In der Schweiz buhlen immer mehr Kulturpreise – öffentliche und private – um mediale Aufmerksamkeit. Es droht die Gefahr einer Inflation.
Es ist Herbst, Kulturpreise haben Hochsaison. Allein in Basel werden im November innert einer Woche der Kulturpreis der Stadt, der Pop-Preis der Region und der Schweizer Buchpreis vergeben.
Seit Jahren ist hierzulande eine starke Zunahme an Preisen feststellbar. Nicht nur seitens der öffentlichen Hand. Private Preise gewinnen an Beliebtheit – und sei es auch nur bei den Initianten selber, die sich als Überbringer ins Scheinwerferlicht stellen können.
Haben Sie schon mal vom Baloise Session Award gehört? Gemäss Eigendefinition ein «schlichter aber bei Künstlern sehr begehrter Award», den die gleichnamige Konzertreihe vergibt. Ob Weltstars wie Elton John oder Eric Clapton, die in ihren langen Karrieren Hunderte Preise erhalten haben, auf diese Auszeichnung gewartet haben? Oder möchten sich damit nicht eher die Festivalmacher preisen, auf dass vom Glanz der Stars etwas auf sie selber zurückfalle?
Bizarre Entwicklung
Die Preisüberflutung, sie nimmt mitunter bizarre Züge an, wie sich auch am Beispiel des Filmfestivals in Locarno feststellen lässt. Da werden Preise geschaffen, um ein Produkt zu bewerben, da werden auf der Piazza Grande Awards überreicht, um Sponsoren – etwa einer Luxusuhrenmarke – eine Plattform zu geben und diese bei Laune zu halten.
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Eine fragwürdige Entwicklung, an der auch die Medien eine Mitschuld tragen. Denn Preise stehen oft für Glamour, für einen Event, an ihnen lässt sich ein Aufhänger für eine Berichterstattung festmachen, ein Promi abbilden – was zur Multiplikation des Interesses führt und die Zunahme an Kulturpreisen mitverursacht hat.
Haben wir einen Preis, haben wir Aufmerksamkeit, scheinen sich PR-Leute zu sagen. So war es früher ja auch. Heute aber herrscht eine Inflation: Wer soll schon über all die Preise berichten, wenn diese wie Pilze aus dem Boden schiessen?
Der Bund mischt mit
Auf nationaler Ebene redet auch die Eidgenossenschaft stärker mit, wenn es um Kulturpreise geht. Preise für Kunst und Design sind seit einem Jahrhundert fest verankert. Seit 2012 das neue Kulturfördergesetz in Kraft getreten ist, zeichnet das Bundesamt für Kultur (BAK) auch Kulturschaffende in den Sparten Literatur, Tanz, Theater und Musik aus.
Das führt etwa dazu, dass der etablierte Schweizer Buchpreis, der vom Buchhändler- und Verleger-Verband sowie LiteraturBasel ausgerichtet wird, aus finanzieller Sicht auf einmal bescheiden wirkt: 40’000 Franken stehen zur Verfügung, demgegenüber klotzt der Bund, der heuer sieben Literaten mit jeweils 25’000 Franken ausgezeichnet hat. Und daneben auch noch drei Schriftsteller für ihr Lebenswerk mit einem Grand Prix Literatur à je 40’000 Franken würdigte. Warum braucht es denn diese Bundespreise?
Für die kulturelle Vielfalt der Schweiz
«Der Schweizer Buchpreis ist ein Deutschschweizer Preis. Unsere Literaturpreise hingegen verfolgen das Ziel, das gesamte Schweizer Literaturschaffen national bekannt zu machen», sagt BAK-Direktorin Isabelle Chassot. «In der Schweiz wissen wir teilweise zu wenig, was unsere Kulturschaffenden in den anderen Sprachregionen leisten.»
Wir verstehen, es geht um Föderalismus. Die Kulturförderung des Bundes ist seit jeher in der Hand der welschen Schweiz – aktuell von Bundesrat Alain Berset und BAK-Direktorin Isabelle Chassot. So können die Romands, die sich politisch oft vernachlässigt fühlen, ein wenig kompensieren, woran es ihnen innenpolitisch fehlt: an grösserer Aufmerksamkeit.
Wenn Bundesrat Berset also Schweizer Musiker würdigt, dann ist das ein Novum, für den Freizeitpianisten sicher eine Herzensangelegenheit. Damit erhöht er auch den Wirkungsgrad seiner Kulturabteilung.
Das Problem ist nur, dass diese öffentliche Wahrnehmung noch gering scheint. Die Resonanz auf die neuen Bundespreise hielt sich gemessen an den hohen Summen in Grenzen: Oder hätten Sie gewusst, dass Philippe Jaccottet und Paul Nizon einen Grand Prix Literatur in Höhe von 40’000 Franken gewonnen haben? Ja, haben Sie überhaupt schon mal von diesen Autoren gehört – oder von diesem Preis?
Die Bewerbung kann noch verbessert werden
Auch BAK-Direktorin Chassot scheint sich bewusst zu sein, dass die Bundespreise noch nicht ganz angekommen sind in der breiten Öffentlichkeit. Sie spricht denn auch davon, dass die Promotionsmassnahmen für die Kulturschaffenden weiterentwickelt werden sollen, dass es noch Verbesserungspotenzial gebe.
Allerdings stellt sich die Frage, ob sich die Preise nicht selber neutralisieren. Allein in der Musik wurden vom Bund 15 Musikschaffende nominiert, alle erhielten dafür die stolze Summe von 25’000 Franken. 15 Musikschaffende? Man wollte offenbar keine Sparte und vor allem auch keine Sprachregion auslassen, ehrte Corin Curschellas (und damit die rätoromanische Schweiz) wie auch Franco Cesarini (aus dem Tessin) oder das Basler Ensemble Phoenix.
Droht die Gefahr der Überförderung?
Die Frage ist, ob dieses Giesskannenprinzip des Bundes nicht für einen erzwungenen Föderalismus steht, der wiederum die Prägnanz der Preise schwächt? Droht vor lauter political correctness nicht die Gefahr, dass mittelfristig auch Mittelmass gekürt wird? Wer hat noch nicht, wer ginge noch? «Wir haben das kreative Schaffen mit Sicherheit noch nicht ausgeleuchtet», entgegnet Chassot. «Die Kulturlandschaft in der Schweiz ist umfassend und vielseitig, die Mehrsprachigkeit hinsichtlich der kulturellen Vielfalt eine willkommene Herausforderung.»
Man spürt es an der Wortwahl: Es ist auch eine papierene Angelegenheit, die sich der Bund hier vorgenommen hat.
Kein Wunder, dass diese neue Preispolitik auch bei den Kantonen für Diskussionen sorgt, wie Philippe Bischof, Leiter der Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt, bestätigt (siehe Interview). Er sieht in der Bundesstrategie eine Vervielfachung von Preisen und eine Aufsplittung ihrer Bedeutung. Weniger wäre wohl mehr.
Wie Preise motivieren können
Die künstlerische Spitze, sie darf sich freuen. Denn die Zunahme an Preisen der öffentlichen Hand – von Stiftungen und privat initiierten Werkjahren reden wir hier gar nicht erst – kann dazu führen, dass jemand auf kommunaler, kantonaler und Bundesebene ausgezeichnet wird. Was für Kulturschaffende durchaus vorteilhaft sein kann.
Das Depot Basel etwa, ein junger «Ort für kontemporäre Gestaltung», gäbe es wohl nicht mehr ohne die Preise, die man in den letzten zwei Jahren entgegennehmen durfte, wie Moritz Walther und Elias Schäfer freimütig zugeben. Nicht wegen der Preisgelder, wohlgemerkt, sondern wegen der Anerkennung, die ihnen durch den Basler Kulturförderpreis oder den Eidgenössischen Designpreis zuteil wurde.