Die verlorene Ehre der Massenmedien

In einem Themenschwerpunkt haben wir uns mit verschiedenen Aspekten zum Misstrauen gegen die Medien auseinandergesetzt. Unsere Erkenntnis aus diesem Prozess: It’s complicated. Ein Essay zur Glaubwürdigkeit unseres Gewerbes.

Draufhalten, Abschiessen: Die Medienmeute kämpft mit einer Vertrauenskrise. (Bild: © Eric Gaillard / Reuters)

Das Misstrauen gegenüber Journalisten ist so gross wie noch nie. Ein Essay zur Glaubwürdigkeit unseres Gewerbes.

1. Was ist los?

Über sich selbst nachzudenken, ist immer schwierig. Spass macht es selten, und eine Haltung zu finden, aus der heraus sich die Betrachtung lohnt, erfordert einige Beweglichkeit des Geistes. Trotzdem ist ein solches Unterfangen hin und wieder angebracht.

Aktuell sehen wir uns als Medienschaffende zunehmendem Misstrauen gegenüber. Leser und Zuschauer üben immer schärfere Kritik. Wie schaffen wir Medienschaffende es, uns dabei nüchtern zu hinterfragen? Aus welcher Perspektive denken wir über unsere Arbeit nach?

Wir sind als Journalisten Teil des Problems. Gleichzeitig betrifft uns das Thema als Teil des Publikums, verbringen wir doch viel Zeit damit, andere Medien zu konsumieren.

Geht es um die eigene Branche, verfallen Medienschaffende regelmässig in Hysterie. Anschauungsunterricht bietet diesbezüglich der Fall der «Neuen Zürcher Zeitung». Kaum wurde bekannt, dass NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann seinen Platz räumen muss, überboten sich Journalisten in sozialen und später auch in den herkömmlichen Medien mit Spekulationen, übereilten Schlüssen und halbgaren Analysen.

Manche der Informationen, die herumgereicht wurden, erwiesen sich als zutreffend. Bei anderen war die Halbwertszeit wesentlich kürzer. Es scheint, als gälten grundlegende handwerkliche Regeln plötzlich nicht mehr. Oder seit wann geht es in Ordnung, ganze Zeitungsseiten mit Gerüchten aus anonymer Quelle zu füllen? Was ist aus dem Leitsatz «get it first, but first get it right» geworden?

Und umgekehrt: Wie glaubwürdig ist ein Medium wie die «Basler Zeitung», über dessen Besitzverhältnisse mehrfach und nachweislich gelogen wurde? Schenke ich mein Vertrauen einer Publikation wie der TagesWoche, die ihre Auflagenzahlen mit umstrittenen Methoden geschönt hat?

Das Vertrauen, das ein Medienhaus besitzt, steht als Vorzeichen vor jedem einzelnen Beitrag. Es bestimmt die Optik, durch welche der publizistische Auftritt wahrgenommen wird. Wenn in der Führungsetage Fehler geschehen, wie steht es dann um die Qualitätssicherung auf redaktioneller Ebene?

Wer auf einem Auge blind ist, macht sich als Beobachter verdächtig.

Es ist vor diesem Hintergrund wenig erstaunlich, dass sich beim Publikum zunehmend Ernüchterung breitmacht. Medienkritik geistert seit Längerem latent durch die Öffentlichkeit. Mit der Ukraine-Krise wurde sie manifest. Bücher zum Thema finden reissenden Absatz. Blogs, die sich der Überwachung der Massenmedien verschreiben, sind populär wie nie zuvor. In den sozialen Medien werden Kampfbegriffe ins Feld geführt, um das «manipulative», «interessengesteuerte» Gebaren der «Mainstream-Medien» anzuprangern. Zweifel am Inhalt der Abendnachrichten sind Tischgespräch. Auf unseren Diskussionsaufruf, in dem wir dieses Phänomen mit fünf Thesen zu erklären versuchten, folgten über 700 Antworten.

Unsere Thesen stiessen gerade auch bei Medienschaffenden auf grosses Interesse. Wenn sich auch nicht alle zustimmend äusserten, dann war doch das Thema als solches unbestritten. Sprich: Das Problembewusstsein ist vorhanden. Trotzdem finden sich in den grösseren deutschsprachigen Medien verhältnismässig wenige Beiträge zum eigenen Schaffen. Und wenn, dann handelt es sich dabei meist um Gastbeiträge von externen Medienjournalisten oder Wissenschaftlern.

Greifen die Redaktionen doch einmal selbst in die Tasten, dann sind ihre Beiträge oft stärker von einer Verständnislosigkeit gegenüber der Kritik von aussen geprägt, denn von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Vertrauenskrise. Die Wahrnehmung der Leitmedien bleibt also selektiv. Woraufhin sich Medienkritiker wiederum bestärkt fühlen: Wer auf einem Auge blind ist, macht sich als Beobachter verdächtig.

 

2. Ursachen, Situationsanalyse

Skepsis gegenüber den Eliten gibt es seit jeher. Die grossen Skandale der jüngsten Zeitgeschichte trugen dazu bei, dass aus Skepsis Misstrauen wurde. «Denen da oben» vertraut heute kaum noch jemand – schon gar nicht blind. Banken, Versicherungen und andere Geldinstitute sammeln noch immer ein, was nach Finanz- und Hypothekenkrise von ihrer Reputation übrig geblieben ist. Geheimdiensten und Militärs trauen wir seit dem Irakkrieg, den Abhörskandalen der NSA und dem CIA-Folterbericht alles zu. Und Politiker haben ihren Goodwill längst verspielt. Schliesslich wäre es ihre Aufgabe gewesen, die aufgezählten Skandale zu verhindern oder zumindest im Nachhinein die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Zwischen den Eliten und der Bevölkerung stehen die Medien. Als «vierte Macht» sind sie zugleich Schnittstelle, Kontrollinstanz und Stellvertreter der Leser im politisch-gesellschaftlichen Diskurs. Nun haben die Medien diese Pflichten in den letzten Jahren zum Teil sehr schlecht wahrgenommen. Etwa beim Irakkrieg, der mit Saddam Husseins vermeintlichem Besitz von Massenvernichtungswaffen legitimiert wurde. Die Beweise dafür wurden von den Geheimdiensten fabriziert und gezielt an einzelne Medienschaffende ausgehändigt. Diese sorgten daraufhin dafür, dass das Narrativ vom Giftgas-Despoten Saddam Hussein den nötigen medialen Niederschlag fand.

Die Verlage und Redaktionen scheinen angezählt, einer Einflussnahme von aussen haben sie nur noch wenig entgegenzusetzen.

Damit rückten Medienhäuser und ihre Journalisten aus Sicht des Publikums in gefährliche Nähe zu den manipulativen Eliten. Dass ihnen nun ebenfalls Skepsis und Misstrauen entgegenbranden, ist nur konsequent. Sie werden von einem wachsenden Teil der Öffentlichkeit als bewusst handelnde, aktive und ähnlich interessengesteuerte Täter wie etwa Politiker wahrgenommen. Dieses Phänomen finden wir auch auf lokaler Ebene. Seit sich die «Basler Zeitung» im Besitz von Christoph Blocher befindet, hat sie bei vielen Leuten an Glaubwürdigkeit eingebüsst. Ihre Berichterstattung steht unter SVP-Generalverdacht, unabhängig davon, wie valide der einzelne Beitrag ist.

Es gibt auch die gegenteilige Lesart, derzufolge die Medienhäuser als verlängerter Arm höherer Mächte gelten. Sie sind dann willfähriges Sprachrohr der Entscheide aus Wirtschaft und Politik. Diese Lesart dürfte nicht zuletzt durch die problemfokussierte Thematisierung des Medienwandels begünstigt worden sein. Wenn in Zeitungen jahrelang nur davon die Rede ist, wie schlecht es der Branche geht, wenn Verleger hauptsächlich dadurch auffallen, dass sie Sparrunden und Entlassungen bekanntgeben, wenn technische und gesellschaftliche Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Arbeit der Journalisten als «Niedergang» verstanden werden, dann geben Medien als gesellschaftliches Subsystem ein schwaches Bild ab.

Diese Schwäche verankert sich in den Köpfen der Konsumenten. Die Verlage und Redaktionen sind angezählt, einer Einflussnahme von aussen haben sie nur noch wenig entgegenzusetzen.

In seinem Buch «Flat Earth News» hat der britische Journalist Nick Davies sein Gewerbe unter die Lupe genommen und kommt zu einem vernichtenden Resultat. Sein Befund lässt sich auch auf die hiesige Medienlandschaft übertragen. So etwa die Abhängigkeit vieler Redaktionen von Agenturmeldungen und PR-Geschichten (nur zwölf Prozent der Berichterstattung in den britischen Medien sind genuine Eigenleistungen). Auch die TagesWoche-Website würde in den Rubriken «International» und «Schweiz» ohne die Beiträge der Schweizerischen Depeschenagentur ziemlich leer aussehen. Dasselbe gilt für die meisten grossen Newsportale der Schweiz, achten Sie mal auf das Autoren-Kürzel SDA.

«This isn’t a conspiracy. It’s just a mess.»

Nick Davies, Autor von «Flat Earth News»

Davies listet eine lange Reihe von teilweise gravierenden Fehlleistungen auf. Mit minutiöser Nachrecherche und wissenschaftlicher Analyse zeigt er auf, wie Falschmeldungen um die Welt gehen. Oder wie die «strategische Kommunikation» staatlicher Absender Narrative in ihrem Sinne schafft. Als etwa der islamistische Terrorist Abu Musab al-Zarqawi durch amerikanische Geheimdienste unter medialer Mithilfe zum Al-Kaida-Führer hochgeschrieben wurde, um einen Drohnenschlag zu rechtfertigen. Davies sieht hinter diesen Fehlleistungen keine Verschwörung, sondern primär strukturelle Schwächen, die Manipulation zumindest erleichtern («This isn’t a conspiracy. It’s just a mess.»)

Weil die Redaktionen personell inzwischen derart ausgedünnt wurden, in den Zeitungen aber immer noch der gleiche und Online sogar noch mehr Platz zu füllen ist, bleibt für Recherche wenig Zeit. Das führt einerseits dazu, dass die «einfachen, schnellen» Geschichten bevorzugt und andererseits Quellen zu wenig gegengecheckt werden.

Beides öffnet Tür und Tor für die Einflussnahme von aussen. Ein News-Redaktor unter Druck wird die eloquente, vordergründig journalistische Medienmitteilung auswählen, weil sie weniger Arbeit bedeutet. Er wird eine Agenturmeldung unhinterfragt übernehmen, bestenfalls einen neuen Einstieg schreiben und ein besseres Bild suchen.

Eine Handvoll Agenturen wie Reuters, AFP (Agence France Press) und AP (Associated Press) üben insbesondere in der internationalen Berichterstattung eine ungeheure Dominanz aus. Ihre Geschichten verkaufen sie an Medienhäuser rund um die Welt und sind damit bei gewissen Themen und Ereignissen oft die einzige Quelle, die auf den ersten Blick journalistischen Standards genügt. Daneben ist die Quellenvielfalt unüberschaubar gross: Vom lokalen Blogger bis zu staatlichen Datenbanken liegen mehr Informationen vor denn je. Nur wenige grosse Redaktionen leisten sich jedoch den Aufwand, diese zu verifizieren. So kommt es zu einem verblüffenden Konsens in der westlichen Öffentlichkeit, der von Kritikern als «Mainstream» bezeichnet wird. Etwa beim ominösen Aufstieg der Terrormiliz IS, der reihum als «überrumpelnd» bezeichnet wurde.

Obwohl die Quellenlage also denkbar dünn ist, fällt vielen Redaktionen die Deutung von Ereignissen scheinbar immer noch leicht. Analysen von komplexen geopolitischen Zusammenhängen und ihren lokalen Auswirkungen werden am Schreibtisch zusammengegoogelt und -getippt, Informationen aus erster Hand sind die Ausnahme. Explizit transparent gemacht wird diese Arbeitsweise selten. Ungewissheit wird höchstens verklausuliert ausgedrückt, mit substanzlosen Formulierungen wie «Berichten zufolge».

 

3. Probleme, Konsequenzen

Natürlich ist diese Arbeitsweise anfällig für Fehler. Die Halbwertszeit von Breaking News wird immer kürzer. Nachrichten, die morgens in den Zeitungen stehen, wurden oft schon während der Nacht von der Realität überholt. Medienschaffende jedoch machen weiter, als sei nichts geschehen, als sei die Berichterstattung vom Vortag nicht mit Ungenauigkeiten oder inhaltlichen Fehlern gespickt gewesen.

Das mag funktioniert haben, als Journalisten primär auf Papier publizierten oder ihre Sendungen zu einem fixen Zeitpunkt in den Äther ausgestrahlt haben. Ein falscher Artikel bleibt heute jedoch im Internet beliebig lange auffindbar. Und mit ihm die ganze Vielfalt an anderslautenden Deutungen. Die Haltung, dass die Berichterstattung mit der Publikation abgeschlossen ist, hat sich damit überlebt.

Das Internet hat nicht nur ein ewiges Gedächtnis, es widerspricht auch noch. Die medialen Deutungsmuster werden vom Publikum mehr oder weniger differenziert beurteilt und bei abweichender Meinung offen kritisiert. Entlang der Frage, wie Redaktionen mit dieser Kritik umgehen, bewertet das Publikum deren Glaubwürdigkeit. Es gilt: Treffen Unvermögen und Ignoranz auf fehlende Kritikfähigkeit, leiden Qualität und Glaubwürdigkeit.

Treffen Unvermögen und Ignoranz auf fehlende Kritikfähigkeit, leiden Qualität und Glaubwürdigkeit.

Tun Journalisten die Kritik an ihrer Arbeit vorschnell als ein Murren aufmüpfiger Kommentar-Trolle ab, disqualifizieren sie sich gleich doppelt. Nicht nur spielen sie damit den Verschwörungstheoretikern in die Hände, indem sie sich streng nach deren Feinbild der «Mainstream-Medien» verhalten. Auch verweigern sie sich den konstruktiven, an einer echten Auseinandersetzung interessierten Lesern. Ausgerechnet jenen Lesern, die breit informiert sind, die die Berichterstattung aufmerksam verfolgen, sich damit und vielleicht sogar mit dem Medienhaus auseinandersetzen und tendenziell Wert legen auf die aufklärerische Funktion des Journalismus.

Diese Leser suchen das, was gemeinhin unter dem Schlagwort «Qualitätsjournalismus» subsummiert wird und entsprechen damit ironischerweise der meistgesuchten Zielgruppe von Medientiteln. Sie zu verprellen, läuft nicht zuletzt auch aus wirtschaftlicher Sicht den Interessen eines Medienunternehmens zuwider.

Eine der Thesen, die wir zu Beginn unserer Auseinandersetzung mit der Vertrauenskrise des Journalismus auf- und zur Diskussion stellten, lautete sinngemäss: «Nur wer zweifelt, ist glaubwürdig.» Wir versuchten damit, in möglichst knapper Form einer Entwicklung gerecht zu werden, die man als «post truth» bezeichnen kann. Weil auf dem Meinungs- und Informationsmarkt heute zu jedem Ereignis mannigfaltige und kontroverse Deutungen unterschiedlichster Plausibilität erhältlich sind, setzt sich die Erkenntnis durch, dass es die eine Wahrheit nicht mehr gibt – und wohl auch nie gegeben hat. Widersprüche gilt es zu akzeptieren. Der Zweifel, die Ambivalenz werden zum Lebensgefühl.

Kann ein Journalist seine Aufgabe erfüllen, wenn seine Schreibhaltung die Skepsis ist, wenn für sein Produkt die Prämisse des Vorbehaltes gilt?

Wie verträgt sich das mit dem publizistischen Auftrag, dem Leser Einordnung zu bieten? Das Mittel der Vereinfachung stösst schnell an Grenzen. Ein Versuch, damit der Komplexität Herr zu werden, ist zum Scheitern verurteilt. Wie könnte also eine glaubwürdige, differenzierte Berichterstattung aussehen? Reicht es aus, wenn der Journalist seine Zweifel an einer Quelle kenntlich macht? Oder soll der gesamte Rechercheprozess inklusive aller Quellen offengelegt werden?

Solche, die unter Quellenschutz stehen, sind selbstredend ausgenommen. Ist die Maxime der journalistischen Objektivität noch zeitgemäss, wenn ihre Erfüllung hauptsächlich darin besteht, kontroverse Stimmen einander gegenüberzustellen und das Fazit «XY ist umstritten» zu ziehen? Kann ein Journalist seine Aufgabe erfüllen, wenn seine Schreibhaltung die Skepsis ist, wenn für sein Produkt die Prämisse des Vorbehaltes gilt?

Stellt ein Leser eine fehlerhafte Berichterstattung einmal fest, zum Beispiel weil er in einem Fachgebiet eine bestimmte Expertise besitzt, drohen die Zweifel an Leistungsfähigkeit, Lauterkeit und Glaubwürdigkeit einer einzelnen Redaktion auf das System als solches überzugehen. Vor Fehlern ist kein Journalist gefeit, und ist ein solcher geschehen, wird er über die sozialen Plattformen oder in alternativen Medien angeprangert.

Das Korrektiv funktioniert damit augenscheinlich besser denn je. Werden mediale Fehlleistungen mit zunehmender Gründlichkeit dokumentiert, kann sich der kritische Beobachter jedoch kaum des Eindrucks erwehren, das Mediensystem als Ganzes sei aus dem Lot geraten. Für diesen Befund wiederum wird er in den sozialen Medien Zuspruch erhalten, wo engagierte Medienkritiker in Netzwerken zusammenfinden.

Solche Netzwerke und Watchblogs können eine wirksame Qualitätskontrolle darstellen, wenn sie als «fünfte Macht» den Medien auf die Finger schauen. Gefährlich wird es jedoch, wenn derartige Medienkritik in eine undifferenzierte Medienverdrossenheit oder -verachtung mündet. Nicht nur tut eine solche Denkhaltung genau das, was sie den Mainstreammedien vorwirft, nämlich pauschale Urteile fällen. Sie entzieht sich damit auch einer Auseinandersetzung mit dem Gegenstand ihrer Kritik.

Verdruss, Zynismus, Verschwörungstheorien: Keiner dieser Zufluchtsorte verspricht Erlösung.

Eine mögliche Reaktion auf diesen Verdruss ist es, sich auszuklinken. Das kann situativ geschehen, wenn etwa die Berichterstattung zur Ukraine-Krise ausgeblendet wird, da sie keine Orientierung zu bieten vermag. Das Thema Ukraine wird dann «egal» bis hin zum Zynismus, unabhängig von der politischen Tragweite der Krise in diesem Land und ihrer Bedeutung für den europäischen Kontinent. In der konsequentesten Form bedeutet dieses Ausklinken den totalen Verzicht auf Newsmedien. Oder aber die Hinwendung zu alternativen Angeboten.

Wer sich jedoch ausschliesslich über Indie-Medien und obskure Blogs informiert, steckt ebenfalls in einer Filterblase fest. Das Fenster auf die Welt wird immer kleiner, die Sichtweise immer enger. Die trotz aller Kritik noch bestehende Vielfalt in der medialen Berichterstattung wird dort weitgehend ausgeblendet, eine valable und differenzierte Berichterstattung von vornherein ausgeschlossen.

In ihrer hysterischsten Form bieten Anti-Mainstream-Medien Erklärungen für das Unerklärbare. Sie lösen Widersprüche und befreien von Ambivalenz. Der Reiz von Verschwörungstheorien liegt in ihrer Absolutheit begründet und darin, dass auch die Verschrobeneren unter ihnen meist auf konkreten Beobachtungen oder Ereignissen basieren. Spätestens seit sich mit den NSA-Enthüllungen die uralte Verschwörungstheorie des automatisierten Überwachungsstaates als wahr herausgestellt hat.

Verdruss, Zynismus, Verschwörungstheorien: Keiner dieser Zufluchtsorte verspricht Erlösung. Es sind intellektuelle und emotionale Sackgassen, aus denen es sich nur schlecht wieder herausmanövrieren lässt. Was wären Alternativen? Welchen Weg könnte es geben, Ambivalenz und kontroverse Meinungsvielfalt auszuhalten?

 

4. Was tun?

Ein Patentrezept haben auch wir nicht gefunden. Aber zumindest kristallisierten sich während der Arbeit an diesem Themenschwerpunkt einige Erkenntnisse heraus. Aus den Leserfeedbacks haben wir zwei Checklisten für den Umgang mit Medien abgeleitet:

Was wir als Medienschaffende tun können/sollen:

  • Was wir nicht wissen, ist ebenso wichtiger Bestandteil der Berichterstattung, wie das, was wir wissen. Und das sollten wir klar deklarieren.
  • Geschwindigkeit ist nicht alles: «Be first, but first be right.»
  • Wenn wir uns auch mit Meinungen abseits der gängigen Muster ernsthaft auseinandersetzen, können wir besser argumentieren, weshalb wir sie ablehnen – falls dies der Fall sein sollte.
  • Transparenter Umgang mit Quellen erhöht die Glaubwürdigkeit, ebenso die Offenlegung eigener Interessen.
  • Zeigen wir Grösse im Umgang mit unseren Fehlern, indem wir sie offenlegen und daraus lernen, können wir unsere Aufgabe besser wahrnehmen und haben eine höhere Legitimität, andere zu kritisieren.
  • Dem journalistischen Herdentrieb sollten wir skeptisch begegnen. Auch wenn das manchmal unbequem ist.

Was wir als Lesende tun können/sollen

  • Echtzeit-News sind anfällig für Fehlinformationen. Gerade wenn es um dramatische Situationen geht, ist es manchmal besser, auf den Liveticker zu verzichten.
  • Skeptisch werden, wenn komplexe Themen mit einfachen Erklärungen abgehandelt werden.
  • Ebenso skeptisch werden, wenn die Berichterstattung in Hysterie umkippt.
  • Beim Lesen stets daran denken, dass Fakten und deren Interpretation zwei unterschiedliche Dinge sind.
  • Medien mit unterschiedlichen Sichtweisen lesen. Die Wirklichkeit ist mehrdimensional.
  • Ein Blick auf die Social-Media-Profile von Journalisten hilft bei der Einschätzung ihrer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ansichten.
  • Radikallösung: Statt stündlich sämtliche Newsportale ansurfen, einmal in der Woche Medien konsultieren, die Analysen und Hintergründe liefern.

 

Misstrauen gegen die Medien

Wir widmeten uns in einem Schwerpunkt dem zunehmenden Misstrauen gegenüber dem traditionellen Mediensystem. Dazu sind folgende Artikel erschienen:

_
Update 21.12.2014: Aufgrund des Inputs von Barbara Seiler in den Leserkommentaren haben wir den dritten Punkt auf der Checkliste für Medienschaffende um folgenden Zusatz erweitert: « – falls dies der Fall sein sollte.»

Nächster Artikel