Die ungeheure Angst vor dem Staat

Die Vermögen sind in der Schweiz so ungleich verteilt wie in kaum einem anderen Land. Trotzdem hat eine neue Erbschaftssteuer kaum Chancen, denn eine sachliche Diskussion findet nicht statt.

Das Sujet des Steuermonstrums wählten 1922 bereits die Gegner der SP-Initiative für eine «einmalige Vermögensabgabe». (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Vermögen sind in der Schweiz so ungleich verteilt wie in kaum einem anderen Land. Trotzdem hat eine neue Erbschaftssteuer kaum Chancen, denn eine sachliche Diskussion findet nicht statt.

Erbschaften zu besteuern ist uncool, der Staat soll vom Privateigentum gefälligst die Finger lassen: Das ist die Meinung eines guten Teils der Leser, die online Kommentare schreiben. «Gute Nacht Schweiz», schreibt zum Beispiel «Hans» kurz und bündig auf 20minuten.ch. Ein anderer Leser sieht in der Initiative den Versuch, «Kommunistenträume» zu verwirklichen.

Auch Politiker machen Stimmung gegen die Erbschaftssteuer-Initiative. Die Schweiz könne keine «schädliche zusätzliche Steuer» verkraften, schreibt etwa FDP-Nationalrat Ruedi Noser auf Facebook – seine Anhänger stimmen ihm überschwänglich zu.

80 Prozent der 300’000 Schweizer Unternehmen sind in Familienbesitz, jedes fünfte soll in den nächsten fünf Jahren an…

Posted by Ruedi Noser on Dienstag, 28. April 2015

Gegen den Sturm im Netz haben es die Befürworter schwer, ihre Argumente zu platzieren. Mit der Initiative wollen sie alle Nachlässe über zwei Millionen Franken besteuern, das Geld soll zu zwei Dritteln in die AHV fliessen, ein Drittel ginge an die Kantone. Die Initianten gehen davon aus, dass nur zwei Prozent der Bevölkerung von der Nachlassbesteuerung betroffen wären – für weit mehr Schweizerinnen und Schweizer würden die derzeit kantonal geregelten Erbschaftssteuern wegfallen.

Für Ökonomen ist das Anliegen grundsätzlich prüfenswert. Der französische Ökonom Thomas Piketty brachte die Verteilungsfrage mit seinem Werk «Das Kapital im 21. Jahrhundert» neu aufs Tapet. Auf 800 Seiten erklärt er, weshalb eine Erbschaftssteuer sinnvoll wäre, um die exorbitante Ungleichverteilung von Vermögen zu bremsen. Seit der Veröffentlichung seines Werks in englischer Sprache tourt er als neuer Wirtschaftsmessias durch die Welt.

Der Hype, den er auslöste, ergriff vor allem die USA, Frankreich und Deutschland. In der Schweiz dagegen weht Piketty ein rauer bürgerlicher Wind entgegen. Bürgerliche Vordenker erklärten in Schweizer Medien, warum die Debatte falsch sei und sie uns nichts angehe.

Basel ist Spitzenreiter bei der Ungleichheit

In der Tat stellt die Schweiz eine Ausnahme dar, was die Prämissen von Piketty betrifft. Die Einkommensschere geht hierzulande nicht frappant auseinander, wie es in den meisten europäischen Staaten der Fall ist. Bei der Vermögensungleichheit gehört die Schweiz hingegen zu den Spitzenreitern.

In Basel-Stadt ist die Ungleichverteilung der Vermögen schweizweit am grössten. Und selbst weltweit gibt es wenige Regionen, in denen die Vermögensunterschiede so gross sind wie in Basel. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt hier 57 Prozent des gesamten Vermögens.

Warum wird Basel selten erwähnt, wenn es um Superreiche geht? Der Soziologe Ganga Jey Aratnam von der Universität Basel hat eine Erklärung dafür: «Basel ist eine links geprägte Stadt und hat viele Stiftungen, die von Wohlhabenden ins Leben gerufen wurden. An Basel haftet nicht das Image einer Steueroase, deshalb nimmt man die Stadt nicht als Reichen-Stadt wahr.» Dabei sei Basel einer der attraktivsten Wirtschaftsstandorte in der Schweiz, was auch zur Ungleichverteilung von privaten Vermögen beitrage.

Wenn es um Verteilung geht, wählen Baslerinnen und Basler links – das zeigen die Resultate der vergangenen Volksinitiativen. Pauschalbesteuerung, 1:12, Steuergerechtigkeit, Kapitalgewinnsteuer: alles Initiativen, die in Basel mehr Zustimmung fanden als in den meisten Kantonen.

Dennoch: Die Initiativen blieben allesamt chancenlos, Schweizerinnen und Schweizer begegnen den Verteilungsfragen mit bürgerlicher Skepsis. Das Stimmvolk sei «wirtschaftsfreundlich», sagen Politologen. Mit Ausnahme der «Abzocker-Initiative» wurde keine Abstimmung angenommen, die sich gegen die Wirtschaft richtet.

Woher kommt diese Wirtschaftshörigkeit? Warum wollen Schweizerinnen und Schweizer die Reichsten nicht antasten?

Das Killerargument der Wirtschaft heisst: Arbeitsplätze sind in Gefahr. Bei der Erbschaftssteuer-Initiative seien insbesondere kleine und mittlere Betriebe (KMU) betroffen, sagen die Gegner – und das, obwohl der Initiativtext diese explizit bevorzugt. Die Initiative sei «familienfeindlich», resümiert das Nein-Komitee. Dabei betrifft die Initiative nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. In Basel würde der grösste Teil der Bevölkerung nach einem Ja keine Erbschaftssteuern mehr zahlen.

Neben der Wirtschaftshörigkeit des Stimmvolkes gibt es noch eine andere Erklärung für die bürgerliche Skepsis. Umverteilung und staatliche Eingriffe wecken tief liegende Ängste in der Bevölkerung. Der Staat darf sich nicht zu einem Monstrum auswachsen, das sich im Stile eines «kommunistischen Regimes» ins Privatleben der Bürger einmischt.

Plakate von 1922 gegen die SP-Initiative für eine «einmalige Vermögensabgabe».

Plakate von 1922 gegen die SP-Initiative für eine «einmalige Vermögensabgabe».

Mit dem Prädikat «familienfeindlich» treffen die Initiativ-Gegner genau dieses Sujet. Es ist ein Sujet, das seit über 100 Jahren Wirkung zeigt. 1922 stimmte die Schweiz über eine «einmalige Vermögensabgabe» ab, die SP wollte damit kurzfristig Staatseinnahmen generieren. Der Bundesrat lehnte sich dagegen auf und sprach von einer «Raubmassnahme», die Schweiz drohe, sich zu einer «kommunistischen Regierungsform» zu entwickeln.

Die Gegner zeichneten auf ihre Abstimmungsplakate ein Schreckgespenst, eine knochige Hand, die sich am Privateigentum vergreift, ein Steuermonstrum, das den Bürger auffrisst. Vieles von 1922 erinnert an die Debatte zur Erbschaftssteuer-Initiative von heute.

Die SP-Initiative ging damals mit 87 Prozent Nein-Stimmen unter. Die Zeichen stehen heute besser, dass die Erbschaftssteuer-Initiative am 14. Juni nicht zu einem ähnlichen Desaster wird. Allzu viele Chancen dürfen sich die Initianten aber nicht ausrechnen.

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Erfahren Sie mehr über die Erbschaftssteuer in unserer interaktiven Grafik oder lesen Sie weitere Artikel in unserem Dossier zum Thema.

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