Unabhängigkeit binnen eineinhalb Jahren hat Kataloniens neue Regierung versprochen. Damit wird es nichts. Aber hinter den Kulissen treibt Ministerpräsident Puigdemont das Projekt voran.
Bei der Wahl vom 27. September 2015 haben die katalanischen Pro-Unabhängigkeitsparteien die absolute Mehrheit gewonnen. Das Bündnis kündigte an, Katalonien innerhalb von 18 Monaten zu einer unabhängigen Republik zu machen.
Passiert ist in den ersten sechs Monaten – bis auf eine Absichtserklärung – nichts. Oder doch? «Der eine oder andere wird mit uns noch eine Überraschung erleben», prognostiziert der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont in einem Gespräch mit ausländischen Korrespondenten.
Da erklärt eine autonome Region den Beginn der Loslösung vom Staat – und alles bleibt überraschend normal. Was ist los?
«So muss es sein», lacht Carles Puigdemont. «Wir arbeiten im Stillen, nach dem Motto: wenig Lärm um viel.» Die Wahrheit ist prosaischer. Für grossartige Gesten sind 48 Prozent Unabhängigkeitsbefürworter schlicht zu wenig. Weder in Katalonien noch in Spanien haben die jeweiligen Wahlen 2015 für klare Verhältnisse gesorgt.
In Barcelona suchten die beiden sezessionistischen Listen (Junts pel Sí und CUP) drei Monate nach einem konsensfähigen Präsidenten. In Madrid hat sich das fragmentierte Parlament auch nach vier Monaten noch nicht auf einen Kandidaten geeinigt. Für echte Verhandlungen, für zukunftsweisende Entscheidungen war schlicht noch keine Zeit.
Was hat sich in den letzten Monaten geändert?
Erstmals steht ein Unabhängigkeitsreferendum auf der Traktandenliste des Parlaments in Madrid, wenn auch noch als absolute Minderheitenposition. Die Linkspartei Podemos, immerhin drittstärkste Formation, hatte es auf Druck ihrer katalanischen Schwesterpartei ins Programm gehievt. Sowohl die konservative PP wie auch die Sozialdemokraten der PSOE schliessen es bisher kategorisch aus. Ändern könnte sich das – zumindest theoretisch – bei Neuwahlen, die irgendwann anstehen, falls die Regierungsbildung nicht gelingt.
«Wir arbeiten in der steten Hoffnung, dass Madrid uns ein Angebot macht.»
«Spaniens Gesellschaft ist reifer als seine politische Klasse», glaubt Puigdemont. «Das Ansehen Spaniens in der Welt würde sich jedenfalls enorm verbessern, wenn Madrid endlich den Weg für eine schottische Lösung frei macht.»
Auch jenseits eines Referendums signalisiert Puigdemont Verhandlungsbereitschaft. «Wir arbeiten in der steten Hoffnung, dass Madrid uns ein Angebot macht.» Das klingt dann doch sehr verbindlich – und der katalanische Präsident korrigiert sich: «Wir sind zumindest bereit, uns jedes Angebot anzuhören.» Mehr als eine kleine Verfassungsänderung müsste es aber schon sein.
Und in Katalonien?
Nach den Wahlen haben viele die Estelades, die Unabhängigkeitsfahnen, von den Balkonen abgehängt. Die Unterstützung für eine Sezession ist zwar nicht gesunken, aber der Ton ist leiser geworden und der katalanische Präsident macht weniger Schlagzeilen als sein Amtsvorgänger. Das liegt auch daran, dass Carles Puigdemont im Gegensatz zu Artur Mas schon immer für die Unabhängigkeit Kataloniens war: «Ich bin als Independentista geboren, auch als darüber noch alle lachten.» Puigdemont muss sich und anderen nichts mehr beweisen.
Auch als katalanischer Ministerpräsident hält er an einem Satz fest, den er schon als Bürgermeister von Girona gesagt hat: «Die Beziehungen zwischen Spanien und Katalonien sind einfach nicht reformierbar.» Trotzdem sucht er den Dialog mit Madrid, intensiver und undogmatischer als sein Vorgänger Mas.
Puigdemont hat nicht nur mit PSOE-Chef Pedro Sánchez und Pablo Iglesias von der Linkspartei Podemos gesprochen, sondern auch mit dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP) verhandelt, über 46 Punkte – vom Referendum über die Aufnahme von Flüchtlingen bis zur Zinssenkung für die Hilfszahlungen aus dem nationalen autonomen Liquiditätsfonds (FLA).
Einerseits die Unabhängigkeit zu fordern, andererseits an den staatlichen Finanzinstrumenten zu schrauben: Das mag als Doppelstrategie legitim sein, erklärt aber auch, warum selbst überzeugte Independentistas nicht an eine unmittelbare Sezession glauben.
Wenn nicht schon 2017, wann wird Katalonien denn unabhängig?
Die Unabhängigkeit beginnt einen Tag, nachdem Katalonien eine neue Verfassung ausgearbeitet und in einem Referendum angenommen hat. Dazu muss durch Neuwahlen zunächst eine verfassungsgebende Versammlung gewählt werden.
So zumindest sieht es Carles Puigdemonts Fahrplan vor. «Meine Aufgabe ist es, dem Parlament die Schlüssel für einen eigenen Staat zu übergeben und es zu den verfassungsgebenden Neuwahlen zu führen.» Die für einen Bruch mit Spanien notwendigen vorstaatlichen Gesetze über Steuer-, Sozialversicherungswesen und Übergangsprozedere hat Puigdemont auf das Ende der Legislatur verlegt.
Zeitlich bleibt die Zielvorgabe für die Unabhängigkeit schwammig. Und auch politisch hat sie noch ein paar Haken. Die Strategie dahinter: So wie sein Amtsvorgänger Artur Mas die Regionalwahlen im September zu einem Plebiszit über die Unabhängigkeit erklärt hat, will Puigdemont den nächsten Urnengang zu verfassungsgebenden Wahlen erklären.
Und: So wie die katalanischen Oppositionsparteien den plebiszitären Charakter der Regionalwahlen negiert haben, könnten die Anti-Unabhängigkeitsparteien dann natürlich auch den verfassungsgebenden Charakter verneinen, ohne entsprechendes Programm antreten und das spanische Verfassungsgericht die entsprechenden Gesetze kassieren. Je nach Ergebnis wäre die Situation dann ganz ähnlich wie jetzt: Der Druck stiege weiter, eine Lösung jenseits eines paktierten Referendums wäre noch immer nicht in Sicht.
Oder, in den Worten des katalanischen Ministerpräsidenten Puigdemont: «Wir befinden uns im Währenddessen.» Das kann in Katalonien noch lange währen.