Wenn es um Mumien geht, dann weiss Susanne Bickel Bescheid. Eben erst gelang der Basler Ägyptologin erneut ein spektakulärer Fund: ein Grab mit dreissig Königskindern. Ein Gespräch über Mumienfilme, Grabräuber und darüber, was wir von den alten Ägyptern lernen könnten.
Das Tal der Könige befindet sich im oberägyptischen Wüstengebirge, nur wenige Kilometer entfernt vom Nil und der Tempelanlage von Luxor. Unter den staubigen Böden liegen die Grabkammern mit bis zu 4000 Jahre alten Mumien und Grabschätzen. Es waren unter anderem Könige, die sich hier im zweiten Jahrtausend vor Christus bestatten liessen und dem Tal zu seinem heutigen Ruhm verhalfen.
In der Vergangenheit konzentrierte sich die Forschung vor allem auf die reich verzierten Königsgräber. Auch das Ägyptologische Seminar der Universität Basel forscht hier bereits seit Längerem.
Vor fünf Jahren übernahmen Susanne Bickel und ihr Team das Projekt. Mit ihren Mitarbeitern sucht sie seither nach kleineren, bisher wenig beachteten Grabkammern – und hat damit grossen Erfolg.
Erst vor zwei Jahren entdeckten die Basler Ägyptologen das bis dahin unbekannte Grab einer Sängerin des Gottes Amun. Jetzt gelang den Forschern erneut ein spektakulärer Fund: Sechs Meter unter der Erde fanden sie ein Grab mit fünf Kammern, in dem die Überreste von 50 einbalsamierten Körpern liegen, darunter Königskinder, ausländische Frauen und Säuglinge. Die Entdeckung sorgt weltweit für Schlagzeilen.
Frau Bickel, wieviele Interviews haben Sie seit Ihrer neusten Entdeckung bereits geführt?
Etliche, aber auswendig weiss ich die Zahl nicht mehr. Da müsste ich nachschauen. Einige ausländische Journalisten sind auch in Basel vorbeigekommen.
Überrascht Sie das grosse Interesse an diesem Fund?
Schon vor zwei Jahren, nachdem wir das Grab der Sängerin gefunden hatten, war das Interesse unerhört gross. Dieses Jahr hat uns das grosse Echo erneut überrascht. Ich vermute, die grosse internationale Aufmerksamkeit hat unter anderem mit dem Stichwort «Mumie» zu tun: Da werden viele hellhörig.
Dafür müssten Sie sich eigentlich bei den Filmproduzenten in Hollywood bedanken.
Ja, das hat wohl einen Einfluss.
Kennen Sie einige dieser Mumien-Filme?
Kaum. Aber eine Doktorandin hat sich damit beschäftigt, wie viel Fachwissen sich in diesen Filmen tatsächlich findet.
Ihre Faszination ist deutlich älter, als es etliche dieser Filme sind. Können Sie sich an einen Moment erinnern, wo Ihr Interesse an der Ägyptologie erwachte?
Das ist wirklich lange her. Ich interessierte mich als Kind bereits sehr für Geschichte. Und als Jugendliche habe ich mich dann immer mehr mit Ägyptologie beschäftigt.
Ich habe gelesen, dass Sie sich während eines mehrmonatigen Aufenthalts in England selber das Entziffern von Hieroglyphen beigebracht haben.
Ja, ich lebte mit meinen Eltern einige Zeit in England. Beim British Museum in London gab es früher kleine Buchläden mit allerlei alten Büchern. Eines Tages spazierte ich in einen solchen Laden rein und erklärte, dass ich das Entziffern von Hieroglyphen lernen möchte. Der Verkäufer stieg eine Leiter hoch und verkaufte mir mein erstes Hieroglyphenbuch.
Heute gehören Sie zu den weltweit führenden Ägyptologinnen. Am meisten Aufmerksamkeit erhalten Sie mit Ihren Ausgrabungen. Sind das auch für Sie die Höhepunkte Ihrer Arbeit?
Die Ausgrabungen bringen uns neues Material und neue Einblicke, auf die wir angewiesen sind. Aber für mich sind es nicht die Höhepunkte. Mich interessiert die Kultur der alten Ägypter insgesamt – die Religion, die Weltvorstellungen, der Umgang der Leute untereinander, das soziale Gefüge. Und der Vergleich mit unserer Kultur, der auch meinen Blick auf die Gegenwart beeinflusst.
In welcher Art?
Einmal, indem ich mir bewusst bin, dass es andere Formen gibt, wie eine Gesellschaft funktionieren kann. Unsere Werte sind nicht die einzigen. Ich glaube, wir alle sollten diese Offenheit gegenüber anderen Kulturen trainieren, sei das gegenüber der heutigen arabischen Welt als auch gegenüber anderen.
Worin besteht für Sie der wissenschaftliche Wert der jüngsten Entdeckung?
Der Wert liegt für uns darin, dass die gefundenen Mumien identifiziert werden können. Wir wissen dadurch viel mehr darüber, wer im Tal der Könige nebst den Pharaonen bestattet wurde. Das war von Anfang an eine unserer zentralen Fragen. Man nahm ja lange an, das Tal sei der Bestattungsort für Könige. Doch daneben gibt es noch viele weitere Gräber. Darüber wusste man bisher sehr wenig. Und jetzt haben wir plötzlich rund 30 Namen und Titel.
Was für Leute waren an diesem Ort begraben?
Zu einem grossen Teil sind es Frauen, viele von ihnen sind als Prinzessinnen gekennzeichnet. Ein weiterer Teil der Frauen wird von den Hieroglyphen als Ausländerinnen bezeichnet. Man könnte dabei an einen Harem denken, genau wissen wir es nicht. Etwa ein Viertel sind Männer, die meisten von ihnen Prinzen. Ob und wie diese Menschen untereinander verwandt waren, das wollen wir noch herausfinden.
Bei der aktuellsten Entdeckung haben Sie im Grab keine bedeutenden Schätze gefunden, das Grab wurde offenbar bereits einmal geplündert.
Ja, es wurde geplündert und auch angezündet. Es war wohl einmal ein spektakuläres Grab. Die Grabbeigaben waren fast alle nicht mehr da.
Dieses zerstörte Grab ist mehrere Tausend Jahre alt, und dennoch können Sie nachvollziehen, um was für Personen es sich bei den Toten handelt. Wie gingen Sie vor?
Ich begann im Januar, die Inschriften auf Keramikscherben zu analysieren. Das sind über hundert Tongefässe, in unzählige Stücke zerschlagen. Solche Krugaufschriften sind für uns in der Regel von geringem Interesse. Häufig steht dort, was für Weine oder Öle den Toten beigegeben wurden. Aber in dem Fall war es anders. Bereits auf den ersten Stücken entdeckte ich die Bezeichnung «Königstochter». Und so ging es weiter. Innerhalb von einigen Tagen entstand eine Liste mit rund 30 Namen.
Was befand sich ehemals in diesen Gefässen?
Eben nicht Getreide, Öl oder Wein wie in anderen Gräbern, sondern die Über- reste der Mumifizierung. Kleine Salzsäcke, mit denen man den Körper trocknete, Tupfer. Operationsmaterial in einem gewissen Sinne.
Die Universität Basel konzentriert sich auf Gräber, die in der Vergangenheit eher als nebensächlich erachtet wurden. Weshalb hat man sich für diesen Bereich entschieden?
Einem Basler Forscherteam war es 2001 eher zufällig gelungen, das Grab einer Königin zu identifizieren. Danach hatten Studierende die Idee, die Gräber in der Umgebung zu erkunden. Als wir dann die Gelegenheit erhielten, ein neues Projekt zu beginnen, nahm ich diese Idee auf. Ich dachte, wenn es gelingt, weitere hier bestattete Personen zu identifizieren, dann würde für die Erforschung des Tals der Könige sehr viel gewonnen. 2009 begannen wir damit und waren bald etwas frustriert, weil grosse Entdeckungen ausblieben. Um so wichtiger war für uns die jüngste Entdeckung.
(Bild: Nils Fisch)
Wie sieht es personell aus bei Ihnen? Haben Sie die Kapazitäten, die Sie brauchen?
Nur bedingt, wir sind jetzt auf Geldsuche, damit wir mehr Forscher anstellen können. Bisher haben zwei meiner Mitarbeiter und ich viel geforscht. Dann arbeitet eine Reihe von Hilfsassistierenden mit. Für die Bedeutung des Projektes haben wir derzeit etwas zu wenig Kapazitäten. Ich hoffe aber, dass sich das bald ändert.
Erschwert die politische Situation in Ägypten Ihre Arbeit?
Bisher nicht. Das lief in den vergangenen Jahren mehrheitlich gut. Auf unsere Arbeit hat die politische Situation kaum Einfluss, wir haben seit vielen Jahren auch dieselben Ansprechpersonen.
Ausführen dürfen Sie die Fundgegenstände nicht, diese müssen alle in Ägypten bleiben. Wo analysieren Sie das Gefundene?
Im Grab selber oder ausserhalb davon. Dort arbeiten wir, registrieren und nummerieren die Gegenstände. Dann bleiben sie vor Ort oder kommen in ein Magazin. Für ein Museum sind diese Mumien zu wenig spektakulär.
Die Fundstücke kommen zurück unter die Erde?
Je nach dem. Das müssen Sie nicht allzu genau schreiben, wir wollen keine neuen Diebe anlocken. Bei diesem Grab gibt es ohnehin nichts mehr, das materiellen Wert hätte.
Grabräuber sind ein grosses Ärgernis für Ägyptologen. Stehen Sie in einer Konkurrenz zueinander?
In gewisser Weise ja. Grabraub zerstört für uns wichtige Informationen. Die Grabräuber zerstören den Kontext, der für uns wissenschaftlich so wichtig ist. Die Plünderer machen die Gräber meistens unwiederbringlich kaputt.
Und verbrennen die Gräber häufig aus Angst vor einem möglichen Fluch der Toten…
Heute passiert das wohl nicht mehr. Man weiss aber, dass das noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts so gemacht wurde.
Ist das etwas, das die Forscher ebenfalls beschäftigt?
Der Fluch? Nein, der beschäftigt uns nicht.
Und doch stören auch Sie mit Ihrer Arbeit die Totenruhe.
Das sind schon Fragen, die wir uns stellen. Beispielsweise beim Fund vor zwei Jahren, als wir ein unversehrtes Grab öffneten. Ich sage mir dann, wir sind zum einen von der Wissenschaft getrieben – und zum anderen ist gerade diese unversehrte Mumie in diesem schönen Sarg im Sicherheitsmagazin wohl besser aufgehoben als im Grab, wo sie in falsche Hände geraten könnte.
Sie sehen sich also auch als Bewahrerin?
Ja, in einem gewissen Sinn schon. Beim jüngst entdeckten Grab kann man es ausserdem umgekehrt sehen. Unsere Anthropologinnen und Anthropologen werden sicherlich auch die Körper wieder zusammensetzen, sie stellen also in gewissem Sinn den Totenfrieden wieder her. Das ist sogar in gewissen altägyptischen Texten ein Thema, dass ein Körper, der auseinanderfällt, wieder zusammengesetzt werden sollte.
Weshalb hatte die Mumifizierung für die alten Ägypter eine so grosse Bedeutung?
Es gab in der damaligen Vorstellung kein Fortleben der Seele ohne ihren Körper. Dieser musste weiterbestehen, damit auch die Seele weiterbestehen konnte. Deshalb hatte man sehr früh angefangen zu experimentieren, um so den Verwesungsprozess aufzuhalten. Zudem wollten vermögende Menschen ihren Reichtum ins Jenseits mitnehmen. Das erklärt die oft luxuriöse Ausstattung der Gräber.
Gibt es Aspekte aus dem alten Ägypten, von denen Sie denken, davon könnten wir auch noch etwas lernen?
Ja, durchaus. Es gab bei den Altägyptern Werte allgemeingültiger Art wie Gleichheit und Gerechtigkeit, die sehr schön beschrieben werden. Oder die Forderung, aktiv Gutes zu tun. Der Altägypter war stärker in die Gesellschaft eingebunden, als wir es oft sind. Zudem erhöhte gutes Tun seine Chancen, im Jenseits zu überleben. Das waren wichtige Gedanken für die Leute von damals.
Gibt es da für Sie auch eine gewisse Art von Nostalgie?
Nicht unbedingt. Aber es sind teilweise sehr berührende Texte, die wir lesen. Gerade bin ich mit Studierenden dabei, ein riesiges Buch zu lesen: die Prozessakten von antiken Grabräubern. Rund 1100 Jahre vor Christus wurden diese Räuber geschnappt und verhört – als Leser hat man das Gefühl, mit dabei zu sein an diesem Gerichtshof. Man scheint die wichtigen Herren und die Räuber vor sich zu haben.
Wie wurden die Räuber bestraft?
An dieser Stelle bricht der Papyrus ab. Aber bereits das Verhör erfolgte unter Stockschlägen und Verdrehen von Händen und Füssen. Das zeigt auch, dass man diese Welt nicht idealisieren darf, der Lebensalltag war oft äusserst hart und manchmal auch brutal.
Sie beschäftigen sich nun seit vielen Jahren mit dem alten Ägypten. Wie weit kann man sich als Forscherin einer vergangenen Kultur annähern? Wird Ihnen das alte Ägypten je so vertraut sein wie eine Kultur der Gegenwart?
Wahrscheinlich nicht. Wir kennen nur Fragmente, da ein Text und dort ein Dokument. Es ist ein Puzzle von Informationen, das zahllose Fragen stellt.
Und doch ist es für Sie eine lebendige Welt.
Natürlich. Aber es ist auch eine Welt, die ich nur vermittelt kenne – nicht wie etwa England, wo ich die Sprache sprechen und das Bier trinken kann. Wie das altägyptische Bier geschmeckt hat, werde ich nie erfahren.
Bedauern Sie das?
(lacht) Wegen dem Bier?
Nein, dass Sie sich nie im alten Ägypten bewegen konnten.
Nein, das Erforschen und Rekonstruieren vergangener Kulturen anhand von Zeugnissen und Dokumenten ist ja gerade die Aufgabe eines Historikers und einer Historikerin. Und das bin ich ja schliesslich.
Die von Räubern zerstörte Grabkammer. (Bild: Matjaz Kacicnik)