Armeefreunde wehren sich gegen Missbrauch der Armee

Einsätze wie jener der Militärpolizei im Baselbiet verstossen gegen die Verfassung und schaden dem Land. Auf Bundesebene wird diese Meinung nicht etwa von irgendwelchen Armeekritikern geäussert – sondern von ihren grössten Freunden.

Die Schweizer Armee soll sich wieder auf ihre Kernkompetenz konzentrieren – die Landesverteidigung, sagen die Militärverbände. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Einsätze wie jener der Militärpolizei im Baselbiet verstossen gegen die Verfassung und schaden dem Land. Auf Bundesebene wird diese Meinung nicht etwa von irgendwelchen Armeekritikern geäussert – sondern von ihren grössten Freunden.

Die gemeinsame Offensive von Kantons- und Militärpolizei im Baselbiet polarisiert in der Region. Während linke Politiker und die einen Grünen «schockiert» reagieren, geben sich die Baselbieter Bürgerlichen und die anderen Grünen zufrieden.

Ebenso uneins sind die Medien.

Auf der einen Seite die «Basler Zeitung», die neben einer Reihe wohlwollender Berichte einen sehr differenzierten und aufgrund von staatsrechtlichen Bedenken eher kritischen Kommentar brachte (online leider nicht verfügbar). Noch deutlicher wurden wir in der TagesWoche. Die Armee habe in diesem Bereich nichts, aber auch gar nichts verloren, schrieben wir in unserem Kommentar. Die Ordnung im Innern aufrecht zu erhalten, sei nicht ihre Aufgabe, sondern jene der Polizei, nur schon von der Verfassung her.

Auf der anderen Seite die «bz Basel», die solche Überlegungen für einen «Unsinn» hält. Und «absurd», insbesondere wegen unseres Hinweises auf frühere, fatal abgelaufene Einsätze der Armee im Ordnungsdienst.

«Endlich tut man was»

Die Mehrheit sei da wahrscheinlich anderer Meinung als die «rotgrünen» Kritiker, schreibt der bz-Kommentator aufgrund von «erleichterten Bemerkungen», die er in seinem Bekanntenkreis vernommen habe. «Endlich tut man etwas gegen die Einbruchswelle», heisst es dort.

Doch ist es tatsächlich so einfach in dieser Frage? Links gegen Rechts, Hysteriker gegen Pragmatiker?

Eine interessante Antwort darauf liefert die Debatte, die nun auf Bundesebene in Gang kommt. Und sie weist in eine ganz andere Richtung.

Neue Gefahren

Dort sind es nicht die üblichen Verdächtigen  (Linke! Drückeberger! GSoA!), die sich am vehementesten dagegen wehren, dass das Militär immer mehr Einsätze im Zivilbereich leisten soll. Dort formiert sich der Widerstand nun bei  Armeeverbänden wie Pro Militia, der Gesellschaft der Generalstabsoffiziere oder der Gruppe Giardino.

Das zeigt die Vernehmlassung zur Weiterentwicklung der Armee. In ihren Stellungnahmen schiessen sich die Militärverbände vor allem auf einen Punkt ein: die so genannt «subsidiären Einsätze».

Das sind Einsätze, bei denen die Armee einzelnen Kantonen in irgendeiner Form hilft – so wie jetzt im Baselbiet. Nach den Vorstellungen des Bundesrates müsste es künftig noch sehr viel häufiger zu einer solchen Zusammenarbeit zwischen Bund und Kanton kommen. Die Idee dahinter: Ein Krieg scheint in der Schweiz auf absehbare Zeit fast ausgeschlossen, dafür drohen andere Gefahren  – Terror, Cyberangriffe, Naturkatastrophen, Pandemien.

Darauf soll sich die Armee vorbereiten – in einer möglichst engen Zusammenarbeit mit den kantonalen Sicherheitskräften, die im Ernstfall als erste gefordert wären.

Das Problem der Armee: Sie kann fast alles

Die Überlegung klingt vernünftig. Das Problem ist aber, dass sich die Armee für fast alles einsetzen lässt: Verkehr regeln, Festbankgarnituren aufstellen, Tribünen auf- und abbauen, Brücken aufziehen beziehungsweise abreissen, Grenzen abschirmen, nach Einbrecher fahnden, Fussballfans kontrollieren, Demonstrationen überwachen und so weiter und so fort.

Unter diesen Voraussetzungen könnte die Versuchung für die Kantone gross sein, die Soldaten als billige Arbeitskräfte zu missbrauchen (oder sie sogar gratis einzusetzen, wie es der Kanton Baselland nun offenbar vormacht). Das jedenfalls befürchten die Armeefreunde. Und dagegen werden sich ihre Organisationen nun wehren.

Die Armee im Konflikt mit der Verfassung

Und sie haben Argumente. Simon Küchler, Vizepräsident von Pro Militia, zitiert zu erst einmal die Bundesverfassung, Artikel 58: «Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen.»

Eine Voraussetzung, von der wahrscheinlich kaum jemand im Ernst behaupten würde, dass sie bei der gemeinsamen Aktion von Kantons- und Militärpolizei im Baselbiet erfüllt wäre (mehr zur Frage der Verfassungsmässigkeit beim «SRF» und in der «Schweiz am Sonntag»).

Auch noch menschenrechtswidrig?

In solchen Fällen sieht Küchler noch ein weiteres juristisches Problem. Einen Konflikt mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, die eine Arbeitspflicht nur im Gefängnis, im Wehr- und Wehrersatzdienst sowie bei der Bekämpfung von Katastrophen zulässt. Soldaten zu fragwürdigen Einsätzen im Zivilbereich abzukommandieren, hält Küchler darum unter Umständen für eine Zwangsarbeit – menschenrechtswidrig.

Auf diese Weise verliere die Armee ihre Existenzberechtigung, befürchten die Armeefreunde. Entsprechend kritisch sind die Stellungnahmen von Pro Militia (auf der Rückseite dieses Artikels) und der Gesellschaft der Generalstabsoffiziere zur Weiterentwicklung der Armee (Vernehmlassung läuft noch bis am 17. Oktober). Und entsprechend deutlich ihre Forderung nach einer Rückbesinnung auf ihre eigentlichen Aufgaben: die Landesverteidigung. Und den Einsatz bei wirklichen Katastrophen.

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