«Die menschliche Würde wird in Games reihenweise verletzt»

Nicole Martins-Maag vom Internationalen Roten Kreuz in Genf findet, auch Videospiele sollten das Völkerrecht berücksichtigen. Die Campaignerin im Interview.

Diskussion über Kriegsspiele in Basel: Donnerstag, 22. September 2016, 19.00 Uhr im Salon im 1. Stock des «Unternehmen Mitte», Gerbergasse 30, 4001 Basel.

(Bild: Nils Fisch)

Nicole Martins-Maag vom Internationalen Roten Kreuz in Genf findet, auch Videospiele sollten das Völkerrecht berücksichtigen. Die Campaignerin im Interview.

Nicole Martins-Maag, Vize-Leiterin des Law & Policy Unit des Internationalen Roten Kreuzes in Genf, beschäftigt sich unter anderem mit Kriegsspielen – und dem, was ihrer und der Ansicht ihres Teams nach in den Kriegs-Games fehlt: das humanitäre Völkerrecht.

Die Völkerrechtsexpertin ist am Donnerstag, 22. September 2016, um 19.00 Uhr zu Gast in Basel im 1. Stock des Unternehmens Mitte – der Vortrag- und Diskussionsabend bildet den Auftakt zur «Tour-de-Suisse» zum Thema Völkerrecht des Schweizer Think-Tanks foraus.

Die TagesWoche wollte vor dem Basler Event von der Rechtsexpertin wissen, wie sie auf das Thema Kriegsspiele kam – und was es mit ihrem Anliegen auf sich hat.

Frau Martins-Maag, wie kam es zu Ihrem Engagement für das Völkerrecht in Videospielen?

Nicole Martins-Maag, Vize-Leiterin Law

Nicole Martins-Maag, Vize-Leiterin Law & Policy Unit, IKRK: Sie möchte Kriegsspiel-Produzenten dazu ermuntern, auch das humantitäre Völkerrecht zu berücksichtigen.

Das geschah über videospielbegeisterte Mitarbeiter und durch eigene Erfahrungen. Im Austausch haben wir festgestellt: Viele der meistverkauften Kriegsspiele – darunter weltbekannte Titel wie Call of Duty – geben zwar vor, den Krieg realistisch zu zeigen. Das humanitäre Völkerrecht, welches zum Ziel hat, in bewaffneten Konflikten Zivilisten, Verletzte und Gefangene zu schützen, kommt da aber nicht vor.

Muss es denn vorkommen? Man könnte ja sagen: Es sind ja «nur» Spiele.

Die Spiele werden verkauft, als würden sie wirklichkeitsnahe Erlebnisse repräsentieren. Aber in der Wirklichkeit gibt es auch Regeln. Und die kommen in den virtuellen Szenarien erst gar nicht vor.

Wenn man die Nachrichten liest, hat man das Gefühl, die Regeln würden nirgends so richtig eingehalten…

Wir sehen durch die Nachrichten täglich, dass die Regeln gebrochen werden. Die positiven Beispiele – dass die Regeln der Kriegsführung tatsächlich eingehalten werden –, die schaffen es selten in die News. Und auch die gäbe es, täglich. Zum Beispiel, wenn das IKRK Kriegsgefangene besuchen kann. Oder wenn es humanitäre Hilfe vor Ort leisten kann. Oder aber auch, wenn bewaffnete Truppen sowohl von ihrer Ausbildung her als auf bei der Ausführung ihres Auftrags ganz bewusst auf das humanitäre Völkerrecht eingehen.

Games tun sich nicht nur mit Völkerrecht schwer, sondern auch mit Politik im Allgemeinen. Warum? Spieltrieb-Blogger Stephan Herzog hat sich damit beschäftigt:

Die Kriegsspiele sollen also ein echteres Bild vom Krieg vermitteln? Weil es nicht gut ist, dass sie das nicht tun?

Die Forschung kann sich in der Frage nicht festlegen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Gewalt in Spielen und in der realen Welt. Es gibt keinen bewiesenen, eindeutigen Link. Trotzdem: Gewalt und die systematische Verletzung des humanitären Völkerrecht werden in Games banalisiert. Wir schauen explizit nur Kriegsspiele an – nicht andere gewalttätige Spiele. Wir befürchten, Spieler könnten das, was Kriegsspiele zeigen, als «normal» empfinden – auch in der realen Welt. Es geht letztlich auch im Spiel um die menschliche Würde. Die wird reihenweise verletzt.

Haben Sie dafür konkrete Beispiele?

Mir geht es nicht darum, einzelne Titel anzuschwärzen, ganz und gar nicht. Wir wollen auch keine Spielverderber sein, nichts verbieten. Aber wir möchten auf die Tatsache hinweisen, dass es nun mal so ist, dass es Spiele gibt, bei denen der Spieler gezielt Massaker an Zivilpersonen vornehmen soll. Alles: Folter, Exekutionen und die ganze Bandbreite an Verstössen gegen das Völkerrecht muss man vornehmen, um im Spiel erfolgreich zu sein.

Und das wollen Sie ohne Verbote ändern?

Wir führen Gespräche mit vielen – auch grossen – Spieleproduzenten. Es geht wie gesagt nicht um Verbote. Aber um die Frage: Warum können die Spiele nicht realistischer und komplexer sein? Warum muss der Spieler grundsätzlich auf alles schiessen, um weiterzukommen? Die Realität des Krieges ist sehr viel komplexer. Diese in die Spielszenarien miteinzubeziehen, würde die Spiele noch viel herausfordernder machen.

Diese Gespräche: Laufen die erfolgreich? Ich stelle mir nur gerade vor, wie irgendwelche amerikanischen 1st-Amendment-Free-Speech-Freaks darauf reagieren, wenn man ihnen sagt, welche Arten von Gewaltdarstellung sie bitteschön zu zeigen haben in ihren Games…

Ja, in den USA kommt man da weniger weit. Aber die Leute vergessen, dass es auch in Europa viele grosse Game-Produzenten gibt. Die öffentliche Meinung ist hier sensibilisierter auf Themen, die das Völkerrecht betreffen. Wir haben viele positive Gespräche geführt. Nochmal: Es geht nicht darum, Kriegsspiele zu verbieten. Aber es wäre doch interessant, wenn das humanitäre Völkerrecht – und das spielt in echten Konflikten auf der Welt nun einmal eine grosse Rolle – auch in Kriegsspielen eine Rolle spielen würde. Es ist vielen Menschen gar nicht bekannt. Das könnte man ändern, indem es auch in Games zum Thema würde. Games sind längst ein Massenphänomen geworden, die Menschen verbringen viel Zeit in den Spiel-Welten. Da wäre es doch gut, wenn dort nicht nur der Krieg, sondern auch die komplexen Gegebenheiten und Herausforderungen anzutreffen wäre.

 

Etappen der foraus-«Tour de Suisse – Völkerrecht»

Basel, 22.9.16: «Game over – Humanitäres Völkerrecht in Videospielen?»
Luzern, tbd: «The Young & the Restless – Welche Zukunft für Flüchtlingskinder?»
St. Gallen, 11.10.2016: «TTIP – Chance oder Gefahr für die Schweiz?» mit Thomas Aeschi (SVP), Christian Häberli (Uni Bern), Ueli Staeger (foraus) und René Höltschi (NZZ)
Bern, 13.10.16: «Säg was wosch! – 1. Berner Menschenrechts Poetry Slam»
Fribourg, 13.10.16: «Sécurité intérieure et liberté individuelle »
Lausanne, 18.10.16: «Les juges étrangers – Soirée d’Impro»
Genf, 18.10.16: «Juges étrangers – le droit interne doit-il primer sur le droit international?»
Genf, 19.10.16: «Annexion de la Crimée – la Suisse doit-elle s’aligner sur les sanctions américano-européennes?»
Zürich, 20.10.16: «Facetten des Völkerrechts – Was denkt Zürich?»

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