Das falsche Paradies

Wie die rot-grüne Regierung in Basel für ihre bürgerlichen Wähler das Beste herausholt.

Basel – das Wohnparadies. (Bild: Jared Muralt/Blackyard)

Wie die rot-grüne Regierung in Basel für ihre bürgerlichen Wähler das Beste herausholt.

Basel-Stadt war verkommen.

Jetzt ist der Kanton wieder wunderbar.

Dank uns.

Es war eigentlich eine einfache Botschaft, die die rot-grünen Regierungsräte bei ihrem Start in den Wahlkampf verbreiten wollten. Dennoch brauchten sie über eineinhalb Stunden, um den Medienver­tretern verständlich zu machen, wie viel Gutes sie ­geleistet haben in den vergangenen acht Jahren seit der Machtübernahme von den Bürgerlichen. Bei der langen, überlangen Aufzählung der rot-grünen Erfolge verfestigte sich schon bald das Bild einer rundum erneuerten Stadt. Mit deutlich weniger Schulden, tieferen Steuern, einer starken Wirtschaft, lebenswerten Quartieren, einem aufregenden Kultur­leben. Und, und, und.

Alles so erfolgreich

Nun soll es sogar noch besser werden, in den nächsten vier Jahren. «Wohne, schaffe, läbe», lautet das Wahlkampfmotto der SP. Das klingt überzeugend einfach und vielversprechend, erst recht im Zusammenhang mit dem Werbespruch für das rot-grüne Regierungsquartett: «Erfolgreich für Basel».

Gradlinig, unkompliziert, schlicht überlegen: So gaben sich Eva Herzog (SP, Finanzen), Christoph Brutschin (SP, Wirtschaft, Soziales und Umwelt), Hans-Peter Wessels (SP, Bau und Verkehr) und Guy Morin (Grüne, Präsidiales) im Wahlkampf jetzt auch, schon bei der Auftaktveranstaltung im Hafen, dem voraussichtlich nächsten grossen Wachstumsgebiet der Stadt. In ihren Ausführungen streuten vor allem Hampe Wessels und Guy Morin immer wieder einen flotten Spruch oder eine kleine Spitze gegen die ­Bürgerlichen ein.

Dazu passend auch das Äussere der vier. Leger im Hemd, aber ohne Krawatte die Herren, im luftigen Sommerjupe die Dame, Eva Herzog, die sich diesmal sogar ganze fünf Viertelstunden lang beherrschen konnte, ehe sie ein erstes Mal kurz die Augen verdrehte, weil sie von dem Gerede der Männer wohl wieder mal genug hatte. Verständlicherweise, muss man sagen.

Das viele Selbstlob wäre eigentlich gar nicht nötig gewesen. Denn die drei SP-Regierungsräte gelten schon jetzt als wiedergewählt. Als Wackelkandidat wird höchstens Morin gehandelt. Möglicherweise ist er aber gerade wegen seiner etwas ungelenken Art im Volk sehr viel beliebter, als sich die bürgerlichen ­Parteistrategen das erträumen. Die Stadt kann sich auf vier weitere Jahre unter einer rot-grünen Regierung einstellen. Und darf sich jetzt schon die Frage stellen: Ist die tatsächlich so gut, wie sie behauptet?

Einfache Antwort: nein.

Ein Bluff ist streng genommen nur schon das ­Motto der SP «Wohne, schaffe, läbe». Sehr viel ­treffender für ihre Regierungspolitik wäre: «Schaffe, schaffe, schaffe – und e bitzeli läbe und e bitzeli wohne». Wichtig ist vor allem die Wirtschaft. Oder um es mit den Worten Brutschins zu sagen: «Im Zentrum steht die Beschäftigung.»

Das ist erst einmal vernünftig in einer Region, die sehr gut von und mit der Wirtschaft lebt, der Pharma insbesondere. Die guten Beziehungen waren wohl auch ein Grund, warum Novartis entschied, auf die in Basel – trotz Milliardengewinnen – angekündigte Streichung von 760 Stellen schliesslich doch noch teilweise zu verzichten. Doch muss die Dankbarkeit deswegen nun so weit gehen, dass Herzog und Brutschin die überfällige Anpassung der Medikamentenpreise an den tiefen Eurokurs nach Kräften zu verhindern versuchen? Und damit neben den Genossen in der Restschweiz unter anderem auch den Preisüberwacher gegen sich aufbringen? Wohl kaum.

Pragmatisch, unsentimental

Die Wirtschaftsführer sind sich offensichtlich einen anderen Umgang gewohnt. Pragmatisch, unsen­timental, wie die Spitze von Novartis Schweiz es vormacht: Mit den SP-Regierungsräten verhandelt sie zwar gerne, gegen die überraschende Wahlempfehlung der Handelskammer für die drei SP-Regierungsräte protestierte sie dann aber doch mit einer wenig freundlichen E-Mail an den einflussreichen Wirtschaftsverband. Hauptvorwurf: Man hätte viel eher noch die beiden SVPler empfehlen müssen. Begründung: Deren Partei sei insgesamt sehr viel wirtschaftsfreundlicher als die SP, auf die man sich höchstens in der Region Basel verlassen könne.

Dieser Ärger ist allerdings noch harmlos im Vergleich zu dem, den in Basel die staatsnahen Unternehmungen verursachen. Die Messe Schweiz zum Beispiel, die ihre Monopolstellung gegenüber Handwerkern, Zulieferern und Ausstellern recht unverfroren ausnutzt, wie die TagesWoche schon mehrfach aufgezeigt hat. Oder die Kantonalbank, die ausgerechnet vom rot-grünen Basel aus konsequent eine Schwarzgeldstrategie verfolgt hatte, bis amerikanische Steuerfahnder den gesamten Finanzplatz ins ­Visier nahmen und die Schweiz damit in eine mitt­lere Staatskrise stürzten. Die Kantonalbank ist dabei zwar nur eine beschuldigte Bank unter vielen, aber eine mit einer Staatsgarantie. Im schlimmsten Fall muss der Steuerzahler für ihre Verfehlung aufkommen. Das macht den Fall besonders. Und die Bank für die Amerikaner zum idealen Faustpfand in den Verhandlungen mit der Schweiz.

Nur die ganz wichtigen Projekte

Die starke Stellung der Wirtschaft zeigt sich auch im Stadtbild. Projekte, die laut Regierung und Wirtschaftsverbänden wichtig für den «Standort Basel» sind, werden unter lautstarken Hinweisen auf die «fatalen Folgen» eines negativen Entscheids so zügig wie irgend möglich bewilligt und realisiert, egal wie gross sie sind – der Novartis Campus, der Messe­neubau oder der Roche-Turm.

Projekte, die den Menschen in der Stadt sehr viel direkter zugute kämen, werden dagegen zerredet, bis sie zur Unkenntlichkeit geschrumpft sind oder an der Urne gleich ganz abgelehnt werden. Daran hat sich in Basel auch unter Rot-Grün nichts geändert, wie 2007 das Nein zu einem spektakulären neuen Casino am Barfüsserplatz zeigte. Das Gleiche wie mit dem Entwurf der irakischen Stararchitektin Zaha Hadid könnte nun bald auch mit den schönen Plänen fürs Kasernen­areal passieren. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: den ausgedienten Militärbau schleifen und das Areal zum Rhein hin öffnen. Welch grossartigen Platz das gäbe für die Basler, die ihren Fluss in den vergangenen Jahren erst richtig entdeckt haben!

Eine Vorstellung, die anfangs auch die Regierung begeistert hatte. «Hier ist der Ort für einen grossen Wurf. Es kann nicht sein, dass in Basel nur die gros­sen Firmen mit dem Campus von Novartis und dem Roche-Turm solche grossen Würfe machen», sagte Regierungspräsident Guy Morin vor vier Jahren in einer Gesprächsrunde von Radio X auf dem Kasernen­areal. Und weiter: «So etwas braucht Mut.» Die Abteilung für Kantons- und Stadtentwicklung werde Basel diesen Mut aber geben können, versprach er.

Danach überliessen Morin und seine unerschrockenen Stadtentwickler das Wort den Bedenken­trägern. Dem Heimatschutz und der Denkmalpflege, die den Funktionsbau aus dem 19. Jahrhundert mit Publikationen und Ausstellungen immer wichtiger machten und Widerstand gegen jegliche Umgestaltung ankündigten. Den Machern des Basel Tattoo, die die Kaserne als Kulisse benötigen – für ein paar wenige Tage im Jahr.

Und so bleibt das Gebäude nun wohl für alle Ewigkeit stehen. Beschlossen ist bis jetzt jedenfalls nur eine «seitliche Öffnung». Für weitere Planungen hat die Regierung in dieser Woche zudem 2,3 Millionen Franken in Aussicht gestellt. Selbst wenn jetzt wieder einmal von «grosszügigen Lösungen» die Rede ist, scheint das Ergebnis bereits festzustehen: ein kleines Loch statt einem grossen Wurf.

Die liebsten Mieter

Zum «Wohne», der nächsten Kernkompetenz von Rot-Grün – angeblich. Tatsache ist, dass in diesem Bereich bald schon fast Zürcher Verhältnisse herrschen. Das heisst: hohe Mieten und kaum freie Wohnungen. Das freut die Investoren und kann von der Regierung als Indiz dafür verwendet werden, dass die Stadt wieder attraktiver geworden ist, dass sie endlich wieder wächst. Für die Menschen in der Stadt ist diese Entwicklung aber schlecht, vor allem für jene mit einem tiefen Einkommen und wenig Ver­mögen. Oder anders gesagt: für die alten, traditionellen Stammwähler der SP.

Sie werden sich kaum eine der hübschen Eigentumswohnungen auf dem ehemaligen Areal des Kinderspitals leisten können, die an den Meistbietenden gehen und deren Mindestpreise zwischen 930 000 und 2,142 Millionen Franken liegen, wie die «Basler Zeitung» berichtete. Auch eine monatliche Miete zwischen 3300 und 4300 Franken für eine 4,5-Zimmer-Wohnung (von den 5,5-Zimmer-Wohnungen ­reden wir hier gar nicht) ist für die meisten Bewohner der Stadt eher illusorisch. Die Wohnpolitik der rot-grünen Regierung: Für wenige statt für alle.

Just diese Woche ist die Regierung nun dem unzufriedenen Mieterverband entgegengekommen und hat – neben weiteren Zugeständnissen an die Investoren – die Förderung von gemeinnützigem Wohnungsbau angekündigt. Dank diesen Massnahmen sollen in den nächsten zehn Jahren 4400 Wohnungen entstehen – viele günstige auch. Das schon seit Längerem angekündigte Gesetz ist eine Abkehr vom bisherigen Prinzip, mit möglichst schönen Wohnungen gute Steuerzahler anzulocken.

Noch nehmen der Regierung aber längst nicht alle ab, dass es ihr ernst ist mit der neuen Strategie. Der Mieterverband warnt. Und Grossrat Jörg Vitelli (SP) hat schon vor einigen Wochen im Gespräch mit der TagesWoche Zweifel angemeldet. «Schaut doch einfach das Prestigeprojekt auf der Klybeckinsel an!», sagte er: «Dort soll ein Yuppiedorf entstehen. Wie passt das zu all den hehren Absichten?» Eine kritische Frage, auch wenn sie eigentlich noch recht zurückhaltend formuliert ist. Im Gegensatz zu Vitelli sprechen die Stadtplaner jedenfalls nicht von einem «Dorf», sondern – sehr viel unbescheidener – von ­einem neuen «Rheinhattan».

Bleibt, bezeichnenderweise als letzter Punkt, das «Läbe». Hier hat Basel, hier haben die meisten Schweizer Städte unter rot-grüner Regierung, in den letzten 20 Jahren die meisten Fortschritte gemacht. Wir reden nicht mehr von den «A-Städten», wie noch in den 1980er-Jahren, wir reden von Urbanität, Mediterranisierung, dem Leben im öffentlichen Raum. Der Rhein wurde in den vergangenen Jahren als das nächste Naherholungsgebiet von den Baslerinnen und Baslern entdeckt. An heissen Tagen hat das Rheinbord jenes Flair, das wir alle so gerne in den Sommerferien suchen. Und es endet nicht mit dem Bier in der Buvette – Basel ist in den vergangenen Jahren eine Openair-Stadt geworden. Das Kulturfloss, der Jungle Street Groove, die Sportnacht, das Jugendkulturfestival, «Em Bebbi sy Jazz», vom Frühling bis zum Spätherbst findet die Stadt draussen statt.

Spielverderber in der Verwaltung

Die interessante Frage ist nicht, ob das eine Entwicklung ist, die auch unter einer bürgerlichen Mehrheit stattgefunden hätte. Die interessante Frage ist, wie die rot-grüne Mehrheit mit dieser Entwicklung umgeht. Sie fördert. Oder behindert. Gerade die letzten Wochen haben gezeigt, dass die linken Regierungs­räte zwar keine Gelegenheit verpassen, auf die wunderbare Blüte der Kulturstadt Basel hinzuweisen, gleichzeitig aber einer Verwaltung vorstehen, die es bestens versteht, jede Eigeninitiative zu bremsen. Wo Veranstalter von einem Amt zum anderen geschickt werden. Wo Bewilligungen nicht selten erst am Vorabend des Events eintreffen. Wo unbewilligte und seit Jahren regelmässig stattfindende Feste plötzlich per Kastenwagen aufgelöst werden.

Und wo es den Hinterhof-Beizen nicht mehr erlaubt sein soll, nach 20 Uhr zu wirten, und sich Regierungsrat Brutschin wie eine Mauer vor seine Fachstelle für Lärmschutz stellt. Auf die Frage in einem BaZ-Interview, ob er nicht in einer biederen Stadt lebe, meinte er: «Basel ist überhaupt nicht bieder. Spreche ich von Basel, zitiere ich die Rockband Guns N’ Roses mit ihrem Song ‹Para­dise City›». So viel muss man der rot-grünen Regierung lassen: Ihre Kommunikation ist kohärent. Einmal Paradies, immer Paradies. Wer will sich da schon beklagen?

Die Reihenhaus-Bewohner

Das Geheimnis des paradiesischen Erfolgs der rot-grünen Regierung in Basel, aber auch in den anderen Städten der Schweiz, ist das urbane Selbstverständnis der Städter. Im Mittelstand angekommen, wählen diese Reihenhausbewohner in der Breite und dem St.-Alban-Quartier aus alter Gewohnheit links, aber nicht aus Überzeugung. Wo ihnen die reine Lehre der SP zu dogmatisch und zu ideologisch ist, fühlen sie sich viel eher durch den pragmatischen Ansatz von Morin/Brutschin/Wessels/Herzog vertreten. Die Regierungsräte sind ihre Abbilder, guter Mittelstand, gut ausgebildet, mit einem sozialen Gewissen und ­einem sehr bürgerlichen Hang zur nüchternen Rechnung und zum schweizerischen Kompromiss.

Darum konnten so urbürgerliche Anliegen wie das Senken der Steuern, der Abbau der Schulden oder die Sanierung der Pensionskassen von dieser links-grünen Regierung durchgezogen werden: weil es auch im Interesse ihrer Wähler ist. Und weil die Opposition von links ausbleibt (die Senkung der Unternehmenssteuer verbuchen wir an dieser Stelle als kleinen Ausrutscher). Die rot-grüne Regierung, so scheint es jedenfalls, ist näher bei der Stadtbevölkerung, als das die traditionellen Parteigänger der SP oder der Grünen wahrhaben wollen. Und darum deutet heute nichts darauf hin, dass die Regierung aus ihrem kleinen Paradies vertrieben werden könnte. Der Wahlkampf dreht sich um den Kampf der Bürgerlichen untereinander und um die angebliche Hanfplantage von Christoph Eymann. Eigentlich die perfekte Ausgangslage für Rot-Grün, um etwas mehr Mut zu zeigen. So wie es Guy Morin einst vollmundig versprochen hat.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 31.08.12

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