Wyss‘ Archiv: Fast wie im Wilden Westen

Auch im modernen Leben spielen Pferde eine wichtige Rolle. Rindfleischersatz gehört nicht dazu.

In Avenches als Sitz des Schweizerischen Nationalgestüts gehören Pferde heute noch zum Alltagsbild, wenn auch nicht mehr so auffällig wie noch 1964, als ihnen neben den Autos noch speziell beschilderte «Parkplätze» zugewiesen wurden. (Bild: Kurt Wyss)

Auch im modernen Leben spielen Pferde eine wichtige Rolle. Rindfleischersatz gehört nicht dazu.

Das Pferd ist in Verruf geraten. Nicht als willkommener Arbeits- oder Freizeitkollege, der sich in Hafer oder Zucker statt in hart erkämpftem Mindestlohn bezahlen lässt. Auch nicht als geschniegelter und sprunggewaltiger Beau, der seinem Reiter – es darf sogar ein Schweizer sein – zu strahlendem Olympiagold verhilft. Und schon gar nicht als Statussymbol für gekrönte Häupter, die sich mehr oder minder würdevoll zur jährlichen Geburtstags­parade stolzieren lassen. Nicht umsonst liess schon der grosse William Shakespeare den englischen Herrscher Richard III. dramatisch wehklagen, als dessen Schlachtross vom Feind brutal abgestochen wurde: «Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!»

Die besten Freunde der Cowboys im Wilden Westen waren deren Pferde: Angeseilt vor den Saloons durften sie sich in glühender Hitze erholen, während ihre nicht nur von der Sonne hart gesottenen Reiter sich derweil an der Bar die ausgetrockneten Kehlen mit Feuerwasser netzten. Für Winnetou, den Häuptling der Apachen, war der schnelle Iltschi ebenso unentbehrlich wie Hatatitla für seinen weis­sen Blutsbruder Old Shatterhand.

Im Schweigen der Lämmer wird auch das zornige Schnauben der Pferde verhallen – garantiert.

Selbst der stämmige Braune, dem der Basler Fotograf Kurt Wyss im April 1964 vor einem Restaurant im waadtländischen Avenches begegnete, war bestimmt ein treuer Diener seines Herrn. Sonst hätte er sich bestimmt nicht geduldig und exakt wie obrigkeitlich ausgeschildert an einem Ort «parkieren» lassen, wo ihm die ebenfalls dort abgestellten Blechkarossen schon damals an PS weit überlegen waren.

Auch heute – selbst nach der Abschaffung der Kavallerie in unserer Armee im Jahr 1972 – hat das Pferd nichts von seiner Nützlichkeit verloren. Bereits 1899 war in Avenches ein «Eidgenössisches Fohlen- und Hengstdepot» gegründet worden, das 1998 in «Schweizerisches Nationalgestüt» umbenannt wurde. Als wirksame Waffe gegen das schweizerische Bankgeheimnis wird das Pferd auch in Deutschland hoch geschätzt, vor allem vom SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.

Warum ist dieses beliebte Nutz- und Schutz­tier plötzlich in Verruf geraten? Ganz einfach: Es wurde von seinen Nützern und Schützern als billiger Rindfleisch­ersatz missbraucht. Es endete in der Lasagne, in den Tortellini, in Fleischbällchen aus Schweden. Endete dort, wo skrupelloses Profitdenken einer scheinheiligen Deklarationspflicht und damit dem ahnungslosen Konsumenten zum Zwecke des Schnäppchens ein Schnippchen schlug. Daraus wäre eine ganze Menge zu lernen. Doch im Schweigen der Lämmer wird auch das zornige Schnauben der Pferde verhallen – garantiert.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.05.13

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