«Es gibt ein Recht, sich zu berauschen»

Geht es nach dem Suchtexperten und SP-Grossrat Otto Schmid, sollte der Konsum aller Drogen straffrei werden – gerade bei Cannabis.

«Wir sollten wieder einen innovativen und pragmatischen Weg gehen»: Otto Schmid, Leiter des Behandlungszentrums Janus und SP-Grossrat. (Bild: Nils Fisch)

Otto Schmid erlebt die Auswirkungen der kontrollierten Drogenabgabe im Behandlungszentrum Janus seit vielen Jahren mit. Geht es nach dem Suchtexperten und SP-Grossrat, sollte der Konsum aller Drogen straffrei werden – gerade auch bei Cannabis.

Das Janus an der Spitalstrasse. Eines von 23 Behandlungszentren in der Schweiz, die die Vergabe von pharmazeutischem Heroin in einer krankenkassenpflichtigen Therapie anbieten. Auch 20 Jahre nach der Eröffnung sind meist immer noch alle Plätze belegt – obwohl der Konsum von Heroin zurückgeht. Jedes Jahr sterben zwischen einem und vier Patienten des Janus, sagt Leiter Otto Schmid. Im Interview erklärt er, wieso diese Menschen sterben und macht sich für eine Regulierung von Cannabis stark. Zudem verrät er, weshalb er als Parlamentarier im Grossen Rat lieber wenig redet.

Sie sind seit 13 Jahren ambulanter Leiter des Behandlungszentrums Janus der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK). Geht die Patientenzahl zurück oder steigt sie?

Sie nimmt eher ein bisschen ab, zumal die Zahl der Heroinkonsumenten in der ganzen Schweiz – nicht aber weltweit – zurückgeht. Heroin hat heute ein ganz anderes Image als vor etwa 20 Jahren. Es gilt nun eher als Loserdroge und wirkt vor allem auf Jugendliche abschreckend.

Trotzdem sind die rund 160 Plätze im Janus meistens alle belegt. Gibt es Pläne für einen Ausbau?

Es gibt Pläne für einen Ausbau, aber nicht nur direkt auf der Schiene der heroingestützten Behandlung, sondern wir fusionieren die beiden Ambulatorien Heroin- und Methadonambulanz zu einem grossen Kompetenzzentrum für verschiedenste ambulante Angebote. In der Behandlung von Heroinabhängigen ist eigentlich Methadon immer noch die Therapieform Nummer 1. Diese Behandlung gilt als sehr erfolgreich. Es gibt unter den Methadon-Patienten wenige, die trotzdem täglich auf dem Schwarzmarkt Heroin kaufen und konsumieren, da sie die schnell anflutende und euphorisierende Wirkung suchen und brauchen. Für diese Patienten eignet sich unsere heroingestützte Behandlung.

Gibt es den «klassischen» Janus-Patienten?

Nein, wir behandeln verschiedenste Arten von Patienten. Wir haben sehr verwahrloste Menschen bei uns, die täglich ums Überleben kämpfen müssen, aber auch solche, die sozial bestens integriert sind. Was jedoch auffällig ist: Die meisten unserer Patienten weisen eine sehr schwierige Biografie auf und haben beispielsweise eine problematische Kindheit oder Jugend hinter sich.

Wie nahe gehen Ihnen die Fälle heute noch, wenn beispielsweise jemand stirbt?

Immer noch sehr. Wenn dem nicht so wäre, müsste ich den Job wechseln. Gewisse Patienten betreue ich seit ungefähr 20 Jahren. Man ist sich nah und kriegt auch viel Persönliches mit. Jemanden dann sterben sehen zu müssen, ist immer sehr tragisch.

Und wie oft kommt dies jährlich vor?

Ein- bis viermal pro Jahr. Aber nie aufgrund der Vergabe von pharmazeutischem Heroin. Es sind in der Regel Erkrankungen wie Hepatitis, verunreinigtes Strassenheroin oder die Lebensweise vor 20 oder sogar 30 Jahren, die zum Tod führen. Einige Patienten sterben zum Beispiel auch an Tumoren.

Inwiefern ist der Mischkonsum ein Problem in der Therapie?

Ein Beikonsum anderer Drogen findet statt, das ist teilweise ein grosses Problem. Viele Patienten reduzieren ihren Beikonsum jedoch  – alleine schon dadurch, dass sie nicht mehr in einem Milieu verkehren, in dem sie in Kontakt mit Dealern kommen.

«Ich bin grundsätzlich für die Straffreiheit jeglicher Substanzen.»

Momentan wird national, aber auch kantonal über eine Regulierung von Cannabis diskutiert: Gemäss dem Genfer Modell soll den Kiffern in sogenannten «Social Clubs» Cannabis zur Verfügung gestellt werden. Geraucht werden soll aber im privaten Rahmen. Auch Basel liebäugelt mit diesem Modell. Und in Winterthur hat sich der Gemeinderat vor wenigen Tagen knapp für ein Pilotprojekt ausgesprochen, das Konsum und Handel von Cannabis für einen beschränkten Zeitraum legalisiert. Finden Sie das als Suchtexperte eine gute Idee?

Ich bin grundsätzlich für eine Straffreiheit jeglicher Substanzen. Wir konnten in den vergangenen Jahren beobachten, dass Repression nichts bringt. Der Cannabiskonsum wird nicht wesentlich reduziert, auch wenn gewisse Kantone rigoros gegen Kiffer vorgehen – in Basel-Stadt ist man zum Glück weniger restriktiv. Ich sehe auch nicht ein, weshalb der Konsum von Cannabis anders gehandhabt werden muss als Alkohol. Insbesondere junge Konsumenten bemängeln das – aus meiner Sicht zu Recht.

Finden Sie Alkohol denn problematischer als Cannabis?

Wenn man statistisch schaut, welche der beiden Substanzen grösseren Schaden für Drittpersonen verursacht, müsste man rein rational gesehen den Alkohol verbieten und Cannabis erlauben. Straffreiheit von Cannabis bedeutet für mich nicht, dass Cannabis plötzlich für alle erhältlich sein soll. Bei einer Regulierung wäre der Jugendschutz ganz wichtig. Häufig argumentieren die Gegner ja damit, dass Straffreiheit eine Aufforderung an die Jugendlichen wäre, Cannabis zu konsumieren. Alkohol ist auch nicht illegal – das ist aber kein Aufruf an die Jungen, Alkohol zu trinken. Wir haben dort klare Bestimmungen, diese müssten auch bei einer Regulierung von Cannabis gelten.

Was wären die Vorteile einer Regulierung?

Der Jugendschutz könnte dadurch besser kontrolliert werden und man könnte besser präventiv einwirken – ein problematischer Konsum würde dadurch früher wahrgenommen. Zudem liessen sich die Qualität von Cannabis besser regulieren und der Schwarzmarkt minimieren. Es bräuchte meiner Meinung nach auch eine klare Deklarierung der Inhaltsstoffe. Sauberer Stoff führte auch bei der heroingestützten Behandlung zum Erfolg. Ein für mich wichtiger Aspekt ist jedoch, dass ein solches Pilotprojekt durch ein Kompetenzzentrum – beispielsweise durch die UPK – wissenschaftlich begleitet wird.

Und die Nachteile?

Ich sehe eigentlich keine – eine Regulierung wäre primär eine Verbesserung.

Verharmlosen Sie Cannabis damit nicht?

Nein, auf keinen Fall. Natürlich darf bei der ganzen Diskussion nicht ausser Acht gelassen werden, dass Cannabis eine nicht ganz unproblematische Substanz ist. Es ist erwiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen gewissen psychischen Erkrankungen und Cannabiskonsum gibt. Dazu kommt die schädliche Inhalation des Rauches oder zum Beispiel das sogenannte amotivationale Syndrom (eine allgemeine Antriebslosigkeit als Folge chronischen Cannabiskonsumus, Red.).  

Genau deshalb wäre eine Regulierung doch gefährlich.

Die meisten Cannabiskonsumenten pflegen einen moderaten Konsum. Zudem gehe ich nicht davon aus, dass Leute, die vor einer Regulierung nicht konsumierten, dann plötzlich Cannabis rauchen würden. Fachleute rechnen nicht mit einem Anstieg des Konsums.  

Basel hatte in der Drogenpolitik einst Vorbildcharakter. Wir sollten heute wieder einen innovativen Weg gehen.

Die Umsetzung dürfte allerdings schwierig werden, zumal das Volk sich 2008 klar gegen die Legalisierung von Cannabis ausgesprochen hat.

Ja, mit rund 70 Prozent. Ich bin aber zuversichtlich, dass die Schweiz in den nächsten Jahren eine pragmatische und gute Lösung für den Konsum finden wird. Ich behaupte, dass die Schweizer Bevölkerung weder ein absolutes Verbot noch eine absolute Legalisierung möchte. Deshalb wäre eine Regulierung sinnvoll. Das Genfer Modell ist erst einmal nur eine Idee, von der Umsetzung sind wir noch weit entfernt. Es ist jedoch wichtig, dass Basel sich offen gegenüber solchen Ideen zeigt. Wir dürfen den Anschluss nicht verpassen, schon gar nicht, weil wir in der Drogenpolitik einmal schweizweit Vorbildcharakter hatten. Wir sollten wieder einen innovativen und pragmatischen Weg gehen.

Die Regulierung scheint Ihnen ein grosses Anliegen zu sein. Wieso eigentlich, auf Ihre Arbeit hätte dies ja kaum gross Einfluss?

Wir haben natürlich viele Patienten, die Cannabis konsumieren. Es stimmt schon: Auf meinen beruflichen Alltag hätte eine Regulierung wenig Einfluss. Ich möchte aber auch gar nicht zwischen «meinen» und den «normalen» Konsumenten unterscheiden. Es ist mehr ein politisches, aber auch ein humanistisches  Anliegen. Es geht mir einzig um die Entkriminalisierung von Cannabis. Eine Kriminalisierung ist nicht gerechtfertigt bei dieser hohen Anzahl von Cannabiskonsumenten. Man geht davon aus, dass 30 bis 50 Prozent der Menschen in ihrem Leben schon mal Cannabis konsumiert haben – ich glaube sogar, dass es ein wesentlich höherer Anteil ist. Ich kenne praktisch niemanden, der das noch nie getan hat. Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, diese Menschen zu kriminalisieren oder zu pathologisieren. Zumal es meiner Ansicht nach ein Recht darauf gibt, sich zu berauschen.

Wie meinen Sie das?

Seit eh und je trägt der Mensch das Bedürfnis, das Lustzentrum im Gehirn zu aktivieren, in sich. Daher gibt es das Bedürfnis nach Berauschung. Das kann man gut oder schlecht finden, es ist aber eine Realität sowohl bei Erwachsenen als auch Jugendlichen. Man muss seine Grenzen kennenlernen, selber Erfahrungen machen. Das gehört dazu. Alkohol zu trinken gilt auch als Genuss, deshalb sollten andere Substanzen auch nicht nur als problematisch angeschaut werden, sondern ebenfalls als Genuss.

Sie sind seit 2011 für die SP im Grossen Rat und dort eher der ruhige Typ. Man hört sie selten reden. An Anlässen ausserhalb des Parlaments sind Sie auffallend laut, gesellig und lustig. Wieso dieser Kontrast?

Der Grosse Rat ist ja auch eine ernste Sache (lacht). Nein, ich bin nun mal nicht der Politiker, der Öffentlichkeit sucht und profilierungssüchtig ist. Ich bin kein Schreipolitiker, sondern arbeite lieber im Hintergrund, etwa in der Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission oder im Fraktionsvorstand.

Ruhige Politiker habens schwer.

Das stimmt. Aber mir ist es wohl so.

Häufig ärgert man sich am meisten über die Leute in der eigenen Partei.

Ihre Partei hat an Schwung verloren. Es gibt Animositäten und Alleingänge in der Fraktion – mit der neuen Partei- und Fraktionsspitze sind nicht wenige Ihrer Kollegen unzufrieden. Wie würden Sie den momentanen Zustand der SP beschreiben?

Häufig ärgert man sich in der Politik am meisten über die Leute in der eigenen Partei – in einer grossen Partei erst recht. Ich empfinde die SP jedoch als stabil und präsent.

Etwas anderes dürften Sie nun auch kaum sagen.

Wechsel an der Parteispitzen sind immer mit Schwierigkeiten verbunden. Es braucht nun mal Zeit, bis sich alle finden. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass uns dies gelingen wird.

Wen wählen Sie am 18. Mai als Ersatz für Carlo Conti in die Regierung?

Ich stehe zum Konkordanzsystem. Der Sitz gehört ganz klar den Bürgerlichen – die Bürgerlichen müssen unter sich ausmachen, wer den Sitz erhält.

Sie werden also leer einlegen?

Ja, davon gehe ich aus.

Sie brauen mit Freunden zusammen das Bier Gleis1 im St. Johann. Ist das ein echtes Hobby oder einfach eine gute Ausrede zu Hause, um immer wieder Bier trinken zu gehen?

Bier brauen heisst ja immer auch Bier trinken (lacht). Meine Freunde und ich fingen vor drei Jahren in der Küche einfach mal an zu experimentieren. Es nahm uns wunder, wie Bier entsteht und produziert wird. Wir hatten auch einfach mal wieder Lust auf Neues. Wenn man gerne Bier trinkt und immer die gleichen Marken serviert bekommt, wirds mit der Zeit ein bisschen langweilig und fad. Deshalb fanden wir, dass wir selber brauen wollen.

Mit der Zeit verleidet doch auch das eigene Bier.

Wir haben neun verschiedene Sorten!

Otto Schmid (1967) ist Leiter des Behandlungszentrums Janus und des Ambulanten Dienstes Sucht für Methadon-Behandlung an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Nach seiner Ausbildung zum Krankenpfleger spezialisierte er sich auf die Suchtberatung und absolvierte ein Nachdiplomstudium im betriebswirtschaftlichen Management. Der 46-Jährige lehrt zudem an den Fachhochschulen Nordwestschweiz und Luzern. Seit Juni 2011 sitzt Schmid für die SP im Grossen Rat. Er ist Mitglied der Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission. Otto Schmid ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Die Familie lebt auf dem Bruderholz.

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