Gregor Gysi zur Affäre Böhmermann: Merkel opfert die Kunstfreiheit ein bisschen

Böhmermann und kein Ende: Merkels Umgang mit der Affäre zwischen Staatsräson und Meinungsfreiheit.

Leiden können sie sich nicht, doch müssen sich Böhmermann, Erdogan und Merkel miteinander beschäftigen.

(Bild: Nils Fisch)

Böhmermann und kein Ende: Merkels Umgang mit der Affäre zwischen Staatsräson und Meinungsfreiheit.

Seit Wochen hält die Affäre um den ZDF-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann die Republik in Atem. Dem voraus ging ein recht grotesker diplomatischer Vorgang. Durch eine andere deutsche Satiresendung fühlte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan «beleidigt», woraufhin der deutsche Botschafter in der Türkei einbestellt wurde. Jan Böhmermann hatte daraufhin den Einfall, seinem Publikum den Unterschied zwischen Satire, die grundgesetzlich geschützt sei, und einer Beleidigung zu erläutern. Als Beispiel für eine Beleidigung trug er ein Schmähgedicht über Erdogan vor.

In einem Telefonat kurz nach der Ausstrahlung der Sendung nannte die Bundeskanzlerin Angela Merkel dieses Schmähgedicht gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu «bewusst verletzend». Sicher hat sie damit nicht die folgenden Ereignisse auslösen wollen, mittlerweile hat sie eingeräumt, dass ihre Äusserung ein Fehler war.

Beleidigte Staatsoberhäupter

Es gibt im deutschen Strafrecht einen merkwürdigen Paragrafen, den §103. Dieser stammt aus der wilhelminischen Epoche und stellt Beleidigungen von Staatsoberhäuptern anderer Staaten unter Strafe.

Dabei gibt es wichtige Unterschiede zu «normalen» Beleidigungen. Bei «normalen» Beleidigungen müssen diejenigen, die sich als Opfer einer Beleidigung fühlen, privat klagen. Die Delikte, die unter §103 fallen, gehören zu einer anderen Deliktgruppe. So ist auch der Staat der Kläger, wobei eine Voraussetzung dafür das Begehren des betroffenen Staates ist, also in dem Fall der Türkei und die Zustimmung der Bundesregierung.

Ausserdem ist im Falle des §103 der Strafrahmen höher. Dabei haben wir es heute bereits mit der demokratisierten Variante zu tun: Ursprünglich waren nur gekrönte Häupter durch diesen Paragrafen geschützt.

Man kann einen rassistischen Witz noch so oft ironisch brechen, es bleibt ein Nachhall, ein übler Beigeschmack.

Die Bundesregierung hat die Justiz ermächtigt, gegen Jan Böhmermann zu ermitteln. Gleichzeitig hat die Bundeskanzlerin erklärt, diesen Strafrechtsparagrafen noch in dieser Wahlperiode abschaffen zu wollen.

Ich werde nicht darüber mutmassen, wie das Verfahren ausgehen wird. Aber es gibt eine Reihe von Ebenen der politischen Beurteilung. Zunächst Jan Böhmermann selbst. Er hat sein «Werk» nicht nur selbst als Schmähung charakterisiert, er gebraucht auch Stereotype, die türkenfeindlich sind. Natürlich kann er sich auf die Metaebene zurückziehen und behaupten, dies sei doch nur ein Beispiel für eine Schmähung und es sei gewiss nicht er selbst, der durch das Gedicht spricht. Nur, wer spricht dann?

Es ist hier wie mit jedem letztlich rassistischen Witz: Man kann ihn noch so oft ironisch brechen, es bleibt ein Nachhall, ein übler Beigeschmack. Der Rückzug auf die Metaebene mag ihm juristisch behilflich sein, politisch hilft er nicht.

«Beleidigung» ist in der Türkei eine gängige Waffe gegen Andersdenkende.

Die nächste Ebene der Beurteilung betrifft Erdogan selbst. Dieser Politiker ist seit Jahren ständig beleidigt. Zuletzt ist der «Cumhuriyet»-Chefredakteur Can Dündar wegen Beleidigung des Präsidenten zu einer Geldstrafe verurteilt worden. «Beleidigung» ist in der Türkei inzwischen eine gängige politische Waffe gegen Andersdenkende geworden. Insofern könnte man auch zu der Einschätzung kommen, dass das Gefühl des türkischen Präsidenten, beleidigt zu sein, eher sein Normalzustand ist. Ausserdem verletzt er ständig die Menschenrechte von Kurden und Journalisten.

Eine weitere Ebene hat mit der Bundeskanzlerin zu tun. Sie hat sich selbst unter Zugzwang gesetzt. §103 hat unter anderem die Funktion, die Stabilität diplomatischer Beziehungen rechtlich als schutzwürdiges Gut zu behandeln und gegen andere Güter abzuwägen. Indem sie selbst den Böhmermann-Beitrag als «bewusst verletzend» kennzeichnete, musste sie dem anschliessenden Begehren der Türkei, den Satiriker strafrechtlich zu verfolgen, stattgeben.

Ein bisschen Kunstfreiheit opfern

Andernfalls hätte sie das wahrscheinlich auch getan – um die Abwägung zwischen den einschlägigen Rechtsgütern der Stabilität diplomatischer Beziehungen und der Kunstfreiheit denen zu übergeben, die davon etwas verstehen. Gleichzeitig jedoch muss ihr dabei äusserst unwohl gewesen sein. Denn was sie vom §103 hält, zeigt ihre Ankündigung, diesen streichen zu wollen.

Die letzte und eigentliche Ebene betrifft die deutsch-türkischen Beziehungen. In einem noch neuen Abkommen zwischen der EU und der Türkei wird die Rücknahme von Flüchtlingen geregelt, die aus der Türkei illegal in die EU kommen. Merkel braucht den Deal, um den Zustrom weiterer Flüchtlinge nach Deutschland zu bremsen, also braucht sie Erdogan. Sie will einem Freund keinen Wunsch abschlagen und opfert dafür ein bisschen die Kunstfreiheit.

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