Geheimkonferenz in Bad Schauenburg: Wie ein Baselbieter Weltgeschichte schrieb

1991 trafen sich afghanische Regierungsvertreter und Mujaheddin im Geheimen in Liestal. Nun spricht der Baselbieter Afghanistan-Kenner Paul Bucherer erstmals darüber.

Das Hotel Bad Schauenburg liegt zwischen Liestal und Schönmatt. Hier fand das Geheimtreffen getarnt als «Teppichhändler-Konferenz» statt.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

1991 trafen sich afghanische Regierungsvertreter und Mujaheddin im Geheimen in Liestal. Nun spricht der Baselbieter Afghanistan-Kenner Paul Bucherer erstmals darüber.

Die Visitenkarte von Paul Bucherer ist beidseitig bedruckt: vorne in Deutsch, hinten in Persisch. Der Baselbieter reist seit über vierzig Jahren regelmässig nach Afghanistan – nach etwa fünfzig Reisen hat er aufgehört zu zählen. Er spricht Dari, den persischen Dialekt, den Afghanen mehrheitlich sprechen, und er ist mit Regierungsvertretern, Mujaheddin und Taliban befreundet.

Bucherer kennt das Land am Hindukusch wie kaum jemand in Mitteleuropa. Er hat die politischen Machtwechsel und die Entwicklung des Landes hautnah miterlebt und hütet deshalb auch viele Geheimnisse über Afghanistan. Einige davon hat er in einem gerade erschienenen Sammelband zum Vierzig-Jahr-Jubiläum der Stiftung Bibliotheca Afghanica preisgegeben.

Afghanistan-Institut mit internationalem Renommee

Die Stiftung hat Bucherer zusammen mit seiner Frau gegründet, um afghanische Kulturgüter vor der Zerstörung zu bewahren. Aus der Stiftung, die der Kanton Baselland unterstützt, ist jedoch viel mehr geworden als eine Büchersammlung: Ihr angeschlossen ist heute das schweizerische Afghanistan-Institut, das internationales Renommee geniesst und für allerlei Anfragen konsultiert wird.

Der ehemalige Baselbieter Regierungsrat Andreas Koellreuter präsidiert den Stiftungsrat der Bibliotheca. Er hat den aktuellen Band mit herausgegeben und unterstützt Bucherer seit über zwanzig Jahren. Nun wollen die beiden bestimmte Episoden aus der Vergangenheit erstmals erzählen.

Wir treffen Bucherer und Koellreuter im Hotel Bad Schauenburg oberhalb von Liestal. Hier, im Herzen von Baselland, wurde 1991 Weltgeschichte geschrieben. Die Erinnerung an die sogenannte Teppichhändler-Konferenz wird bei Bucherer und Koellreuter wach, als sie an der Rezeption stehen und die Gaststube betreten. Hier nimmt die langjährige Verbindung Afghanistans ins Baselbiet konkrete Formen an.



Die Gaststube des Bad Schauenburg weckt bei Paul Bucherer (links) und Andreas Koellreuter Erinnerungen an das historische Treffen

Die Gaststube des «Bad Schauenburg» weckt bei Paul Bucherer (links) und Andreas Koellreuter Erinnerungen an das historische Treffen (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Teppichhändler-Konferenz

Sommer 1991. Im Baselbiet formiert sich das überparteiliche Komitee «Baselland ohne Laufental», in Afghanistan tobt ein Bürgerkrieg. Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen bekämpfen sich das kommunistische Regime unter Mohammed Najibullah und die Widerstandskämpfer (Mujaheddin). Die UNO hat die verfeindeten Kriegsparteien aufgrund der anhaltenden Kämpfe nach New York geladen. Dort tagen die Delegationen in getrennten Räumen. Parallel dazu – jedoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit – treffen sich in Baselland hochrangigere Vertreter der afghanischen Regierung, des Königs und der Mujaheddin – im Wohnzimmer von Paul und Veronika Bucherer.

Paul Bucherer: «Beim ersten Treffen, als die Delegierten der beiden Parteien in Liestal ankamen, trafen sie sich zunächst bei uns zu Hause. Wir haben extra dafür eine neue Polstergruppe angeschafft. Als sie über Genf und Zürich bei uns ankamen, besprachen wir zuerst die Bedingungen für das geheime Treffen. Ich war wahrscheinlich der Aufgeregteste, als die Vertreter der Regierung, der Mujaheddin und des Königs das erste Mal aufeinander trafen. Sie waren sehr zivilisiert, haben sich freundlich begrüsst und boten sich gegenseitig Zucker an für den Tee. Nach einer halben Stunde herrschte eine völlig entspannte Atmosphäre. Man liess sich Kuchen und Tee schmecken, gut bewacht von unserem Hund (lacht).»

Nach den Vorverhandlungen in Bucherers Wohnzimmer fuhren die Delegierten ins Hotel Bad Schauenburg, wo sie die nächsten drei Tage verbringen sollten. Damit die Gäste in den ungewöhnlichen Gewändern anonym bleiben konnten, sprachen alle Beteiligten offiziell von einer Teppichhändler-Konferenz. Nicht einmal das Hotelpersonal wusste darüber Bescheid, dass hier politische Gespräche stattfanden. Auch die übrigen Hotelgäste kriegten davon nichts mit.



Paul Bucherer: «Ich war wahrscheinlich der Aufgeregteste, als die Vertreter der Regierung, der Mujaheddin und des Königs in unserer Wohnung das erste Mal aufeinander trafen.»

Paul Bucherer: «Das Risiko war kalkulierbar. Die Personen waren nicht als Mujaheddin oder Regierungsvertreter eingeladen, sondern als meine Freunde.» (Bild: Hans-Jörg Walter)

In der Vereinbarung zur Konferenz, die in Bucherers Wohnung unterzeichnet wurde, steht: «Offiziell sind im Hotel keine afghanischen Gäste anwesend. Anrufe werden nur weitergeleitet, wenn das Deckwort ‹Osman› genannt wird.»

Im Weiteren ist auch geregelt, dass das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), welches das Treffen ermöglicht hatte, die Kosten übernimmt. Für Speisen und Getränke sollte es aufkommen, alkoholische Getränke hingegen waren «individuell und bar zu bezahlen».

Andreas Koellreuter war zum Zeitpunkt des Treffens gerade mal seit fünf Wochen als Regierungsrat im Amt. Er sollte als Polizeidirektor mit seinen Leuten für die Sicherheit der Konferenzteilnehmer sorgen.

Andreas Koellreuter: «Ich war der einzige Regierungsrat, der davon wusste. Die Polizei hat das Hotel bewacht. Nur der Einsatzleiter wusste, wer die Gäste wirklich waren. In den ersten vier Wochen als Regierungsrat hat man normalerweise andere Probleme, als geheime Gespräche direkt vor der eigenen Nase zu betreuen. Ich wusste: Wenn das auffliegt, dann ist das für die Verhandlungen fatal – und für mich sowieso.»

Paul Bucherer: «Das Risiko war kalkulierbar. Der Verhandlungsort war ideal gelegen, gut abschirmbar, das haben wir im Vorfeld abgeklärt. Der wesentliche Punkt war jedoch: Die Personen waren nicht als Mujaheddin oder Regierungsvertreter eingeladen, sondern als meine Freunde. Ich kannte alle persönlich. Es war dies das erste direkte Treffen von Ministern der kommunistischen Regierung mit hochrangigen Vertretern des Widerstands. Das Treffen in Liestal war deshalb einzigartig in der Geschichte Afghanistans.»

Bei den Gesprächen im Konferenzraum des Hotels Bad Schauenburg blieben die Delegierten unter sich. Bucherer sass jedoch bei den Essen dabei. Er achtete darauf, dass die verfeindeten Parteien am selben Tisch assen. Man sprach über das Wetter oder Probleme mit der Schwiegermutter – die Politik war kein Thema. Die Stimmung sei meist positiv gewesen, es sei nie so weit gekommen, dass jemand die Koffer packen und abreisen wollte, erinnert sich Bucherer.

Die diskreten Gespräche im «Bad Schauenburg» führten zur ersten Annäherung zwischen den verfeindeten Parteien. Es folgten weitere Treffen und eine konkrete Absprache auf dem Schilthorn – das die Afghanen bereits aus einem James-Bond-Film kannten. Basierend auf dieser Vereinbarung wurde im April 1992 in Kabul eine Übergangsregierung eingesetzt, was eine fast konfliktfreie Machtübergabe von Najibullah an die Gruppierung der Mujaheddin ermöglichte. Der Bürgerkrieg dauerte jedoch weiter an, da nach der Machtübergabe neue Fronten aufbrachen.

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Andreas Koellreuter und Hans-Ulrich Seidt (Hrsg.): «40 Jahre Bibliotheca Afghanica. Beiträge zu Recht, Politik und Kultur in Afghanistan». Verlag des Kantons Basel-Landschaft, 2015, 408 Seiten. 

Lesen Sie eine weitere Episode von Paul Bucherer und mehr zu seiner Person: «Der Baselbieter, der mit einem IBM-Computer Tausenden Afghanen das Leben rettete»

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