Das Theaterstück «While I was waiting» macht dem Westler bewusst, dass es in Syrien trotz Krieg auch ein Alltagsleben gibt. Was für Schlüsse aber ziehen syrische Zuschauer aus der Inszenierung? Wir haben uns mit zwei Asylsuchenden unterhalten.
Das war ein bewegender Abend am Theaterfestival Basel: Regisseur Omar Abusaada und Autor Mohammad Al Attar gaben mit ihrem Stück «While I was waiting» tiefe Einblicke in die syrische Seele. Es handelt von Taym, einem jungen Mann, der sich zunächst für ein demokratisches Syrien einsetzt, dann frustriert die Seite wechselt und an der Schwelle zum Extremismus steht.
An einem Checkpoint in Damaskus wird er bewusstlos aufgefunden und ins Spital gebracht, wo seine Familie auf sein Erwachen wartet. Der im Koma liegende Taym ist ein Symbol für das ganze Land, denn die syrische Bevölkerung wartet auf ein Erwachen der Gesellschaft und der Politik.
Das wissen auch Mahmoud Al Hariri und Mohamad Rashoo. Sie haben die Aufführung besonders interessiert verfolgt, sind sie doch in Basel selber schon auf der Bühne gestanden: mit der Gruppe «Niemandsland». Am Tag nach ihrem Theaterbesuch treffe ich die beiden im Kannenfeldpark, wo sie sich für das Kinderkulturfestival engagieren.
«Ich bin jetzt seit einem Jahr und acht Monaten in der Schweiz», erzählt Mohamad. Er begann in Al-Hasaka, im Nordosten Syriens, ein Studium in Agrartechnik, entschied aber mit 18 Jahren, das Land aus Sicherheitsgründen zu verlassen. Heute lebt der 20-Jährige in einem Asylheim in Hölstein.
Mohamad Rashoo kam mit 18 Jahren in die Schweiz. (Bild: Ketty Bertossi)
Mahmoud stammt aus der südlichen Stadt Daraa, in der die ersten revolutionären Proteste stattfanden, die später zum Bürgerkrieg führten. Seine Familie führte einen Einkaufsladen, er selber betrieb ein Computergeschäft.
«Aber in Daraa ist jetzt alles kaputt», erzählt der 31-Jährige. Nun lebt er schon seit drei Jahren in Himmelried und seine Ehefrau Ranem Al Schami, die er in der Schweiz kennengelernt hat, lebt in Schaffhausen.
Mahmoud Al Hariri hat in Syrien selbst an friedlichen Demonstrationen teilgenommen. (Bild: Ketty Bertossi)
Der Applaus war gross, die Kritiken waren viele. Doch wie hat das Stück Mahmoud und Mohamad gefallen?
Mohamad: Es war ein sehr starkes Theaterstück. Es zeigt, was die Menschen in Syrien fühlen und wie sie sich in einer Krisensituation benehmen. Aber es gibt viel mehr zu erzählen. Es ist schwierig, alles, was in Syrien passiert, zu zeigen.
Mahmoud: Mir hat das Stück sehr gut gefallen. Besonders freut es mich, dass Syrer hierher kommen, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie zeigen wichtige Dinge, nämlich, dass es in Syrien nicht nur Regierungs-Sympathisanten und IS-Anhänger gibt, sondern auch ganz normale Menschen. Und es sind diese normalen Menschen, die von den Bomben getroffen werden. Ausserdem wird auch deutlich, dass es trotz allem auch Syrer gibt, die im Land bleiben wollen. Natürlich war es für uns auch schön, dass das Stück auf Arabisch ist. Mit den Untertiteln können zwar alle verstehen, worum es geht. Aber für uns haben die Aussagen eine tiefere Bedeutung.
Mohamad: Meine Muttersprache ist Kurdisch, aber ich habe dreizehn Jahre lang Arabisch gelernt. Auch ich verbinde mit den Aussagen auf der Bühne viel mehr Gefühle.
Mahmoud: Wir verstehen, was zwischen den Zeilen gesagt wird und können bestimmte Szenen anders deuten. Zum Beispiel in der Szene, in der die Mutter im Spital an Tayms Bett sitzt. Die Schwester kommt zu Besuch und fragt, was mit Taym passiert sei. Die Mutter unterbricht sie sofort und fordert sie dazu auf, leiser zu sprechen, weil die Polizei es hören und Taym festnehmen könnte. Das normale Publikum versteht vielleicht nicht wirklich, was da passiert, weil sie das nicht kennen. Aber wir wissen, dass solche Dinge tatsächlich passieren. Die Polizei in Syrien nimmt auch kranke und bewusstlose Menschen fest.
Findet ihr, dass das Stück die Realität wahrheitsgetreu darstellt?
Mahmoud: Ja, ich finde sie haben diese sehr gut dargestellt. Sie zeigen, dass trotz Krieg auch noch andere Dinge passieren. Der Krieg, die Revolution und private Probleme kommen zusammen. Es wird klar, dass viele Menschen für eine Revolution kämpfen und nicht, um Krieg zu machen.
Mahmoud und Mohamad diskutieren mit dem Theaterpädagogen Davide Maniscalco von der Gruppe «Niemandsland». (Bild: Ketty Bertossi)
Wie habt ihr euch während des Stücks gefühlt?
Mahmoud: Mich hat besonders eine Szene sehr berührt: Als ein Mikrofon «geköpft» wird. In dem Moment wird die Bewegung nachgeahmt, die der IS ständig macht.
Mohamad: Mir ist während des Stücks mein früheres Leben in Syrien wieder bewusst geworden. Taym wird im Stück auch wegen politischen Aussagen befragt und von der Polizei geschlagen, das war bei mir ähnlich. Ich habe mich geweigert ins Militär zu gehen. Als ich zu Hause in Al Hasaka eines Tages auf dem Weg zur Uni war, hat mich die Polizei kontrolliert und festgenommen. Sechs Tage lang war ich im Gefängnis und wurde dort von den Polizisten geschlagen, bis ich eine Gehirnerschütterung hatte. Danach konnte ich aus Sicherheitsgründen nicht mehr zur Uni, auch zu Hause war es nicht mehr sicher. «While I was waiting» hat mir aber auch Mut gemacht. Im Stück wurden ja auch Videos von Demonstrationen gezeigt, die Taym gedreht hat. Ich habe mir dann überlegt, was ich mache könnte, um zu zeigen, was in Syrien passiert, in einem Theaterstück zum Beispiel.
Ihr habt nach dem Stück mit den Theatermachern sprechen können. Worüber habt ihr mit ihnen geredet?
Mohamad: Wir haben über das Stück und über unser Projekt bei «Niemandsland» gesprochen. Die Schauspieler aus dem Stück sind in Syrien sehr bekannt.
Mahmoud: Sie haben uns aufgemuntert, mit unserem Theater weiterzumachen. Wir konnten uns nicht nur als Syrer von ihnen inspirieren lassen, sondern auch als Schauspieler.
Im Stück protestiert Taym gegen das Regime, aber er merkt, dass er damit nicht weiterkommt. Als Zuschauer weiss man dann nicht genau, ob er den Extremisten beitritt. Was denkt ihr darüber?
Mahmoud: Ich glaube, Taym hatte keine persönlichen Ziele im Leben. Doch dann beginnt er gegen das Regime zu demonstrieren. Er will ein Video machen, um die Wahrheit zu zeigen, er will friedlich demonstrieren. Ich war auch an friedlichen Protesten beteiligt. Aber das funktioniert nicht, weil die Regierung Konflikte zwischen Demonstrierenden und Militärs fördert.
Mohamad: Sie verteilen den Demonstranten sogar Waffen.
Mahmoud: Taym geht zwar zum IS, aber er merkt schnell, dass der IS und die Regierung dieselbe Strategie verfolgen. Es sind zwar zwei verschiedene Entitäten, aber sie haben dasselbe Ziel und denselben Weg.
Im Stück wird auch die Religion im Zusammenhang mit den Demonstrationen thematisiert. Was denkt ihr darüber?
Mahmoud: Im Stück wird gezeigt, dass der IS ohne religiöses Gewissen handelt. Wie in allen Religionen ist es auch im Islam verboten zu töten. Die Extremisten behaupten, sie seien Muslime, aber sie töten trotzdem.
Taym sagt in einer Szene, dass er nicht versteht, warum die Demonstrationen bei einer Moschee beginnen, wenn es ja gar nicht um Religion geht.
Mohamad: Ja genau, es geht ja um das ganze Land. In den Demonstrationen geht es nicht nur um Araber, Muslime oder Kurden. Es geht um alle Syrer. Deshalb ist es seltsam, einen Protest vor einer Moschee zu beginnen.
Ist euch Religion persönlich wichtig?
Mohamad: Nein, Religion ist mir nicht so wichtig. Und für die Demonstrationen spielt sie sowieso keine Rolle.
Mahmoud: Für mich ist Religion sehr wichtig. Aber die Demonstrationen sind ein ganz anderes Thema.
Von links nach rechts: Mahmoud’s Frau Ranem Al Schami, Mahmoud Al Hariri, Mohamad Rashoo. Sie wohnen alle an verschiedenen Orten, aber treffen sich mehrmals pro Woche. (Bild: Ketty Bertossi)
Im Stück ist das Thema Warten sehr wichtig. Worauf wartet ihr?
Mahmoud: Ich bin seit drei Jahren in derselben Situation. Alle Syrer, ob zu Hause oder im Ausland, warten darauf, dass der Krieg zu Ende geht. Aber ich warte auch darauf, dass ich hier in der Schweiz in eine bessere Situation komme.
Mohamad: Also ich warte regelmässig, so zwei bis drei Mal pro Tag (er lacht). Ich warte auf eine Veränderung, auf eine Bewilligung, auf einen Bescheid von der Gemeinde. Ich bin seit einem Jahr und acht Monaten in der Schweiz und kann nichts machen. Den einzigen Bescheid, den ich von den Behörden bekomme, ist: warten, warten, warten.
Mahmoud: Die ersten Worte, die wir in der Schweiz lernten, waren: warten und Geduld.
Mohamad: Ja, «warten» ist das Wort, das ich in der Schweiz am meisten höre.
Mahmoud: Ich wäre im Theaterstück am liebsten aufgestanden, um zu rufen: «Wir warten auch! Genau so wie ihr!»