Die Wutbürger toben und rotten sich zusammen. Es ist höchste Zeit, dass wir anderen unsere Grabenkämpfe überwinden und gemeinsam gegen den Faschismus antreten.
«Es wird Zeit, dass mal wieder jemand Amok läuft und diese linken Politiker aus dem Weg räumt. Geht anscheinend nicht mehr anders.» Das schrieb ein gewisser Mike Theissl auf der Facebook-Seite der SVP Schweiz. Die hatte zuvor einen Artikel über FDP-Philipp-Müller gepostet, der sich bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative für einen «Inländervorrang light» ausspricht. «Sein dämliches Grinsen wird ihm noch vergehen … Tag X kommt immer näher», schrieb ein anderer SVP-Fan auf Facebook an Müllers Adresse.
Diese oft verharmlosten Wutbürger-Tiraden sind aus verschiedenen Gründen interessant.
Erstens handelt es sich beim Angegriffenen keineswegs um einen sogenannten linken Gutmenschen, sondern um einen stramm-bürgerlichen Neoliberalen, der lediglich versucht, eine menschenverachtende Initiative ein bisschen weniger menschenverachtend umzusetzen.
Zweitens verweist dieser Mike Theissl mit seiner völlig pietätlosen Anspielung auf das Attentat von Zug im Jahr 2001, bei dem 14 Menschen starben, auf die momentan grösste Gefahr für die westlichen Gesellschaften: amoklaufende Wutbürger.
Und dann erwähnt ein Kommentierender noch den «Tag X». Dieses Codewort bedeutet Verschiedenes, in Neonazi-Kreisen steht es für den Niedergang der heutigen westlichen Gesellschaft und somit den Triumph der Rechtsextremen.
Von unserer warmen Stube aus schauen wir in den hässlichen Schlund, der sich da wieder öffnet.
Seit Jahren beschäftige ich mich mit solchen Aussagen und Weltbildern und seit Jahren beschleicht mich das mulmige Gefühl, dass sie trotz oder gerade wegen ihrer grausamen Absurdität Realität werden könnten. Seit Trumps Sieg – ein verspotteter (Internet-)Troll wird zum mächtigsten Mann der Welt – ist es mehr als ein mulmiges Gefühl.
Ich weiss: Den Faschismus heraufzubeschwören ist übertrieben, aber Trump zu unterschätzen wäre brandgefährlich. Inzwischen können wir von unserer warmen Stube aus in den hässlichen Schlund schauen, der sich da wieder öffnet.
Unsere Nachbarn im Osten haben neulich zwar verhindern können, dass ein faschistoider Menschenverachter das Geburtsland Hitlers regiert, trotzdem haben fast zwei Millionen Menschen für die gefährliche Witzfigur gestimmt.
In Deutschland feiert mit der AfD weiterhin eine Partei Erfolge, die noch vor einem Jahrzehnt gesellschaftlich geächtet worden wäre, in Frankreich droht die rechtsradikale Demagogen-Tochter Marine Le Pen Präsidentin zu werden. In Holland wütet Wilders. Im netten Norden rechte Horden.
Polen und Ungarn sind längst in die Hände der Nationalisten gefallen. In der Türkei werden Oppositionelle verhaftet, Lehrer entlassen, Andersdenkende verfolgt – Faschismus nach Lehrbuch. Dass Erdogan demokratisch gewählt wurde, zeigt nur die Krise, in der die Demokratie zurzeit steckt. Der Flächenbrand ist nicht mehr zu übersehen. Befeuert wird er durch Boulevardmedien, die mit reisserischen Artikeln über kriminelle Ausländer und die sogenannte Kuscheljustiz die Bevölkerung aufwiegeln.
Wutbürger, Rechtsradikale und Nationalisten haben einen Vorteil gegenüber uns Liberalen und Linken – sie sind sich einig.
Ins selbe Horn stossen inzwischen auch vermehrt einst fundiertere Zeitungen wie der «Tages-Anzeiger». Alles im Namen der Klicks. Ein Rezept, das die «Weltwoche» und die BaZ schon seit Längerem anwenden. Einen grossen Gefallen tun sie damit den Populisten der rechten Parteien, deren rassistische Behauptungen so in einem neutralen Gewand erscheinen. Flankiert wird das ganze durch zig Tausend Füdlibürger, die in der Angst um ihr Gärtli lieber dem Populisten auf den Leim als den Tatsachen auf den Grund gehen.
Diese Wutbürger, Rechtsradikalen und Nationalisten haben einen Vorteil gegenüber uns Liberalen und Linken – sie sind sich einig. Ihre Realität ist zwar konstruiert. Ihre Theorien wirr, ihr Weltbild ignorant und menschenverachtend, aber sie können sich einigen. Darauf, dass sie zur Gruppe der Guten gehören, dass sie von einer bösen Macht angegriffen werden und dass es an der Zeit ist, diese Ungerechtigkeit mit allen Mitteln zu bekämpfen, die Verräter und Blender zu stürzen und wieder die guten alten Zustände herzustellen.
Die durchschlagende Wucht dieser kollektiven Verblendung manifestiert sich gerade weltweit. Diese Einigkeit, diese Wucht, dieser Eifer fehlen uns anderen. Schon beim Schreiben dieses vorangegangenen Satzes spüre ich die eigene Gespaltenheit, die meine Kampfeslust immer wieder schwächt. Denn ich schreibe von «uns anderen» und sofort schreit die Stimme in mir: «Du bist nicht anders! Du bist arrogant! Du bist keinen Dreck besser! Du bist mitschuldig an der Misere! Du hast keine Ahnung!»
Wir müssen auf das Feuer pissen, das im dürren Wald entfacht wurde, bevor wir uns darüber streiten, wer es wie gelegt hat.
Natürlich sind das die Dämonen eines gebrannten Kindes, das seit Jahren wegen seinen Meinungsäusserungen von Wutbürgern zusammengeschrien wird. Es ist aber auch die Enttäuschung über die eigene Peergroup. Denn diese Stimmen, die den Kampf gegen den aufflammenden Neo-Faschismus schwächen, kommen inzwischen auch vermehrt aus dem eigenen Umfeld.
Während vor unseren Augen totgeglaubte Hass-Ideologien eine Renaissance erleben, streiten wir uns darüber, wer weshalb nicht das Recht habe, diesen Hass zu bekämpfen. Es ist Zeit, damit aufzuhören und sich zu formieren, sich zu vereinen, dem Menschenhass entgegenzutreten, den Faschismus abzuwenden. Das hat momentan höchste Priorität. Wir müssen auf das Feuer pissen, das im dürren Wald entfacht wurde, bevor wir uns darüber streiten, wer es wie gelegt hat. Und ob es überhaupt sinnvoll ist, im Wald Cervelats zu bräteln.
So brenzlig die Situation momentan auch ist, so unspektakulär und einfach wäre in meinen Augen die richtige Reaktion darauf. Wählen gehen, Rassismus und Sexismus dezidiert entgegentreten. Leute mobilisieren. Herz und Verstand über Angst, Aberglaube und Hass stellen.