All unsere Geheimnisse

Das Basler Staatsarchiv macht an der Museumsnacht auf ein wenig beachtetes Kapitel der Stadtgeschichte aufmerksam. Ein Schwank über beflissene Staatsschützer, halbgefährliche Revolutionäre – und vor allem: über Geheimnisse im Archiv.

Ein Staatsschützer beim Abbau der Abhöranlage im Kleinbasel. (Bild: Staatsarchiv Basel-Stadt, PD-REG 5 A 108-4-1, Dokumentation Abhöreinrichtungen Marktgasse und Riehentorstrasse, 1957-1970)

Das Basler Staatsarchiv macht an der Museumsnacht auf ein wenig beachtetes Kapitel der Stadtgeschichte aufmerksam. Ein Schwank über beflissene Staatsschützer, halbgefährliche Revolutionäre – und vor allem: über Geheimnisse im Archiv.

Bei besonderen Gelegenheiten, da erlaubt sich selbst Komm. S., Basler Polizist in Diensten des Staatsschutzes, ein Ausrufezeichen. Gerade er, S., der in ungezählten Berichten des Spezialdienstes (dem kantonalen Staatsschutz) immer wieder Zeugnis seiner staatsbeamtlich nüchternen Beflissenheit abgelegt hat. Der immer korrekt und exakt über seine Arbeit Bericht erstattet hat. Der die Observationen und Abhöraktionen in einer Art und Weise dokumentierte, wie es nur ein Beamter mit seiner Schreibmaschine kann.

Am 4. März 1970 allerdings erlaubt sich Komm. S. eine kleine Extravaganz. Der wichtigste Abschnitt seines Berichts hört nicht nur mit einem Ausrufezeichen auf, er ist sogar noch unterstrichen: «Seit dem 15.1.1953 bis zum 19.2.1967 wurden insgesamt 243 Abhörungen durchgeführt!»

Die Gelegenheit war günstig

Penibel schildert der Staatsschützer in seinem Abschlussbericht zur «Abhörvorrichtung im Grossen und Kleinen Saal und im Nebenzimmer des Restaurants Rebhaus in Basel», wie der Spezialdienst im Restaurant Rebhaus Ende der 50er-Jahre zwei feste Abhöranlagen einbaute, um die Partei der Arbeit (PdA) zu überwachen (siehe Slideshow). Die Gelegenheit sei günstig gewesen, heisst es: «Nach den Ereignissen in Ungarn konnte die PdA Basel-Stadt alle ihre Versammlungen während zwei bis drei Jahren nur noch im Restaurant Rebhaus abhalten, weil sie andernorts nicht mehr zugelassen wurde. Das bewog uns damals, eine feste Abhörvorrichtung einzubauen.»

Es folgt eine über dreissigseitige Foto-Dokumentation aus dem Alltag eines Staatsschützers. Anschlüsse und Leitungen sind auf den Fotos eingetragen, die versteckten Mikrofone und Verstärker. Stolze Hinweise auf den elektronischen Zeitschalter, dank dem die Anlage nur jeweils von 18 bis 24 Uhr in Betrieb war. Das Fotoalbum beschränkt sich nicht auf technische Details. In hübschen Aufnahmen werden die rauchenden Beamten (Agenten!) beim Verlassen des Abhörraums gezeigt und schliesslich konzentriert und immer noch rauchend an ihren Schreibmaschinen im Spiegelhof.

Akten vernichtet

Nur zum Inhalt der Abhöraktionen schweigt Komm. S. Als zu Beginn der 90er-Jahre die Fichen-Affäre publik wurde, untersuchte die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates die kantonalen Staatsschützer und stellte dabei fest, dass ein grosser Teil der Akten des 1938 ursprünglich als «Politische Abteilung» gegründeten Dienstes bereits 1960 und ohne Rücksprache mit dem Staatsarchiv vernichtet wurde. Darunter wohl auch die Grundlage für die Schnüffeleien: Anscheinend bestanden zwei kantonale Weisungen für den Staatsschutz, hielt die GPK in ihrem Schlussbericht fest. Allerdings seien diese nicht mehr auffindbar und keiner der Befragten möge sich daran erinnern.

1993 verfügte der Regierungsrat, die damals noch vorhandenen Akten im Staatsarchiv aufzubewahren. Grosse Teile davon warten noch auf eine historische Aufarbeitung. Dennoch kann man heute schon gefahrlos behaupten, dass der geheime Einbau der Anlage wohl zu den aufregenderen Momenten im Alltag eines Staatsschützers gehört haben muss. Der Rest bestand vornehmlich aus gehobenen Banalitäten. Wie zum Beispiel jene Szene aus dem Jahr 1959, die in einem Observationsbericht von Komm. R. (einem Kollegen von Komm. S.) nachzulesen ist:

«19.15 betreten S. und W. das Restaurant ‹Grüner Heinrich›. Sie nehmen im Speisesaal (1. Stock) Platz und bestellen einen Apéritif. 19.35 trifft C. in diesem Lokal ein. W. winkt ihm bei seinem Erscheinen und stellt ihm darauf S. vor. Nach der Begrüssung nimmt C. am Tisch der beiden Gesandtschaftsfunktionäre Platz. Er sitzt ihnen gegenüber. Die Einladung zum Nacht­essen lehnt er zuerst ab, ist dann aber doch dabei. Es werden Poulets und eine Flasche ‹Johannisberger› aufgetragen. Die drei unterhalten sich auch während des Essens eifrig und sind offensichtlich guter Stimmung.»

So geht das weiter und weiter. Die Linken planen bei Poulets und Wein eine halbe Revolution, die eifrigen Staatsschützer (wohl mindestens bei Wein) notieren eifrig und geheim. Die heute noch vorhandenen Akten der Komm. des Spezialdienstes füllen Meter um Meter im Staatsarchiv. Nur geheim, das sind sie nicht mehr wirklich.

Zum ersten Mal öffentlich

An der Museumsnacht von heute Freitag sind Teile der Akten des Basler Staatsschutzes erstmals öffentlich zu sehen. Für die Forschung und die Direktbetroffenen sind die Akten schon länger zugänglich, da die generelle dreissigjährige Schutzfrist für den grössten Teil der Akten abgelaufen ist – eingeschränkt wird die Nutzung heute noch durch personenbezogene Schutzfristen.

Mit der kleinen Ausstellung während der Museumsnacht – umrahmt von Zwiegesprächen zwischen dem Basler Datenschützer Beat Rudin und dem Kabarettist Daniel Buser – möchte Staatsarchivarin Esther Baur die Öffentlichkeit auf die eigentliche Funktion des Archivs aufmerksam machen. «Wir sind kein Geheimarchiv. Wir sind nicht der verlängerte Arm der Obrigkeit wie noch im Ancien Régime. Wir sind dafür da, die Arbeit des Staates nachvollziehbar zu machen», sagt Staatsarchivarin Baur, «unser Metier ist die Herstellung von Transparenz unter Wahrung von Persönlichkeitsschutz und Amtsgeheimnis.»

Ein neuer Charakter

Immer in den Schranken des Gesetzes natürlich. Denn darum geht es Baur ebenfalls: die Menschen für die Beschaffenheit der im Staatsarchiv gelagerten Geheimnisse zu sensibilisieren. Geheimnisse ändern im Verlauf der Zeit ihren Charakter. Krankengeschichten aus den 1860er-Jahren sind heute grundsätzlich einsehbar; militärische Geheimnisse aus dem Zweiten Weltkrieg (der Standort von Bunkern und Barrikaden beispielsweise) dürfen heute veröffentlicht werden.

Auch Dokumente aus dem Mittelalter haben einen neuen Gehalt: Die Privilegienurkunde aus dem Jahr 1357 etwa, die damals nur einem ganz kleinen Teil der Stadtobrigkeit zugänglich war, ist heute ein öffentliches historisches Dokument.

Nicht nur Geheimnisse, auch Staatsarchive verändern im Lauf der Zeit ihren Charakter: Vom Hüter amtlicher Geheimnisse wurden die Archive zum Dienstleister an der Geschichte. In den historischen Massstäben des Basler Staatsarchivs ist das ein Prozess, der gar nicht so lange her ist. Noch 1904 beschrieb Rudolf Wackernagel, der erste Staatsarchivar, die «Geheime Registratur», den historischen Kern des Archivs der Stadt Basel, das sich im Spätmittelalter im Rathaus und im Salzturm bei der Schifflände befand und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Er hielt fest:

«An dieser Wendeltreppe lag die schwere Holztüre des geheimen Gewölbes mit kunstreich gearbeitetem Schloss. Durch sie trat man in das noch ganz mittelalterlich anmutende Gemach (…) In der Längsseite links vom Eintritt öffnete sich eine Türe, durch die man über Stufen in eine gewölbte, kaum erhellte Kammer hinabstieg. Hier waren die Cimelien verborgen: im sog. Vertragskasten die neuern Staatsverträge, in einem zweiten Schranke das Kistlein mit den Goldbullen und dem Napoleonischen Vertrag, das Rote Buch, die Weissen Bücher, die Öffnungsbücher, die Kolmarer Richtung in ihrer ursprünglichen Gestalt, Schnitts Wappenbuch, die Lachsfangschriften, ein Stoss gerollter Pläne.»

Quellen

Retouchierte Bilder des Militärkommandos aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die Staatsschutzakten im Verzeichnis des Staatsarchiv Basel-Stadt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.01.13

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