Grosser Rat gibt Lysbüchel fürs Wohnen frei

Gewerbeverband, SVP und FDP scheitern mit ihrer Opposition gegen eine Mischnutzung auf dem Lysbüchel-Areal. Der Grosse Rat stimmt dem Bebauungsplan «Volta Nord» mit 67 gegen 24 Stimmen deutlich zu.

Grossrätinnen und Grossräte wurden am Mittwochmorgen von Gewerblern in Empfang genommen.

Rund 15 Gewerbler versammeln sich am Mittwochmorgen mit Helm, Werkzeugkasten, Pinsel und Maleimer vor dem Rathaus. Bei strömendem Regen verteilen sie Flyer an die eintrudelnden Grossrätinnen und Grossräte. «Das Basler Gewerbe braucht das Lysbüchel-Areal» steht in roter Schrift auf den Flugblättern.

Etwas verloren steht Karl Mohler im weissen Arbeitsanzug und Perret im Eingangsbereich. Seit 22 Jahren betreibt er ein Maler- und Tapeziergeschäft auf dem Lysbüchel-Areal. «Das Areal ist ungeeignet fürs Wohnen. Wir brauchen den Platz, sonst ziehen immer mehr Gewerbebetriebe aufs Land», sagt er. Hoffnung, der Grosse Rat werde sich doch noch gegen das Projekt «Volta Nord» aussprechen, hat er keine mehr. «Ich setzte auf das Referendum», sagt er resigniert.

Knapp eine Stunde später ist im Parlament das Geschäft an der Reihe, das den Charakter eines Glaubenskriegs hat und seit Jahren für heftige Diskussionen sorgt. Die Regierung und die Landbesitzerin SBB wollen das Lysbüchel-Areal im nördlichen St. Johann unter dem Label «Volta Nord» in ein neues Stadtquartier umwandeln, mit Wohnungen und Platz für Gewerbe und Industrie.

Geplant ist Wohnraum für 1300 bis 1900 Menschen, die Zahl der Arbeitsplätze soll von heute 500 auf 2000 bis 3000 anwachsen. Dazu kommen ein Schulhaus (der Grosse Rat stimmt diesem Vorhaben am Mittwochmorgen ebenfalls klar zu), Räume für Kultur und Grünflächen.

FDP wird belächelt

Die Debatte im Parlament verläuft engagiert und geht wider Erwarten zügig voran. Die Meinungen sind gemacht, das Referendum des Gewerbeverbandes ist bereits angekündigt. Dieser Mittwoch ist auch nur eine weitere Station in der ewigen Diskussion.

Jeremy Stephenson (LDP) ist Präsident der vorberatenden Bau- und Raumplanungskommission, die sich im Vorfeld klar für das Projekt ausgesprochen hat. Immer wieder schiesst Stephenson scharf gegen den Gewerbeverband. «Es ist nicht so, dass die Firmen bei einer Rückweisung des Ratschlags bleiben können. Das ist ein Trugschluss. Sie müssen sowieso alle weg, weil ihre Verträge mit den SBB auslaufen.»

Das Argument des Gewerbeverbandes, die Mischnutzung führe zu einer «Piranha-Zone», sei demnach falsch. «In drei Jahren werden hier gar keine Fische mehr zu sehen sein», sagt Stephenson. Bei einer Rückweisung hingegen drohe eine jahrelange Brache, die niemandem etwas bringe. Es gehe auch nicht darum, dass dem Gewerbeverband 16 Fussballfelder zur Verfügung gestellt würden und dieser dann mal schauen könne.

Ein Vertreter des Gewerbeverbandes hört auf der Zuschauertribüne mit und verdreht die Augen.

Schlosser Bastus Josi, seine Sekretärin und Karl Mohler proben den Widerstand gegen das Projekt «Volta Nord».

Auch Roland Lindner von der SVP zeigt sich genervt über Stephensons Aussagen. Eine Zustimmung zum Regierungsvorschlag wäre unverantwortlich, sagt er. Gegen das Projekt wehrt sich an vordester Front auch Andreas Zappalà für die FDP: «Das Lysbüchel-Areal ist prädestiniert für das Gewerbe. Das Areal eignet sich schlecht für ein neues Wohnquartier, die Regierung sollte lieber bei anderen Transformationsarealen vorwärtsmachen, die nicht mehr von der Industrie beansprucht werden.»

Weitere FDPler schiessen gegen das Projekt: Die Grossräte seien SBB-hörig,  man müsse sich nicht wundern, wenn gewisse Teile des Gewerbes nicht mehr Bestandteil dieses Kantons seien, heisst es.

Für ihre Opposition gegen das Projekt wird die FDP belächelt. «Ihr seid doch immer für die freie Marktwirtschaft. Hier soll dies aber nicht gelten?», meint Tim Cuénod (SP). Oder David Wüest-Rudin (GLP): «Was der Grundeigentümer realisieren will, sollte doch Gewicht haben.»

Rückweisung abgelehnt

Hart ins Gericht mit FDP und Gewerbeverband geht auch Bau- und Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels (SP): «Ich hoffe, der Gewerbeverband geht in sich und schafft es, sich von seiner Ballenberg-Politik zu verabschieden.» Es sei verantwortungslos, wie der Gewerbeverband weiterhin den Trugschluss propagiere, wonach die Firmen bei einem Nein auf dem Areal bleiben könnten, obwohl die Verträge ohnehin auslaufen. «Der Gewerbeverband spielt sich auf und die FDP zeigt sich als Retterin des Basler Gewerbes. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Ihr verschliesst euch vor der Realität.»

Am Mittag lehnt der Grosse Rat den Rückweisungsantrag der SVP mit 65 gegen 29 Stimmen bei zwei Enthaltungen ab. Nach der Mittagspause werden mehrere Anträge der FDP bachab geschickt. Unter anderem ein Antrag, der den Mindestwohnanteil auf dem Lysbüchel-Areal reduzieren will. Um 15.27 Uhr stimmt der Grosse Rat schliesslich mit 67 gegen 24 Stimmen bei 5 Enthaltungen überdeutlich für den Bebauungsplan «Volta Nord».

Exakt 22 Minuten später folgt die Medienmitteilung des Gewerbeverbands: «Dass die Mehrheit des Parlaments diese Fehlplanung der SBB Immobilien und des Kantons Basel-Stadt unterstützt, ist enttäuschend», lässt sich Gewerbedirektor Gabriel Barell zitieren. Der Verband werde nun mit der FDP und der SVP das Referendum gegen den Beschluss ergreifen.

Das letzte Wort wird also das Stimmvolk haben. Erst dann ist in dieser Sache Endstation für den Gewerbeverband.

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