Die Flüchtlingskrise in Europa und die Tragödie auf der österreichischen Autobahn mit 71 toten Flüchtlingen haben die Konferenz zur EU-Integration der Westbalkan-Staaten in Wien dominiert.
Auftritt für die Zukunft des Westbalkans: Der österreichische Kanzler Werner Faymann, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU-Aussenbeauftrage Federica Mogherini trafen am Donnerstag auf die politische Spitze der EU-Beitrittsländer. (Bild: Reuters/LISI NIESNER)
Wien hat am Donnerstag hohen Besuch empfangen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini sowie die Premiers, Aussenminister und Wirtschaftsminister aus den Staaten der EU-Beitrittskandidaten kamen zur Westbalkan-Konferenz in die Hofburg.
Ein Fussballspiel sollte am Mittwochabend der ganzen Welt zeigen, dass sich die Beziehungen zwischen den Staaten der Region normalisieren. Der «FC Future EU» gewann tatsächlich auch mit 4:2 gegen die Auswahl aus Österreich und Slowenien. Die zwei Tore des mazedonischen Premierministers, gegen den es vor Kurzem noch zu massiven Protesten kam, verhalfen den Ländern des Westbalkans zwar über einen Sieg gegen das EU-Team, aber näher kommen sie einem Beitritt deshalb nicht.
Immerhin wurden in einem Vertrag die Grenzen zwischen Montenegro und Bosnien und Herzegowina festgelegt. Auch Serbien und der Kosovo legten mit einem Abkommen den Grundstein für eine Normalisierung der Beziehungen. Aber es wurden nicht nur Verträge unterschrieben, beschlossen wurde an der Konferenz auch ein 616 Millionen Euro schweres Paket für den westlichen Balkan. Die zukünftigen Investitionen konzentrieren sich auf Transportwesen und Energie.
Die Projekte sollen Wachstum schaffen, Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Staaten des Westbalkans für eine EU-Mitgliedschaft fit machen – und nebenbei auch die Abhängigkeit von russischen Energie-Importen mindern. Dabei war die Zukunft der Westbalkan-Länder nicht das bestimmende Thema der Konferenz. Es ging vor allem um Flüchtlinge. Das machte der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier gleich zu Beginn deutlich, als er mit Blick nach Ungarn sagte: «Wir sind keine Verfechter von Grenzzäunen. Wir glauben auch nicht, dass Grenzzäune am Ende das Thema Migration lösen werden.» Das ist eine sehr offene Kritik an Ungarns Bau eines Zauns zur serbischen Grenze, um Flüchtlinge davon abzuhalten, das Land zu betreten.
Kein Durchkommen für Flüchtlinge: Ungarn baut an einem Zaun, bereits jetzt wird durchgegriffen gegen die Hilfesuchenden, wie diese Familie in der Nähe von Roszke an der serbisch-ungarischen Grenze erleben muss. (Bild: Reuters/BERNADETT SZABO)
70 tote Flüchtlinge in einem Kühllastwagen
Wie recht er haben sollte, zeigte sich noch im Verlauf des Donnerstag-Vormittags: Die österreichische Polizei stellte auf der Autobahn A4 im Burgenland bei Parndorf einen Kühllastwagen sicher und fand 71 tote Flüchtlinge. Wahrscheinlich sind sie im Laderaum erstickt und wurden von einer Schlepperbande zurückgelassen. Von diesem Moment an stand die Westbalkan-Konferenz im Schatten der Tragödie. «Wir sind alle erschüttert von der Nachricht, dass bis zu 50 Menschen ihr Leben verloren haben», sagte Merkel. Dass die Zahl der Opfer noch weiter nach oben steigen würde, konnte die deutsche Bundeskanzlerin zu diesem Zeitpunkt nicht wissen (inzwischen gibt es den Verdacht, dass ein bulgarischer Schlepperring für die Tragödie verantwortlich ist – mehr News und Informationen zu den Untersuchungen).
Einer von vielen Särgen, die es im österreichischen Nickelsdorf brauchen wird: Die Polizei stellte einen Kühllastwagen mit 70 toten Flüchtlingen sicher, sie waren vermütlich im Laderaum erstickt. (Bild: Reuters/HEINZ-PETER BADER)
Das grosse Thema der Konferenz hätte die wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit der Staaten auf dem westlichen Balkan sein sollen. Doch weil täglich Tausende versuchen, von Griechenland über Mazedonien und Serbien in die EU zu gelangen, stand das Thema Flüchtlinge im Zentrum. In seiner Eröffnungsrede mahnte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann eine «faire Verteilung» der Menschen an, verurteilte die Schlepperkriminalität und betonte die Relevanz der Sicherung der EU-Aussengrenzen. Und bei der Medienkonferenz der Aussenminister aus Deutschland, Österreich, Serbien und Mazedonien sagte der mazedonische Aussenminister Nikola Poposki, dass die bisherige Hilfe nicht ausreiche: «Es kommen 3000 Menschen pro Tag in unser Land. Mit der Situation sind wir überfordert. Die 90’000 Euro, die wir bislang bekommen haben, werden nicht reichen, und auch eine weitere Million Euro ist nicht ausreichend.»
«Wenn die EU uns helfen will, dann freuen wir uns. Wenn nicht, werden wir die Menschen trotzdem versorgen.»
Sein serbischer Kollege, Ivica Dačić, kritisierte die EU: «Jahrelang hat man sich beschwert, dass Menschen aus unseren Ländern Asylanträge im Ausland stellen. Heute kommen Zehntausende Flüchtlinge aus dem EU-Staat Griechenland zu uns. Die EU, nicht wir, muss eine Lösung für dieses Problem finden.» Bislang wurden Serbien und Mazedonien 1,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Flüchtlinge vor Ort zu registrieren. Für die Versorgung der Menschen reicht das hinten und vorne nicht. Jeden Tag kommen Tausende, die versuchen über die Westbalkan-Route weiter nach Europa zu kommen.
Mazedonien hat keine Strategie. Mal werden Flüchtlinge an der Grenze mit Tränengas bekämpft, am nächsten Tag dann mit Bussen an die serbische Grenze gebracht. Serbien ist mit der Versorgung der Flüchtlinge heillos überfordert, doch wenigstens zeigt sich der Staat offiziell solidarisch mit den Flüchtlingen. In der vergangenen Woche besuchte Premierminister Aleksandar Vučić Flüchtlinge, die rund um den Busbahnhof Belgrad schlafen und sicherte Hilfe zu.
Bei der Westbalkan-Konferenz sagt er: «Wir werden die Menschen gut behandeln, denn Serbien ist ein gastfreundliches Land. Wenn die EU uns helfen will, dann freuen wir uns. Wenn nicht, werden wir die Menschen trotzdem versorgen.» Die rechtsextremen Gruppen Dveri, Naši und Obraz hatten zu einer Demonstration gegen Flüchtlinge aufgerufen, die vom Innenministerium untersagt wurde. Ansonsten ist die Situation in Serbien ruhig. Nachrichten von Angriffen auf Flüchtlinge, wie sie derzeit aus Deutschland kommen, gibt es in Serbien nicht.
Schlepperkriminalität soll bekämpft werden…
Frank-Walter Steinmeier sagte am Donnerstagabend bei einem Gespräch mit dem ZDF-«Heute Journal»: «Es wird auf Dauer nicht gehen, dass Deutschland 47 Prozent der ankommenden Flüchtlinge im eigenen Land beheimatet.» Er möchte den Druck auf andere Länder erhöhen, Flüchtlinge aufzunehmen. Grund hierfür ist, dass die Dublin-Regelung – nach der Flüchtlinge in dem ersten EU-Land, in dem sie ankommen, einen Antrag stellen müssen – nicht mehr funktioniert, weil Griechenland die Flüchtlinge nicht registriert und einfach durchreisen lässt. Inzwischen werden Flüchtlinge gar von den griechischen Inseln nahe der Türkei direkt mit Fähren in die Nähe der mazedonischen Grenze gefahren.
Steinmeier betonte auf der Konferenz mehrfach, dass es nicht ginge, dass die EU-Länder, die nicht betroffen sind, über das Thema nicht sprechen und keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Diese Kritik richtet sich insbesondere an die Länder Ost- und Mitteleuropas. Dort möchte man, wenn überhaupt, Christen aufnehmen. Gegenüber Menschen aus der Ukraine gibt es auf dem Baltikum, in Polen, der Slowakei und Tschechien eine gewisse Hilfsbereitschaft. Es gibt aber auch einen gesellschaftlichen Konsens, keine Menschen aus muslimischen Ländern aufnehmen zu wollen.
Vonseiten vieler EU-Staaten wird die Forderung Deutschlands nach Quoten als scheinheilig abgetan. Als das Dublin-Abkommen noch funktionierte, waren es allen voran die Deutschen, die sich gegen feste Quoten aussprachen und die Herausforderung an die Länder an der EU-Aussengrenze auslagerten, wo die Flüchtlinge ankommen – und insbesondere in Griechenland unter schlimmsten Bedingungen untergebracht wurden. Deswegen darf auch kein EU-Land die Flüchtlinge zurück nach Griechenland abschieben.
…Die EU macht das Schlepper-Geschäft allerdings erst möglich
Die Antwort der EU auf die Flüchtlingsströme soll nun die Bekämpfung der Schlepperkriminalität sein. Darauf konnten sich die Premiers, Aussenminister und EU-Kommissare auf der Westbalkan-Konferenz in Wien einigen. Dabei schafft die EU selbst die Nachfrage nach Schleppern, weil es für viele Menschen kaum eine Möglichkeit gibt, legal in die EU einzureisen oder einen Asylantrag von ausserhalb zu stellen. Es entsteht der Eindruck, dass man sich auf die Schlepperkriminalität konzentriert, um einen Bösen zu haben und nicht in den Spiegel schauen zu müssen, wenn die Frage aufkommt, wer für die Toten verantwortlich ist.
Am Ende der Konferenz überwiegt der Eindruck, dass die EU derzeit genug eigene Probleme hat, die sie nicht lösen kann oder will. Für eine Beitritts-Perspektive der Staaten auf dem Westbalkan heisst das nichts Gutes. Aber zumindest soll in der Region investiert und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten ausgebaut werden, damit an den Grenzen der EU nicht noch mehr Probleme entstehen. Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini sagte gegen Ende der Konferenz: «Wir können nicht so weitermachen wie bisher», und kündigte an, eine Liste sicherer Herkunftsländer vorzulegen. Asylgesuche aus diesen Ländern sollen grundsätzlich als unbegründet abgelehnt werden können. Damit sind wohl vor allem die Staaten des westlichen Balkans gemeint.