Mit der Schlacht von Marignano im Jahr 1515 wird der Mythos der Schweizer Neutralität verbunden. Bevor nächstes Jahr die Feierlichkeiten beginnen, will der Verein Kunst und Politik mit einer Textsammlung renommierter Autoren stören. Wir veröffentlichen eine Auswahl.
Es werden wieder Mythen beschworen werden. Nächstes Jahr, wenn sich die Schlacht von Marignano zum 500. Mal jährt. Es wird heissen: Seit sich die Eidgenossen aus der Schlacht um das Herzogtum Mailand zurückgezogen haben, weil sie von den Franzosen geschlagen worden waren, haben sie sich nie wieder auf einen Krieg über ihre Grenzen hinweg eingelassen. Seitdem ist das Land neutral – und in guter Tradition ist es das noch heute.
Prost, Eidgenossen, auf uns! Der Verein Kunst und Politik will die Party, die da ins Haus steht, im Voraus ein wenig stören. Sein Motto für das Ereignis lautet: «Hurra, verloren!» Es gibt nichts zu feiern, weder die sogenannte Neutralität von heute, noch ihre vermeintliche Entstehung damals. «Die Schweizer Neutralität ist ein historischer Unsinn», sagt der Autor Guy Krneta, der Kunst und Politik 2010 massgeblich ins Leben gerufen hat.
Für diese Störung steht den Medien seit heute und der Öffentlichkeit ab 1. August eine Reihe von Texten online zur Verfügung, von der auch die TagesWoche eine Auswahl publizieren wird. Zu den 18 Autoren gehören die Historiker Georg Kreis und Jo Lang, sowie die Schriftsteller Pedro Lenz und, französischsprachig, Isabelle Flükiger.
«Unser Statement ist das Netzwerk»
Die Texte haben das Anliegen gemeinsam, den Mythos der Neutralität zurechtzurücken, doch sie tun es verschieden. «Unser Statement ist das Netzwerk», sagt Krneta. «Die Intellektuellen», die immer wieder vermisst werden und die zu jedem bedeutenden Ereignis hinstehen können und es einordnen, die gibt es nicht mehr. «Falls es sie je gegeben hat», sagt Krneta, «sie sind mittlerweile schon selbst ein Mythos.»
Und heute? «Auch ein Pedro Lenz, der momentan zu vielen Anlässen angefragt wird, antwortet häufig, dass er zu einem Thema nichts zu sagen hat.» Was zählt, ist die richtige Stimme im richtigen Moment, statt die eine Stimme für alles. «Und es ist beruhigend zu sehen, dass dieses Netz da ist, wenn man es braucht.»
Nun also 499 Jahre Marignano. Damit einige Konterargumente schon auf dem Tisch liegen, wenn nächstes Jahr die Festreden auf uns zurollen. Möge die Störung beginnen!
Der Berner Autor Beat Sterchi hat eine fiktive Empörung von Ferdinand Hodler geschrieben, der im Jahr 1897 den Rückzug aus der Schlacht von Marignano gemalt hat. Sterchi lässt Hodler richtig in Fahrt kommen, weswegen man den Text hören muss. Wir haben ihn auf Video aufgenommen.
Ihre historische Bedeutung wurde der Schlacht von Marignano erst sehr viel später aufgeladen. Und mit Werten versehen, wie die Wortführer sie brauchten. Ein Profiteur davon war Christoph Blocher. Zum Beitrag von Georg Kreis.