China fragt sich, welche Folgen die Wahl von Donald Trump für das Reich der Mitte haben wird. Noch gibt sich die Staatsspitze abwartend. Sollten sich die USA aber isolieren, könnte das ein Zusammenrücken im asiatischen Raum zur Folge haben.
Die Stunde der Wahrheit kommt am Tag 100. Am 100. Tag im Amt will der künftige US-Präsident Donald Trump eine Untersuchung starten, ob China ein «Währungsmanipulator» ist, der seine Landeswährung künstlich niedrig hält. Mit diesem Etikett müsste China in den USA mit hohen Strafzöllen rechnen.
Trump hatte China im Wahlkampf gedroht, gegen unfaire Handelspraktiken vor Gericht zu ziehen oder Zölle von bis zu 45 Prozent auf bestimmte Importe zu erheben. China habe Millionen amerikanischer Jobs gestohlen, wiederholte Trump immer wieder – diese werde er zurückholen. Und: Der Klimawandel sei ein von China bewusst in die Welt gesetzter «Scherz».
China regiert nach aussen hin betont gelassen auf Trumps Wahlsieg. Präsident Xi Jinping gratulierte ihm Anfang der Woche und erklärte: «Kooperation ist das einzig Richtige für die USA und China.» In sozialen Medien zeigten Chinesen Schadenfreude, Begeisterung, aber auch Sorge.
Die regierungsnahe Presse rasselt mit dem Säbel. Das zeigt, dass Peking nervös ist.
Doch was hat China von einem Präsidenten Trump tatsächlich zu erwarten? Zunächst einmal vor allem Unsicherheit, da geht es Peking wie dem Rest der Welt. Wenn Trump gewinnt, «wird China in Wirtschaft und Handel grösseren Herausforderungen gegenüberstehen», fasste die als regierungsnah bekannte Zeitung «Global Times» noch in der Wahlnacht das Dilemma zusammen.
Kurz nach der Wahl drohte das Blatt Trump mit Konsequenzen, sollte dieser einen Handelskrieg anzetteln: China könne Boeing-Orders durch Airbus-Bestellungen ersetzen. Die Verkäufe von Autos und Iphones würden leiden, Importe von Soja und Mais aus den USA gestoppt. Dieses Säbelrasseln zeigt, dass Peking durchaus nervös ist.
China-Bashing ist seit vielen Jahren ein fester Bestandteil amerikanischer Wahlkämpfe.
Seit die USA und China vor 37 Jahren diplomatische Beziehungen aufnahmen, waren diese stets von einer gespannten Partnerschaft geprägt. Man arbeitete zusammen, war aber nie eng befreundet. Prognosen eines «Chimerica», das bald in Umgehung Europas die Zukunft der Welt gestalten werde, gingen stets zu weit.
Einer der grössten bilateralen Meilensteine war das von Obama und Xi 2015 unterzeichnete Klima-Abkommen, in dem sich beide Staaten zu Treibhausgas-Reduktionen verpflichteten. Es ebnete den Weg zum globalen Abkommen von Paris – das nun von Trump abgelehnt wird. Doch generell ist China-Bashing seit vielen Jahren ein fester Bestandteil amerikanischer Wahlkämpfe. In diesem Kontext muss letztlich auch die Wahlkampf-Rhetorik Trumps gesehen werden.
Enge Verflechtungen
So ist es kein Wunder, dass das offizielle Peking bisher äusserlich cool bleibt. China erwarte einen Ausbau der Kooperation auf allen Ebenen und in verschiedenen Bereichen, wie etwa Infrastruktur, sagte Aussenamtssprecher Geng Chuang. Beide Staaten sind wirtschaftlich eng verflochten. China hat ebenso wie Japan Milliarden in amerikanische Staatsanleihen investiert.
Umgekehrt sind die Investitionen amerikanischer Firmen in Produktionsstätten in China nach wie vor hoch. Glaubt man einer Studie der Rhodium Group und des National Committee on US-China Relations, sind diese sogar dreimal so hoch wie in offiziellen Statistiken. Berechnet nach einer neuen, auf Transaktionen basierenden Datenbestandsmethode, investierten US-Unternehmen zwischen 1990 und 2015 laut der Studie rund 228 Milliarden Dollar in China. In die umgekehrte Richtung flossen immerhin 64 Milliarden. Dieses Geld habe in den USA 100’000 Jobs geschaffen, während US-Firmen in China mehr als 1,6 Millionen Menschen beschäftigten.
«Ein Investment ist wie eine Ehe», sagte Stephen Orlins, Präsident des National Committee on US-China Relations, bei der Präsentation der Studie diese Woche in New York. «Damit es blühen kann, sind ständige Kommunikation und Commitment beider Seiten nötig.» Solche gemeinsamen Interessen unterliegen nicht den politischen Veränderungen in beiden Ländern, glaubt auch Tao Wenzhao, Experte für China-USA-Beziehungen an der staatsnahen Chinese Academy of Social Sciences. Trump als smarter Geschäftsmann wisse: «Ein Handelskrieg würde beiden Seiten schaden.»
Ein Aus von TPP könnte also dazu führen, dass Asien am Ende enger zusammenrückt und sich dabei um China schart.
Eine von Trumps Ankündigungen aus dem Wahlkampf aber würde China durchaus begrüssen: Das Aus für den von Barack Obama ausgehandelten transpazifischen Freihandelspakt TPP. Dieser umfasst viele Staaten auf beiden Seiten des Pazifik – und schliesst China ausdrücklich aus. Ein Aus für TPP «bietet eine wertvolle Gelegenheit für Entscheider in Peking und Washington, die Sachlage neu zu bewerten und ihre jeweiligen Ansätze neu auszurichten», frohlockte die Parteizeitung China Daily.
Und nicht nur das: Das Ende von TPP würde Chinas eigene Initiative in Asien für die Nachbarstaaten attraktiver machen: Die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), eine pan-asiatische Freihandelszone, für die China seit Jahren wirbt, auch als Gegengewicht zu TPP.
Die 16 RCEP-Länder – die Mitglieder des südostasiatischen Staatenbundes Asean, die 2012 den Anstoss zur RCEP-Idee gaben, sowie China, Japan, Südkorea, Indien, Australien und Neuseeland – repräsentieren gemeinsam 30 Prozent des weltweiten BIP und fast die Hälfte der Weltbevölkerung. Die Verhandlungen sind kompliziert; Indien etwa fürchtet ein noch grösseres Handelsdefizit mit China, Japan die Öffnung seiner Agrarmärkte. Und dennoch: «Wenn es mit TPP nicht weitergeht, werden wir unseren Focus auf RCEP verschieben», sagte Japans Ministerpräsident Shinzo Abe am Dienstag vor Abgeordneten. Er hatte zuvor Amerikas wachsenden Protektionismus als «unglücklich» bezeichnet. Ein Aus von TPP könnte also dazu führen, dass Asien am Ende enger zusammenrückt und sich dabei um China schart.
Philippinen schwenken um
Die Sorge der Anrainerstaaten, dass die USA sich unter Trump aus der Region zurückziehen könnten, spielt China in die Hände. Etwa im südostasiatischen Meer: China beansprucht fast die gesamte See, unter der Rohstoffe vermutet werden. Weitere Staaten, darunter Vietnam, Malaysia oder die Philippinen, erheben ebenfalls Anspruch auf einzelne Inselgruppen und Riffe. Die Spannungen in dem als Handelsroute wichtigen Meer waren zuletzt gestiegen, nachdem China proaktiv Landgewinnung auf umstrittenen Riffen vornahm.
Die Philippinen verklagten Peking vor dem Internationalen Gerichtshof – und bekamen Recht. In Vietnam gingen Menschen gegen China auf die Strasse. Sie alle wussten Amerika auf ihrer Seite, denn die USA schickten regelmässig Patrouillenboote, und Hillary Clinton mahnte China als Aussenministerium offen zur Zurückhaltung.
Trump indes hat an diesen Themen bisher keinerlei Interesse erkennen lassen. Der philippinische Präsident Rodrigo Duterte schwenkte daher bereits auf Chinas Linie um und kündigte eine «Trennung» von den USA in Wirtschaft und Militär an. Im Gegenzug gewährte China seinem Land Zugang zum von beiden Staaten beanspruchten, aber von China kontrollierten Scarborough Shoal. Dessen Gewässer sind wichtige philippinische Fischereigründe. Laut Medienberichten denkt Malaysia über einen ähnlichen Schwenk nach.
Im Wahlkampf forderte Trump zudem Japan und Südkorea auf, mehr für die Stationierung der US-Truppen auf ihrem Boden zu zahlen – und drohte indirekt mit Abzug. Zwar war nach seinem Wahlsieg davon keine Rede mehr. Doch dürfte es China durchaus recht sein, wenn Trump den US-Alliierten in seinem Hinterhof Bedingungen stellt.
China will seine Emissionen senken – egal was Trump vom Klimaschutz hält.
Unangenehm ist Trump für China dagegen beim Thema Klimaschutz. Er leugnet den Klimawandel und drohte im Wahlkampf, aus dem Paris-Abkommen auszusteigen. China leidet, etwa durch zunehmend schwere Dürren, unter den Folgen der globalen Erwärmung und hat sich daher vom Bremser zum Wortführer einer aktiven Klimapolitik gewandelt – auch wenn es derzeit der grösste Emittent von Treibhausgasen der Welt ist.
China werde an seiner Klimapolitik festhalten, sagte Xie Zhenhua, Pekings Abgesandter bei den gerade zu Ende gegangenen Klimagesprächen in Marrakesch. «Dies wird sich nicht durch andere Staaten ändern, auch nicht durch die USA.» China hat sich im Paris-Abkommen verpflichtet, seine Emissionen ab 2030 zu senken. Als Entwicklungsland darf es seine Emissionen derzeit noch steigern; es senkt aber bereits den Ausstoss pro Einheit Wirtschaftsleistung ab.
Wenn die USA wirklich alles stoppen, dann müsse man eben andere Ansätze finden, findet Chai Qimin vom National Center for Climate Change Strategy and International Cooperation: «Seit einigen Jahren haben chinesische und US-Städte bereits funktionierende Partnerschaften zum Klimaschutz.» Dann arbeite man eben auf lokaler Ebene weiter. Und so geht es China wie allen: Es muss sich an die neue Realität anpassen. Und irgendeinen Weg finden.