Eine lebhafte, vertiefte Auseinandersetzung über Fussball, seine Fans und die Sicherheit wurde am Dienstag an der Basler Universität geführt. Näher kamen sich Befürworter von verschärften Repressionen und deren Gegner nicht. Aber Basel demonstriert, dass eine Dialogkultur herrscht.
Bliebe man im Fussballjargon, dann war es die klare, erwartete Auswärtsniederlage für Bern in Basel. Fast so, wie es für den Sonntag vorhergesagt werden könnte, wenn die Young Boys beim FCB antreten. Der Berner Regierungsrat Hans-Jürg Käser argumentierte am Dienstagabend in einer vollbesetzten Aula der Universität Basel auf verlorenem Posten.
Als Präsident der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) ist Käser einer der Väter der Verschärfung von Massnahmen gegen Gewalt bei Sportveranstaltungen, was verkürzt unter dem «Hooligan-Konkordat» bekannt ist. Diesem brisanten Geschäft, das der neue Basler Sicherheitsdirektor Baschi Dürr noch im ersten Halbjahr Regierung und Parlament vorlegen will, nahm sich eine von Uni, FC Basel und dem Basel Institute on Governance lancierte Gesprächsrunde an. Moderiert wurde die Diskussion von Mark Pieth.
Schon im Vorfeld liess der Basler Strafrechtsprofessor – derzeit als Reformer des Weltfussballverbandes Fifa in aller Munde – durchblicken, dass er Webfehler erkennt bei der Ausarbeitung der Revision des Konkordats: «Man schaute zu wenig genau hin.» Am Dienstag nun wurden zwei Stunden lang mehr oder weniger bekannte Positionen ausgetauscht, von Käser, von Gerhard Lips, dem Basler Polizeikommandanten, von FCB-Präsident Bernhard Heusler, von Fanarbeiter und SP-Grossrat Thomas Gander sowie dessen Partei- und Grossratskollegen Tobit Schäfer, der mit einer Gruppe eben erst Beschwerde gegen das Konkordat beim Bundesgericht eingereicht hat.
Instrumentarium ist «unverhältnismässig und ineffizient»
Käser («Wir haben die Nase voll von Gewalt») hatte drei gegen einen aufgeblähten Repressionsapparat argumentierende Gegner des Konkordats neben sich sitzen. Lips befürwortet einen Beitritt von Basel (Stadt) zum Konkordat im Sinne einer schweizweiten Vereinheitlichung. Er wies indes auch darauf hin, dass einiges, was in dem Papier steht, bereits heute gängige Praxis sei. Aber der Zürcher im Dienste Basels machte im gleichen Atemzug kein Hehl daraus, dass er nicht unglücklich darüber ist, weder in St. Gallen noch in Zürich zuständig zu sein. Dort also, wo sich derzeit die Probleme zwischen (staatlichen) Sicherheitskräften und Fans bei Sportveranstaltungen mit am stärksten akzentuieren.
Davon können auswärtsfahrende FCB-Fans ein Lied singen. Es geht, das wurde am Dienstag in der Aula der Universität erneut deutlich, nicht bloss um die Frage, ob Basel dem Konkordat beitritt oder nicht: Bei 18 Auswärtsreisen pro Saison geht es auch darum, was die Fans andernorts erwartet. Die Kritiker erachten das Instrumentarium, das von Identitätskontrollen bis hin zu Leibesvisitationen im Intimbereich reicht, von Vorschriften für die Anreise und Sanktionen bis zu dreijährigen Stadion- und Rayonverboten als «unverhältnismässig und ineffizient» (Schäfer).
«Bei Auswärtsfahrten werden unbescholtene Bürger drangsaliert.» (FCB-Fan)
Während Thomas Gander vor einer «Kollektivbestrafung» der Fans warnte, liess sich aus dem Publikum in der Aula einer ein, der keine Lust mehr auf Auswärtsfahrten hat: «Da werden unbescholtene Bürger drangsaliert.» Einen fast schon flammenden Appell («Ich habe Angst vor dem, was in Bern passieren kann») richtete ein YB-Fan an die Versammlung – und erhielt Beifall. Als einziger Berner an diesem Abend.
Werbung konnte Hans-Jürg Käser jedenfalls für sein Papier nicht machen – Basel bot für die bescheidene Rhetorik des FDP-Politikers keinen Resonanzboden, und auch seine Anbiederungsversuche («Niemand hat was gegen Fussballfans», «Es geht nicht darum, Fankultur abzuwürgen») verfingen nicht. Da konnte er noch so sehr betonen, dass sich die Repressionen nicht gegen alle Fans richten würden, sondern nur gegen gewalttätige, dass es sich um «Kann»-Bestimmungen handle.
Wie es sich für einen gesitteten Umgang in den Hallen der Alma Mater geziemt, wurde mit feiner Klinge gefochten. Käsers bekanntes Plädoyer fürs Konkordat («Sonst wird mit dem Rechtsstaat Schlitten gefahren») konterte Bernhard Heusler mit Blick auf den Widerstand: «Man muss sich nicht wundern, wenn mit einem Schlitten gefahren wird.»
Der FCB-Präsident setzte aber auch gezielte Treffer: Was Käser an Anschauungsbeispielen für die KKJPD auf Auslandsreisen ins Feld führt, sieht Heusler als wenig zielführend für eine Schweizer Lösung: «Da interessiert mich Antwerpen nicht.»
Bleibt die Unschuldsvermutung auf der Strecke?
Zwischenstand der Dinge ist: In St. Gallen wurde gerade ein (FCB-)Fan von einem ordentlichen Gericht freigesprochen, weil im Hoppla-Hopp-Verfahren im Stadion ein paar Dinge schief gelaufen sind bis bin zu einer offensichtlichen Vertuschung von entlastendem Videomaterial. Ein Fall der aufzeigt, dass die viel gepriesene und von der heutigen Ständerätin Katrin Keller-Sutter befeuerte harte Linie rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unschuldsvermutung missachtet.
Genau diese Missachtung der Unschuldsvermutung stört den Basler SP-Grossrat und Strafverteidiger Christian von Wartburg, der an diesem Abend wie viele zahlreiche andere lokale Politiker und Funktionäre unter den 450 Besuchern sass. Artikel 3 des Konkordats (siehe Rückseite) heble die Unschuldsvermutung aus, weil schon eine polizeiliche Anzeige für Massnahmen wie Stadionsperre reiche, sagte von Wartburg in seinem Votum. Seine Frage ob dies den Verantwortlichen bewusst sei, blieb allerdings von Käser unbeantwortet. «Die Befürworter sagen, sie möchten den Rechtsstaat mit diesem Konkordat beschützen, übergehen aber damit Grundrechte wie die Unschuldsvermutung», wie er nach der Diskussion betonte.
«Wir sind nicht blauäugig vorgegangen, wir haben die Konkordatspapiere prüfen lassen.» (Käser)
Eine gewisse Skepsis gegenüber der Umsetzung des Konkordats angesichts der Diskussion um missachtete Grundrechte kann auch aus dem Entscheid der Luzerner Regierung gelesen werden. Sie teilte vergangene Woche mit, dass «das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern vorläufig das revidierte ‹Hooligan-Konkordat› nicht anwenden» werde. Die für das kommende Wochenende geplante Premiere der ID-Kontrollen in der Swissporarena wurde abgeblasen. Man will nun erst einmal abwarten, was das Bundesgericht zum Konkordat zu sagen hat. Tobit Schäfer gibt das Hoffnung, «dass man sich nicht mehr so sicher ist». Hans-Jürg Käser wollte den Luzerner Rückzug nicht kommentieren, sagt aber, dass man bei der Ausarbeitung des Konkordatspapiers nicht blauäugig vorgegangen sei und vom Bundesamt für Justiz die Einschätzung erhalten habe, dass keine Grundrechte verletzt würden.
Als Freund von Aphorismen, als der er sich bezeichnet, hat Käser auf seiner Website unter anderem diesen Sinnspruch platziert: «Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.» Vielleicht wird er sich dies im weiteren Prozess noch zu Herzen nehmen müssem. Die Frage von Moderator Pieth, ob er und seine Kolleginnen und Kollegen bei der KKJPD das Konkordat nochmals nachbessern wollen bei einer Niederlage vor dem Bundesgericht, beantwortete er knapp mit: «Wir warten mal ab.»
Zuger Kantonsparlamentarierin reiste extra an
In Zug wurde das Konkordat vergangene Woche mit gerade einmal einer Stimme Mehrheit befürwortet und in eine zweite Lesung geschickt. Am Dienstag sass Esther Haas im Publikum der Aula. Die Zuger Kantonsparlamentarierin (Alternative – die Grünen) kennt als langjähriger FCB-Fan den Weg in die Nordwestschweiz. Sie bekannte sich zu etwas, was im Massnahmenkatalog der KKJPD nicht vorkommt: «Ich will im Stadion technischen und taktischen Fussball sehen, aber ich will auch emotional verführt werden.»
Haas hat in der Auseinandersetzung mit dem Konkordat festgestellt, dass den Leuten nicht der Sachverstand fehlt (wie Gander sagte), sondern die emotionale Bindung zum Sport. Das Konkordat sei in Kantonen angenommen worden, denen Fankultur fremd ist, weil sie dort gar nicht stattfinde. Das führte Moderator Pieth («Im liberalen Kontext muss man damit rechnen, dass etwas passieren kann») zur Frage: «Haben wir die richtige Optik?» Der Polizeipraktiker Lips meint: Ja. Räumte aber gleichzeitig ein, dass es ein «Spagat» sei: «Was versteht man unter Sicherheit?»
«Wenn ich Sorge habe, dass es schwere Verletzungen geben könnte, dann wegen der Eingangskontrollen.» (Heusler)
Über eine Stunde dauerte es, bis eines der Reizworte erstmals in den Mund genommen wurde: Pyros. Das pyrotechnische Material, das von Fans in die Stadien geschmuggelt und dort abgebrannt wird – und die sich dadurch bildende Spirale von Kontrolle und Versteckspiel.
Einer wie Heusler, der sich nach dem 13. Mai 2006 und den schweren Ausschreitungen von FCB-Fans im St.-Jakob-Park angewöhnt hat, genau hinzuschauen und zu hören, erlaubt sich, eine brennende Fackel in der Hand eines Fans nicht als Gewaltakt zu betrachten. Ausserdem sagt er: «Wenn ich Sorge habe, dass es schwere Verletzungen geben könnte, dann wegen der Eingangskontrollen in den Gästesektoren der Stadien. Da werden Aggressionen geschürt – auch in Basel.»
Ruhe dank Dialog
Mehrfach war am Dienstag von einem fehlenden Dialog die Rede, ein Dialog, in den die Fans mit eingebunden sind. Einen Runden Tisch hatten Bundesrat Ueli Maurer und die KKJPD im Jahr 2011 aufgelöst. Wohingegen in Basel – nicht zuletzt durch die Ankunft des umsichtigen Gerhard Lips – dieser Dialog vertieft wurde. Thomas Gander beschreibt das als «Basler Weg»: «Wir sitzen an einem Tisch, wir streiten auch, aber es gibt keine Schuldzuweisungen, und man geht der Sache auf den Grund.» In diesem Klima ist es in Basel in den letzten drei Jahren verhältnismässig ruhig geblieben.
Dieser Basler Weg verhindert nicht, dass in Basel Bengalos sowohl in der Muttenzerkurve wie im Gästebereich brennen. Und er ist keine Garantie dafür, dass es nicht wieder zu «Ereignissen kommen kann», wie Tobit Schäfer das ausdrückt, «vermutlich auch schweren». Aber diese Sicherheit gebe es weder mit noch ohne verschärftem Konkordat.
«Wir haben das Glück in Basel besonnene Leute an den Hebeln zu haben. Wir dürfen aber bei der Gesetzgebung nicht vom Best-Case ausgehen.» Es ginge bei der Kritik am Konkordat, unabhängig von den Verantwortlichen für Rechtssicherheit und Verhältnismässigkeit zu sorgen. Heusler warnte: «Man darf nicht zu pathetisch werden, wir haben in Basel auch nicht die Lösung gefunden. Und wir werden die Probleme nicht in den Fussballstadien lösen. Aber man kann den Dialog suchen und führen.»
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