haben. So zum Beispiel Robert Plant.

Der britische Sänger trat hier schon mit Led Zeppelin auf – auch wenn er das selber gar nicht mehr so genau weiss: «I played here for the first time in 1970», sagt er auf der Bühne, «but I can’t remember a fucking thing.» Plant kokettiert wunderbar mit dem Mythos vom exzessiven Rockstar-Leben, damals, «in the dark ages», wie er schalkhaft sagt.

Noch gut mag er sich hingegen an sein letztes Montreux-Gastspiel erinnern: Vor acht Jahren trat er an einem All-Stars-Konzert zu Ehren des Atlantic-Plattenbosses Ahmed Ertegun auf. Es war kein grosser Konzertabend, aber Plant riss die Show aus der Mittelmässigkeit, überstrahlte alle mit seiner Performance und seinem Humor.

Ein Seitenhieb auf Claude Nobs

Diesen trockenen, frechen Humor spielt Plant erneut aus, etwa als er Claude Nobs‘ Marotte erwähnt. Der Festival-Gründer nutzte gerne die Gelegenheit, um im Zugabeblock die Bühne zu betreten und mit den Stars zu jammen. Oft ein zweifelhaftes Vergnügen. «Er war ein miserabler Mundharmonika-Spieler – aber ein wunderbarer Mensch», sagt Plant. Und verdeutlicht einmal mehr, wie entwaffnend ehrlich, integer und unterhaltsam er ist: Robert Plant hätte auch das Zeug zu einem Comedian gehabt. 

Aber, wir wissen es, er schlug einen anderen Karriereweg ein. Gleich mit dem ersten Song erinnert er daran: «Babe, I’m Gonna Leave You», die wunderbar zarte Ballade, die von furiosen Rockpassagen aufgebrochen wird, begeistert die Zeppelin-Fans im Saal. Sie dürfen sich freuen, kommen sie doch in den kommenden 90 Minuten mehrmals auf ihre Kosten. Mehr als die Hälfte der Songs hat Plant schon mit Led Zeppelin gesungen. 

Erstaunlich, sagte er uns doch noch 2010 im Interview an der AVO Session: «Rock ist Vergangenheit.» Tatsächlich weiss Plant mit seiner eigenen Vergangenheit sehr elegant und interessant umzugehen: Er steckt die Zeppelin-Klassiker in neue Kleider, und diese passen ausgesprochen gut. «Black Dog» etwa präsentiert er als Wüstenblues, der plötzlich von westafrikanischer Hektik abgelöst wird. Famos!

«Whole Lotta Love» beginnt er als langsamen Blues, man erkennt den Song zunächst gar nicht. Womit Plant offenlegt, woher sich Zeppelin damals schamlos bedient hatten: bei den afroamerikanischen Bluesern wie Muddy Waters, Bukka White oder Howlin‘ Wolf. Letzteren zollt er denn auch Tribut, mit Covers von «Spoonful» und «Fixin‘ To Die». Zugleich wagt er einen Ausblick: Im September wird er ein neues Album veröffentlichen, «The Ceaseless Roar». Einen Vorgeschmack darauf liefert er mit dem Song «Rainbow», einer erstaunlich poppigen Nummer, die so klingt, als führen U2 mit Handbremse.

Reise um die Welt

Dass Plants Retrospektive in Montreux begeistert, ohne altbacken zu wirken, ist auch das Verdienst seiner grossartigen Band, die er 2012 formiert hat: die Sensational Space Shifters. Ein Teil der Musiker hat sich die Sporen im Trip-Hop abverdient, an der Seite von Portishead und Massive Attack, was man in Arrangements wie etwa «Tin Pan Valley» heraushört. Plants Interesse an Afrika ist schon länger bekannt. In seiner Band vertritt Juldeh Camara aus Gambia den schwarzen Kontinent, spielt Ritti und reichert das Klangbild mit Afroelementen an – ergänzt durch perkussive, polyrhythmische Begleitungen, wofür auch Plant den Mikständer zugunsten eines Tambourins links stehen lässt.

Am auffälligsten ist der Leadgitarrist Liam Tyson, auf den Plant schon in früheren Jahren setzte: ein bärtiger Gitarrengott, der seine Virtuosität zurückhaltend, aber äusserst effektiv einsetzt.

Das Sextett verknüpft musikalisch den Mississippi mit Bristol und Marrakesch. Fast immer elegant, ohne dass die Fusionen bemüht wirken würden. Das macht das Konzert abwechslungsreich und birgt immer wieder Überraschungen. Auf Gitarrenpickings und Hippie-Folk («Going to California») folgt mystischer, dunkler Swamp-Blues, getragen von modernen Grooves.

Signifikante Stimme

Und Plant heult und klagt noch immer wie kein anderer Sänger. Nicht mehr ganz so laut und markerschütternd wie früher, aber noch immer signifikant und intonationssicher. Im Zeppelin-Song «What Is And What Should Never Be» transponiert er die Schreie eine Oktave nach unten, was man nachvollziehen kann: Welche Stimme würde das schon 50 Jahre mitmachen? Dazu bewegt er sich mit jener Sinnlichkeit, die früher Mädchen reihenweise in Ekstase versetzte. Mit seinen langen Locken, dem leuchtenden Blick und seiner sportlichen Statur wirkt er noch immer wie ein göttlicher Hippie. Während andere seiner Generation in Batikhemden den Absprung verpasst haben, macht er vor, wie man als Hardrock-Hippie cool bleibt.

Wie gut Plant in Form ist, davon kann man sich heute ein zweites Mal in der Schweiz überzeugen: am Live at Sunset Festival in Zürich. Und wer verhindert ist, kann sich die aktuelle Live-Show auch zu Hause ansehen: mit dieser Aufzeichnung ihres Konzerts am diesjährigen Glastonbury Festival in England.

Nächster Artikel