Ob Heimatschutz, Umweltschutz oder Anwohner – die Nein-Sager in Basel haben viel Einfluss und Erfolg. Aktuelles Ziel ist das Bodigen des Grossbasler Rheinuferwegs.
Seit 20 Jahren blickt der SP-Politiker Daniel Goepfert immer wieder schwermütig auf die Grossbasler Seite des Rheins. Schwermütig, weil er eine Fussgängerverbindung von der Wettsteinbrücke bis zur Mittleren Brücke vermisst.
Als 2002 ein Projekt der Christoph Merian Stiftung für eine Teilschliessung der Lücke wegen Einsprachen der Denkmalpflege und des Heimatschutzes vor dem Appellationsgericht scheiterte (Begründung: «kein öffentliches Interesse»), schwor sich Goepfert, den Kampf für eine solche Fussgängerverbindung zu seinem Lebensinhalt zu machen. Am 18. Mai entscheidet sich, ob sich sein jahrelanger Einsatz gelohnt hat und die Bevölkerung einen solchen Steg grundsätzlich befürwortet.
Der SP-Grossrat hat es mit einer starken Gegenseite zu tun – eine, die in Basel immer wieder erfolgreich Projekte bodigt: Vehement und mit einem Budget von 70’000 Franken setzen sich der Heimatschutz und die Freiwillige Denkmalpflege gegen die Initiative «Grossbasler Rheinuferweg jetzt!» ein.
Goepfert bezeichnet diese Lobby als «Koalition der Freudlosigkeit», als «Stahlhelm-Fraktion». Er sagt: «Es gibt in Basel eine Verhinderungsmentalität. Diese Lobby ist relativ stark, von sich selber überzeugt und schlecht gelaunt. Am liebsten möchte sie jede Weiterentwicklung verunmöglichen und alles einbalsamieren.»
Diese Allianz wehre sich auch immer gegen Projekte, die der Bevölkerung zugute kämen, wenn es aber um die Wirtschaft gehe – wie beispielsweise den Roche-Turm oder die neuen Baloise-Überbauung – kusche sie. «Es steckt viel Ideologie dahinter, gerade der Heimatschutz leistet gegen alles Opposition, was sich bewegt», sagt der ehemalige Grossratspräsident.
Verhinderung hat System
In der Tat: Wo es Widerstand gibt, ist auch der Heimatschutz nicht weit entfernt. Er kämpfte unter anderem gegen den Claraturm, das neue Zentrum für Life Sciences der Universität auf dem Schällemätteli-Areal, den Neubau des Stadtcasinos von Zaha Hadid und gegen ein neues Parking im Raum Aeschen.
Ebenfalls nichts anfangen konnte der Heimatschutz mit der Überbauung Lautengarten beim Aeschenplatz oder dem Abriss des «Mister Wong»-Hauses in der Steinenvorstadt. Und nach der Abstimmung über den Grossbasler Rheinuferweg wendet sich der Verein mit seinen 600 Mitgliedern dem Bodigen des Neubaus des Klinikums 2 zu. Mit freundlicher Unterstützung von Daniel Goepfert, der jetzt genau über diesen Heimatzschutz herzieht.
In seinem Büro zu Hause im Gellert sitzt Robert Schiess. Seit 23 Jahren ist er Präsident des Vereins und gehört zu jener Sorte Mensch, die inzwischen mehr Feinde als Freunde hat. Doch das ist Schiess egal, er sieht sich als Hüter des Stadtbildes. Er sagt: «Man zeigt mit dem Finger auf uns – das ist der einfachste Weg. Man denkt nicht darüber nach, wieso wir uns als über 100-jähriger Verein gegen etwas wehren.» Gegen einen Steg auf der Grossbasler Rheinseite sei sein Verein unter anderem, weil es «seit 500 Jahren keinen Rheinuferweg zwischen Wettsteinbrücke und der Mittleren Brücke gibt». «Genau dieses Bild wird weltweit mit Basel in Verbindung gebracht.»
Widerstand auch von WWF und Pro Natura
Nicht nur der Heimatschutz ist für seinen Widerstand als Programm bekannt, auch die Naturschützer von Pro Natura und WWF. Wann immer die Stadt eine Parkanlage umgestalten will, hagelt es Einsprachen. Beide Organisationen haben sich auch dem Widerstand gegen den Rheinuferweg angeschlossen.
«Wenn etwas in Basel-Stadt geschützt werden muss, dann der Münsterhang zum Rhein», begründet Jost Müller, Präsident der Basler WWF-Sektion, das Engagement. Insekten, Spinnentiere und Vögel wie die Bachstelze würden durch einen Steg gefährdet, sagt Jürg Schmid, Präsident von Pro Natura Basel. Als schützenswert erachtet der kantonale Naturschutz allerdings bloss verschiedene Flechtensorten. Der Vorwurf des WWF: Eine umfassende Untersuchung des Hanges habe nie stattgefunden.
«Verteidigung von Partikularinteressen»
Die Regierung lehnt einen Steg ebenfalls ab. Regierungspräsident Guy Morin ist persönlich jedoch dafür: «Ich bin überzeugt, dass ein schlichter Steg ohne Schaden am Münsterhügel realisierbar wäre», sagt er.
Morin stellt «mit Sorge» fest, dass die «Verteidigung von Partikularinteressen» zunimmt. «Die Individualinteressen haben in meiner Wahrnehmung zunehmend mehr Gewicht.» In Basel sei immer noch viel möglich. Es sei nicht so, dass Verbände oder Einsprachen die Stadtentwicklung hemmen würden, sagt er. «Aber oft wehren sich genau die Menschen hartnäckig gegen etwas», so Morin, «die sonst gegen Regulierungen und für mehr Freiheit sind. Sobald sie aber selber von einem Projekt betroffen sind, gilt dieser Grundsatz plötzlich nicht mehr.»
Laut dem grünen Regierungsrat hat die Bereitschaft, miteinander nach einem Konsens zu suchen und das Problem gemeinsam zu lösen, abgenommen. «Ein Beispiel unter vielen ist der Streit rund um das Tattoo. Ich bedaure, dass sich der Verein Heb Sorg zum Glaibasel und das Basel Tattoo nicht einvernehmlich bilateral einigen konnten, sondern man vor dem Richter landen musste.» Das mache ihn nachdenklich, diese zunehmende Tendenz fände er beängstigend.
Die Macht der Lärmgeplagten
Und es gibt noch eine andere Gruppe, die den radikaleren Weg bevorzugt: in ihrer Ruhe gestörte Anwohner. Die nächtliche Nutzung der Städte nimmt zu und mit ihr auch die Lärmempfindlichkeit ihrer Bewohner, sagen Lärmforscher.
Deutlich spiegelt sich diese Entwicklung in den Lärmklagen. Im Jahr 2010 verzeichnete das baselstädtische Amt für Umwelt und Energie 280 Klagen wegen Gastronomielärm. Zwei Jahre später hatte sich die Zahl verdoppelt. Anwohner beklagen sich über wummernde Bässe, laute Rauchergespräche und zugeschlagene Türen.
Für die Betreiber von Bars und Beizen ist das eine bedrohliche Entwicklung. Denn wenn es um den eigenen Schlaf geht, werden Menschen zu Getriebenen. Und im Fall von Ruhestörung sind sie von Gesetzes wegen mit weitreichender Macht ausgestattet. In kaum einem anderen Bereich sind die Interessen eines Einzelnen stärker geschützt als im eidgenössischen Umweltschutzgesetz.
Ein Anwohner reicht
Kostspieliege Lärmklagen durch das Amt für Umwelt und Energie, Verzeigungen durch die Staatsanwaltschaft bis hin zu Dezibeleinschränkungen und Bewilligungsentzug: Für all diese Massnahmen braucht es keine Vielzahl von Klägern, ein einzelner schlafloser Anwohner genügt, wenn er nur genügend oft das Telefon zur Hand nimmt und die Polizei ruft. Guy Morin meint dazu: «Die Verwaltung muss die Gesetze vollziehen – dazu gehört hin und wieder auch, die Interessen und das Recht einer Einzelperson zu verteidigen. Das Gesetz schützt als Gegengewicht auch die Schwächeren, sonst würde nur die Mehrheit gewinnen.»
Wer sich in Basel-Stadt in der Gastronomieszene umhört, findet bald einmal leidgeprüfte Clubbetreiber. Auf die kantonalen Behörden, insbesondere das Amt für Umwelt und Energie mit der Abteilung Lärmschutz, sind die wenigsten von ihnen gut zu sprechen. Sie kritisieren das Rollenverständnis der Amtsmitarbeiter als «Anwälte der Anwohner» und werfen ihnen vor, sie würden die Gesetzgebung zuungunsten der Lokalbetreiber anwenden.
Einer von der betroffenen Gastronomen ist Jürg Wartmann. Der Betreiber des «Atlantis» stritt während sechs Jahren mit einem Anwohner und investierte einen sechsstelligen Betrag in bauliche Massnahmen und Verfahrenskosten. Schliesslich bekam Wartmann recht – und der Nachbar zog ins Ausland, womit der Fall zu den Akten gelegt werden konnte.
Das fehlende Gespräch
Martin Staechelin von der «Bar Rouge» im Messeturm trägt seinen Streit mit dem Amt für Umwelt und Energie derzeit vor dem Verwaltungsgericht aus. Die Behörden wollen ihn dazu zwingen, die Clublautstärke auf 93 Dezibel zu beschränken. «Dann muss ich zumachen, so kann ich keinen Club mehr betreiben», sagt Staechelin. Also tritt er an, dem Amt für Umwelt und Energie zu beweisen, dass sein Lokal keine Lärmemissionen verursache.
Gekostet hat ihn das bisher mehrere Zehntausend Franken. Unter anderem liess er von einem Ingenieurbüro Lärmmessungen durchführen. Das Ergebnis sei eindeutig gewesen: Kein hör- oder messbarer Lärm sei auf die «Bar Rouge» zurückzuführen. «Die Leute hören Lärm, schauen durchs Fenster und sehen die ‹Bar Rouge›», erklärt sich Staehelin die Klagen. Die Namen oder die Zahl der Anwohner, die gegen ihn geklagt haben, kennt er nicht. Sie haben sich bei ihm persönlich nie gemeldet.
Häufig entscheiden sich Anwohner direkt für den amtlichen Weg. Ein Austausch zwischen Anwohnern und Clubbetreibern findet nur selten statt. «Ein vernünftiger Dialog fehlt in Basel», sagt Tobit Schäfer, SP-Grossrat und Mitglied von Kulturstadt Jetzt. Die Güterabwägung der Behörden falle ausserdem allzu oft zugunsten der Anwohner aus.
Dass sich der Austausch mit Anwohnern unter Umständen auszahlt, beweist unter anderem das «Sud» im Wettsteinquartier. Der Club mit Barbetrieb und Konzerten befindet sich mitten in einem Wohnquartier, doch Lärmklagen gibt es so gut wie keine. Die Betreiber betreiben aktive Nachbarschaftspflege, verschicken Briefe und haben ein Sorgentelefon eingerichtet, wo sich an den Wochenenden lärmgeplagte Nachbarn rund um die Uhr melden können.