Das Kunstmuseum Basel hat 1939 den Nationalsozialisten «entartete Kunst» abgekauft. Wurde so Kunst gerettet – oder hat die Stadt nur profitiert?
Die sensationelle Entdeckung des Kunstschatzes, der vom Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt gehortet worden ist, hat in den letzten Tagen den grösseren Problemkomplex der Kunstpolitik und des Kunsthandels jener Zeit ins Zentrum der momentanen Aufmerksamkeit katapultiert und dabei auch Basel ins Scheinwerferlicht gerückt.
In Basel ging es hauptsächlich um Kunsttransfers von deutschen Museen in ein schweizerisches Museum. Heute gilt aber die Aufmerksamkeit vor allem den Bildern, die von Verfolgten zu Schleuderpreisen verkauft oder ihnen gar geraubt und wiederum an Private oder an Museen weiterverkauft wurden. In Basel wurden vor allem Bilder gekauft, die der NS-Staat sozusagen sich selbst geraubt und dann verkauft hat. Aber es gab auch andere Fälle.
Die an sich bekannte Geschichte vom Basler Ankauf der «Entarteten» zeigt vor allem das hohe Verdienst und Geschick von Georg Schmidt, der ab dem 1. März 1939 die Leitung des Kunstmuseums innehatte, und die Bereitschaft der Grossratsmehrheit, den Sonderankauf mit einem Sonderkredit zu unterstützen. Davon soll hier erst später nochmals die Rede sein.
Die Geschichte des Basler Ankaufs gestattet es auch, anhand der in Basel erhalten gebliebenen Dokumente einen erhellenden Blick auf das wegen des «Falls Gurlitt» besonders interessierende Geschäftsgebaren der Agenten zu werfen, welche bei der Verwertung von beschlagnahmtem Kunstgut tätig waren.
Weil bekannt war, dass Georg Schmidt «Entartete» kaufen wollte, wurde er von den offiziösen Vermittlern umschwärmt, ja geradezu bedrängt. Deren Vermittlungstätigkeit bestand darin, Käufer ausfindig zu machen und Ministerialfunktionären zuzuführen. Diese Beamten entschieden letztlich über die Preise, die vermittelnden Kunsthändler kassierten Provisionen. Sie mussten den potenziellen Käufern möglichst gute Preise, dem Ministerium zugleich aber einen möglichst hohen Ertrag in Aussicht stellen. Zum Spiel gehörte, beide Seiten zur Eile anzutreiben, Verkäufer wie Käufer mit dem Argument, dass die Gegenseiten ihre Angebote schon bald zurückziehen könnten. Das Eigeninteresse hiess sie, darauf zu achten, dass interessierte Sammler tatsächlich auch Käufer wurden, und dass der Preis dennoch möglichst hoch war, weil dies auch die Höhe der von beiden Seiten zu bezahlenden Provision bestimmte.
Zwei Gurlitt in Basel
Das Ministerium wollte aus der ganzen Aktion seinerseits einen möglichst hohen Gewinn erzielen. Darum ging es auf ein Gesamtangebot der Schweizerischen Kreditanstalt nicht ein. Mit Einzelverkäufen waren die Gewinnaussichten grösser. Der Gesamtbestand wurde sozusagen filetiert, ein numerisch bescheidener, aber sehr beachteter Teil ging an die bekannte Luzerner Auktion von Theodor Fischer.
Andere Teile gingen an die vier lizenzierten Verwerter, die auch für sich selbst kaufen und dann das Gekaufte weiterverkaufen konnten. Gemäss Angaben des deutschen Zollkriminalamtes stammen gut 200 Werke des Gurlitt-Bestandes aus staatlichen Museen, 1941 habe Hildebrand Gurlitt dem NS-Staat weitere 115 Werke abgekauft. Es muss neben den akkreditierten Vier noch weitere Mittelsmänner gegeben haben. Einer von ihnen, ebenfalls ein Gurlitt, aber ein anderer, war Wolfgang G., der 1939 ebenfalls in Basel auftauchte.
Schon wenige Wochen nach seinem Amtsantritt empfahlen sich bei Georg Schmidt im April 1939 die beiden Kunsthändler Hildebrand Gurlitt und Karl Buchholz je separat als Vermittler der in Berlin zum Verkauf stehenden «Entarteten». Beide stellten eine besonders gute Auswahl und besonders günstige Preise in Aussicht und erklärten, Schmidt solle bei ihnen kaufen, also nicht direkt in Berlin und nicht in der bevorstehenden Luzerner Auktion.
Beide Händler taten sich schnell zusammen und kamen überein, die Provisionen des angestrebten Basler Handels untereinander aufzuteilen. Der Vermittler Hildebrand Gurlitt wurde durch den Schweizer Kunstmaler Karl Ballmer (1891–1958) vermittelt, der ebenfalls in Hamburg gelebt hatte, wegen des ihm auferlegten Malverbots 1938 in die Schweiz zurückgekehrt war und sich im Tessin niedergelassen hatte. Auch er erhielt schliesslich eine Vermittlungsprovision.
Kein Argument gegen den Kauf war, dass man die Nazis unterstützt.
Kurz darauf tauchte auch Wolfgang Gurlitt auf, bot sich als Lotse durch den Berliner Bestand an, wollte den Basler auch bei sich privat unterbringen, stellte – natürlich – tiefere Preise als die beiden Konkurrenten in Aussicht und erlaubte sich sogar den versteckten Vorwurf, jene versuchten mit ihrem zu hoch angesetzten Gebot die Preise in die Höhe zu treiben. Für Schmidt war die Situation heikel, weil ein grosses Risiko darin bestand, dass die nicht berücksichtigten Anbieter die angepeilte Kaufvariante sabotieren könnten. Das galt auch im Fall des Luzerner Auktionators, der wegen der Gefahr der Direktkäufe frustriert war.
Darum musste Schmidt den hinzugekommenen Wolfgang G. beruhigen und ihm erklären, dass die anderen Verhandlungen bereits so weit gediehen seien, dass es ihm unmöglich sei, noch einen Dritten einzuschalten, ohne den beiden anderen gegenüber eine Unfreundlichkeit zu begehen. «Da ich diese beiden anderen Herren genauso wenig kannte wie Sie, hat das in keiner Weise etwas Persönliches zu bedeuten. Wären Sie der erste gewesen, so hätte ich mit der gleichen Freude mit Ihnen unterhandelt.» (Brief vom 31. Mai 1939)
Es war keine Selbstverständlichkeit, dass Basel die einmalige Chance für die Anreicherung seiner öffentlichen Sammlung nutzte. Den Gegnern, die es bei einer solchen Aktion immer gibt, standen in diesem Fall mehrere Argumente zur Verfügung: die bestehenden Staatsschulden («entartet» sei weniger die Kunst als die Kunst des Haushaltens), das schnelle («überrumpelnde») Vorgehen, die Vernachlässigung der Schweizer Kunst, Konzentration auf Bestehendes (die Alten Meister), die Moderne als «Modesache».
Kein Argument war der in den internationalen Medien geäusserte Vorbehalt, dass man mit den Ankäufen dem NS-Regime zu zusätzlichen Einnahmen verhelfe, die dann für Rüstungszwecke eingesetzt würden. Georg Schmidt kam in seinem Antrag gegenüber seinem Vorgesetzten, SP-Regierungsrat Fritz Hauser, immerhin darauf zu sprechen und bemerkte, dass man «ewiges Kulturgut gegen rasch veraltende Kanonen» tausche (Schreiben vom 19. Mai und 17. Juni 1939).
Für einen Kauf sprachen die Qualität der angebotenen Werke an sich, die günstigen («wohlfeilen») Preise, die Notwendigkeit einer Erweiterung des Sammlungsgutes in Richtung der Moderne. Hinzu kamen zwei besondere Argumente: Der ambitiöse Museumsneubau von 1936 rufe nach einem entsprechenden Inhalt, deshalb sei auch ein entsprechender Sonderkredit ohnehin vorgesehen gewesen. Und das kunstpolitische Argument, dass man sich für die gebrandmarkte Kunst einsetzen müsse.
50 000 Franken wurden am 27. Juni 1939 vom Grossen Rat bewilligt, und eine Referendumsmöglichkeit wurde ausgeschlossen, alles in allem mit etwa 80 gegen 20 Stimmen. Opposition kam vor allem von den elitären Liberalen, und Opposition wäre sicher auch von der Bürgerbasis gekommen: Die schon damals geäusserte Meinung, dass der Kredit nie eine Volksabstimmung überstanden hätte, war nicht unberechtigt. Dies erst recht dann, wenn man gesehen hätte, welche Bilder mit dem Geld angekauft werden sollten.
Rettungsmotiv schwang mit
Die Kunstkommission wollte einen Kredit von 100 000 Franken, eine Ad-hoc-Kommission wollte 75 000 Franken, der liberale Regierungsrat Carl Ludwig bloss 25 000 Franken. Die Basler Aktion sollte möglichst lange geheim bleiben, damit die Preise auf dem Kunstmarkt nicht deswegen steigen würden. Die 50 000 Franken würden heute einem Wert von rund 380 000 Franken entsprechen, ein anderer Vergleich könnte sich auf die damaligen und heutigen Staatsausgaben beziehen.
Georg Schmidt spielte in seinem Kampf um die Bilder stark die Basler Karte. «Basel darf diesen Ruf nicht überhören (…) Wenn Basel eine besondere Anstrengung machen würde, von den wichtigsten neueren deutschen Künstlern Hauptwerke zu erwerben, so wäre dies für alle Zeiten ein Ehrentitel des fortschrittlichen Geistes, dessen es sich auch auf anderen Gebieten zu rühmen das Recht hat» (Brief an Fritz Hauser vom 19. Mai 1939). Die konservativen Basler nahmen, wie bereits gezeigt, eine andere Haltung ein.
Um der auch nach dem Kauf anhaltenden Polemik entgegenzutreten, bat er Albert Oeri, den liberalen Nationalrat, Chefredaktor der «Basler Nachrichten» und Jacob-Burckhardt-Nachkommen, im August 1939 nach einer zufälligen Strassenbegegnung ins Museum, zeigte ihm die erworbenen Schätze und konnte dann feststellen, dass er Oeri von der Sache «vollkommen» überzeugen konnte.
Basel hat vom Ankauf unzweifelhaft profitiert. Es war aber auch eine Art von Rettungsaktion. Weniger Rettung vor Vernichtung, dafür war die Ware zu wertvoll, es hätten sich andere Käufer gefunden. Einiges wäre nach Amerika abgewandert. Es war aber wichtig, dass in unmittelbarer Nachbarschaft zum NS-Reich beinahe trotzig Exemplare der von ihm verfolgten Kunst ausgestellt werden konnten. Der Ankauf war auch ein Bekenntnis zu dieser Kunst und führte, was nicht zu verachten war, über die gesteigerte Wertschätzung auch zu einem Anstieg der Preise. Künstler wie Oskar Kokoschka haben dies in ihrem Brief an Georg Schmidt auch zum Ausdruck gebracht.
Bei «Fluchthelfer» Georg Schmidt schwang jedoch auch das Rettungsmotiv mit, er wollte verfolgter Kunst in Basel eine Heimstätte geben. Dem Kunstfachmann Paul Westheim gegenüber bemerkte er, er habe jedes einzelne Bild der Berliner Auswahlsendung, das aus der Kiste stieg, «wie einen heil über die Grenzen gelangten Menschen» begrüsst (Brief vom 15. Juli 1939). Zu bedauern ist, dass die heutigen Besucher, wenn sie vor den Bildern stehen, wegen der zurückhaltenden Auskünfte in der Beschilderung der Bilder davon nichts mitbekommen. (1)
Neben dieser offiziellen Meisteraktion gab es auch in Basel mehrere weniger bekannte Ankäufe aus Privatbesitz. Dazu nur ein Beispiel: 1940 kam Henri Rousseaus «La muse inspirant le poète» von 1909 ins Museum. Sein Wert war auf maximal 20 000 Franken geschätzt worden. Georg Schmidt ging mit einem Vorschlag von 15 000 Franken in die Kommission. Diese drückte den Preis schliesslich auf 12 000 Franken. Die Mittel waren knapp, unter anderem auch wegen der Unterbringungskosten für die wegen möglicher Kriegsschäden vorgenommenen Evakuationen. Christoph Bernoulli, der das Bild vermittelte, musste auf einen Teil der Provision verzichten, für den anderen Teil kam Georg Schmidt selbst auf.
Dem Kunsthändler Bernoulli attestierte er, «im Interesse seiner Vaterstadt ein wirklich grosses Opfer gebracht» zu haben. Bernoulli musste einen Teil seines Ertrags an einen anderen Mittelsmann (Curt Valentin) weitergeben, weil dieser ihn auf die Verkaufsabsichten der Besitzerin aufgemerksam gemacht hatte.
«Il le faut» – es muss sein
Unsere Vorstellungen konzentrieren sich heute vor allem und zu Recht entweder auf Raub oder auf Zwangsverkäufe. In Ansätzen kann man das auch bei der Besitzerin dieses Rousseau wahrnehmen, obwohl der Notaspekt im Fall der in Genf lebenden Gräfin nicht so offensichtlich erscheint. Das Bild gehörte Charlotte Wesdehlen, geborene Oppenheim und frühere Frau von Paul Mendelssohn-Bartholdy. Die Notlage kommt in einem kurzen Wort zum Ausdruck: «Il le faut» (es muss sein), schrieb sie in einem Brief. Und Schmidt hält nach dem abgeschlossenen Kauf in einem Brief an den Sammler Rudolf Staechelin fest, es habe sich um einen «schandbar billigen Preis» gehandelt, der nur so zustande gekommen sei, weil die Besitzerin «rasch realisieren» musste (Brief vom 26. 8. 1940).
Das Wort «schandbar» wird meistens nur im Sinne eines verstärkenden «sehr» und «ausserordentlich» verwendet und meint nicht, dass es sich auch um «Schändliches» handle.(2)
1 Georg Kreis, «Entartete» Kunst für Basel. Die Herausforderung von 1939. Basel 1990.
2 Esther Tisa Francini, Anja Heuss und Georg Kreis, Fluchtgut – Raubgut. Der Transfer von Kulturgütern in und über die Schweiz 1933–1945. Zürich 2001.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 15.11.13