Jacqueline Badran: «Die Politik behandelt den Boden wie Joghurt»

Die SP-Nationalrätin erklärt, warum der Staat möglichst viel Boden kaufen und gemeinnützig freigeben sollte.

SP-Nationalrätin Jacqueline Badran gehört der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie an.

Jacqueline Badran hat schon als junge Zürcher Gemeinderätin Erfahrungen mit Bauprojekten der SBB gemacht. In ihrem Schwerpunktthema Boden- und Wohnpolitik ist sie eine der profiliertesten Stimmen des Landes.

Wir trafen sie anlässlich eines Gesprächs über Wohnpolitik, zu dem die SP Basel eingeladen hatte.

Frau Badran, Sie sind in Basel, um einen Vortrag über Wohn- und Bodenpolitik zu halten. Auch hier verschärft sich seit einigen Jahren ein Problem, das Zürich schon länger kennt: Die Leerstandsquote liegt praktisch bei null, Mieten steigen, Mieter werden per Luxussanierungen vertrieben, Normalverdienende können sich kaum mehr Wohneigentum leisten…

Ja. Ein Phänomen in der ganzen Schweiz. Die Mieten sind in der Schweiz mittlerweile 40 Prozent zu hoch. Das sage nicht ich, das sagt die Raiffeisen-Bank in ihrer Studie vom letzten März.

Wie kann das sein?

Weil das Mietrecht nicht greift. Das sieht ja eine «Kostenmiete Plus» vor: Ein Besitzer darf keine überhöhte Rendite machen. Diese darf ein halbes Prozent des Referenzzinssatzes nicht überschreiten. De facto haben wir in der Schweiz also einen illegalen Zustand. Alle heischen zu viel. Jedes Inserat in der Zeitung, das mit «sechs Prozent Nettorendite» wirbt, ist illegal.

Warum geschieht da nichts?

Weil man das Vergehen aktiv einklagen muss – sprich, der Mieter muss seinen Vermieter einklagen und die ganze Beweislast liegt bei der Mietpartei. Praktisch unmöglich: Man müsste ja alle Dokumente des Besitzers haben. Die Durchsetzbarkeit ist also nicht gegeben. Das war früher besser.

Inwiefern?

Man hat sich daran gehalten – und das nicht zufällig. Bis in die späten 70er-Jahre gab es die Mietpreiskontrolle. Es wurde auch von Amtes wegen kontrolliert, dass keine überhöhte Rendite erzielt wird. Auch Bürgerliche – etwa die CVP – hatten sich immer für die Mietpreiskontrollen starkgemacht.

Was waren die Argumente?

Simple Ökonomie: Wenn die Leute zu viel Miete bezahlen müssen, kommen die Schweizer Unternehmen unter Lohndruck – und damit wird ihre Wettbewerbsfähigkeit im Export-Business bedroht. Das gilt es zu verhindern. Zudem sah man ein, dass mit hohen Mieten Kaufkraft vernichtet wird, der grosse Treiber des Wirtschaftswachstums. Eigentlich muss man sagen: Die Politik hat damals mehr von Ökonomie verstanden als heute.

«Mit der Unternehmenssteuerreform I kam die Wende. Seither wird das Kapital immer mehr entlastet.»

Es waren die besseren Volkswirtschaftler?

Um Welten besser! Und das, obwohl heute alles ökonomisiert ist.

Was hat sich verändert?

Es lässt sich teilweise mit der 2. Säule erklären: Die Pensionskassen begannen, nebst in Aktien und Obligationen auch in Immobilien zu investieren. Der Anlagedruck stieg. Aber mit diesem Argument muss man aufpassen: Im Portfolio der PKs sind vielleicht 20 Prozent Immobilien, das erklärt längst nicht alles. Vielmehr hat es mit der Kapitalverwertungslogik zu tun, die sich ab den 1980er-Jahren über alles gestülpt hat – Reaganismus, Thatcherismus, weniger Staat, das ganze Blabla. Bei uns kann man den wirtschaftspolitischen Bruch ja ganz genau datieren.

Auf welches Datum denn?

1998. Es war die Zeit der ersten grossen Privatisierungen und Teilprivatisierungen – und am 1. Januar 1998 trat die Unternehmenssteuer I in Kraft. Bis da hatten wir generell eine sehr nachfrageorientierte Wirtschaftsform, die zum Aufstieg der Mittelschicht führte. Produktivitätsgewinne wurden an die Angestellten weitergegeben und flossen nicht wie heute ans Kapital – die Eigentümer. Die Änderungen im Schweizer Wirtschafts- und Steuersystem sollten weitreichende Folgen haben.

Welche?

In der Schweiz waren Konsum und Arbeit traditionell sehr tief besteuert. Dafür war das Kapital hoch besteuert. Mit der Unternehmenssteuerreform I kam die Wende. Seither wird das Kapital immer mehr entlastet, Konsum und Arbeit werden belastet. Man muss sich das mal vorstellen. Sämtliche Schweizer Errungenschaften – Eisenbahn, Wasser, Verkehr, Strom, Schulen, Gesundheit, Post, die SRG und so weiter – wurden gemeinschaftlich finanziert und errichtet. Die wichtigsten Güterklassen waren also der Kapitalverwertungslogik bis weit in die 80er-Jahre entzogen – die Schweiz hatte den Kapitalismus schon überwunden. (lacht) Wunderbar! Und dann hat man das wieder aufgeweicht. Und macht immer weiter. Dieses Mainstream-Denken ist meines Erachtens brandgefährlich und unschweizerisch.

Aber wir haben doch direkte Demokratie. Trotzdem scheint es schwer, den Immobilienmarkt zugunsten der Bevölkerung zu regulieren, wenn die Mieten ja offenbar 40 Prozent zu hoch –

Moment. Das ist ja gar kein Markt.

Wie, kein Markt?

Das ist ja das Problem. Kaum ein Politiker hat mehr eine Ahnung von fundamentaler Bodenökonomie – ein eigenes Fachgebiet – und weiss, was das wirtschafts-, demokratie- und sozialpolitisch überhaupt bedeutet. «Das regelt der Markt», jaja. Was soll das denn für ein Markt sein? Wenn die Leute mehr Joghurt essen, was machen die Produzenten? Mehr Joghurt. Und wenn die Nachfrage nach Joghurt wieder sinkt, dann produzieren sie weniger. Das ist Markt. Aber Boden? Sie können dieses Gut ja nicht vermehren. Das Problem ist, dass die Politik den Boden heute wie Joghurt behandelt.

Wie sollte sie ihn denn behandeln?

Boden- und Wohnpolitik ist reine Wirtschaftspolitik, nichts anderes. Es handelt sich um eine spezielle Güterklasse. Man kann ja nicht nicht wohnen, nicht keinen Boden beanspruchen. Das nennt man in der Ökonomie «Zwangskonsum». Eine existenzielle Güterklasse, wie Wasser und Luft. Und wie gesagt: Die gesetzlichen Grundlagen dafür, dass auf diesem leistungsfreien Gut kein übermässiger Profit gemacht werden darf, die sind im Mietrecht ja vorhanden. Sie werden nur nicht durchgesetzt.

«Hören Sie mir überhaupt zu? Boden ist ein leistungsfreies Gut.»

Weil es eben doch ein lukrativer Markt ist für die Wirtschaft?

Hören Sie mir überhaupt zu? Was soll denn Boden für ein Wirtschaftszweig sein? Boden ist ein leistungsfreies Gut. Sind wir denn nun eine Leistungsgesellschaft oder nicht? Man kann doch nicht ohne Leistung einfach Gewinn einfahren und dann von «Wirtschaft» und «Markt» sprechen. Es wird ja gar nichts produziert! Schon interessant: Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks haben die neoliberalen Ökonomen gesagt: Alles sofort privatisieren, alles liberalisieren – ausser Wasser und Boden. Den Boden aber nur in langfristiger Pacht herausgeben. Boden generiert eine leistungsfreie Bodenrente. Wer den Boden kontrolliert, kontrolliert alles. Das wussten schon die Feudalherren, die ihren «Zehnten» kassierten. Man kann es drehen und wenden, wie man will, zuletzt zählt beim Boden nur die Frage: Wem gehört er? Es gibt zwei Formen von Eigentumsverhältnissen, die meiner Meinung nach legitim sind.

Welche?

Das selbstbewohnte Eigentum: Dann hast du immerhin die Bodenrente sistiert für eine Weile. Oder eben die gemeinnützige Nutzung des Bodens, sprich, ein Verband von Menschen, der sich freiwillig an die Kostenmiete hält. Deshalb ist Bodenpolitik in ihrem Kern Finanz- und Steuerpolitik. Und immer auch Gesellschaftspolitik. Weil eben alle Boden brauchen. Deshalb muss der Staat wo immer möglich Boden erwerben und ihn gemeinnützig freigeben.

Das bringt eine Verbesserung?

Sie glauben gar nicht, um wie viel Volksvermögen es hier geht. Ein Gedankenexperiment: Angenommen, der Staat würde den ganzen Schweizer Boden und sämtliche Immobilien darauf erwerben. Wissen Sie, wie viel das alles Wert ist?

Keine Ahnung. Wie viel?

4 Billionen Franken. Das sind 4000 Milliarden. Die gesamte Schweizer Maschinenindustrie ist vielleicht 600 Milliarden Franken wert. Das zeigt doch, wovon wir hier eigentlich reden. Nicht von Kleingemüse.

Klingt eher nach dem Hauptgang.

Es ist das grösste Business der Schweiz, mit Abstand. Würde der Staat, also wir alle, alles besitzen und den Nutzern zu zwei Prozent Nutzungsgebühr überlassen, dann könnte die Schweiz sämtliche Steuern abschaffen. Und man hätte immer noch mehr Einnahmen als heute. Wenn der Staat der Grundbesitzer ist, kann er sich zu 100 Prozent darüber finanzieren.

https://tageswoche.ch/form/kommentar/unser-land/

Es ist ja nicht immer ganz einfach für den Staat, Boden zu erwerben – gerade weil er so teuer ist. Auch im Basler SP-Positionspapier steht die Formulierung, die Stadt soll möglichst viel Boden kaufen, «unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnismässigkeit». Weil man gegen Private halt doch oft den Kürzeren zieht…

Dieses Argument zählt nicht. Der Staat muss immer zuschlagen. Sonst ist das eine Veruntreuung von Volksvermögen.

Ach ja?

Boden rechnet sich mittelfristig immer. Immer! Das Syngenta-Areal hat Basel ja auch erst verpasst, später kaufte man es zum doppelten Preis zurück. Winterthur hätte das Sulzer-Areal damals für 80 Millionen Franken kaufen können – und tat es nicht! Heute ist das Areal 400 Millionen wert. Die private Immo-Firma, die das besitzt, lacht sich doch ins Fäustchen! Wenn der Staat nicht kauft, dann ist das Veruntreuung von Steuergeldern. Das Argument, der Staat dürfe ja nicht zugreifen, ist übrigens genauso alt wie falsch. In den Zürcher Ratsprotokollen kann man nachlesen, dass die FDP schon in den 1950er-Jahren ein Problem damit hatte, als die Stadt im Kreis 5 für 200 Franken den Quadratmeter Land kaufte. «Viel zu teuer!», hiess es. Heute ist das Land 5000 Franken Wert. Es ist wirklich egal, wie viel man für Boden bezahlt. In Opportunitäten gerechnet, rentiert es mittelfristig besser als jede alternative Anlage wie zum beispiel Aktien. Und zwar für alle.

«Die SBB sind ja einerseits Volksvermögen, andererseits haben sie eine Renditevorgabe vom Bund.»

Die Immobilien-Lobby dürfte das anders sehen, und gegen die hat man wohl keinen leichten Stand.

Im Gegenteil. Man kann noch viel mutiger auftreten. «Boden behalten, Basel gestalten», eure Bodeninitiative, erreichte einen Ja-Anteil von 67 Prozent. Meine 33-Prozent-Initiative in Zürich, also die Erhöhung des Genossenschaftsanteils von 25 auf 33 Prozent: 76 Prozent Ja-Anteil. Wir haben in der Stadt Zürich ein rot-grünes Potenzial von 49 Prozent. Woher kommen denn die restlichen 27 Prozent? Gemeinnützige Bodenpolitik ist in der Schweiz absolut mehrheitsfähig! Egal ob in Biel, in Emmen – SVP-Land par excellence – oder in Luzern: Jede Vorlage kommt durch, wenn es ums Wohnen geht.

Weshalb ist das so?

Einmal abgesehen von der historischen Entwicklung – die Genossenschaft ist ja eine urschweizerische Tradition – ist die Sensibilität der Leute derzeit sehr hoch. Nur noch zehn Prozent der Bevölkerung kann sich potenziell Wohneigentum leisten. Diese Zahl lag noch vor wenigen Jahren bei 40 Prozent.

Und bei vielen macht die Miete längst mehr als den empfohlenen Drittel des Budgets aus…

Und das macht sich dann gesellschaftspolitisch bemerkbar. Diejenigen, die Kinder haben, merken das: Plötzlich müssen beide voll arbeiten, nur, um die Miete bezahlen zu können. Das sind Eingriffe in die Freiheit der Lebensgestaltung der Leute – der Leidensdruck nimmt zu. Wer nicht persönlich betroffen ist, hört es aus seinem Verwandten- oder Bekanntenkreis: «Meine Tochter / meine Cousine / der Kollege, die oder der hat erzählt von dem Verkauf, der Luxus-Sanierung, dieser Verteuerung», das hört gar nicht mehr auf. Bei der Seelsorge in meinem Quartier sagen die Pfarrer: Die grösste Angst der älteren Bewohner ist der Verlust der Wohnung. Man muss sich das mal vorstellen: Man lebt sein ganzes Leben im gleichen Quartier, war im Verein, hat immer brav die Steuern bezahlt – und dann verjagt man dich. Zieh Leine, du rentierst nicht mehr. Und dann landet man in einer Gemeinde, wo man keinen kennt. Heimatverlust.

Wenn der Boden vom Staat gemeinnützig, sprich, für Genossenschaften im Baurecht frei gegeben wird: rechnet sich das wirklich?

Wo, glauben Sie, gibt es den grössten Steuerertrag pro Quadratmeter? Im Villenquartier? Falsch. Bei den Genossenschaften. Das gilt für Zürich, für Luzern und für Basel. Alle, die gegen Genossenschaften argumentieren, weil man ja «die guten Steuerzahler» will, lesen zu viel Unsinn statt ökonomische Tatsachen. Eine Genossenschaft ist ja ein Prinzip, das hat nichts mit Armengenössigkeit zu tun! Vor allem aber spült es Jahr für Jahr Baurechtszinsen in die Gemeindekassen und das Volksvermögen steigt stetig an.

Was macht man denn, wenn ein Areal – wie jetzt das Lysbüchel-Areal – zu zwei Dritteln nicht der Stadt, sondern, in diesem Fall, den SBB gehört?

Die SBB sind ja einerseits Volksvermögen, andererseits haben sie eine Renditevorgabe vom Bund. Deshalb muss man als Stadt gut schauen, dass die SBB nur einen Teil der Wohnfläche renditeorientiert nutzen und einen Teil für gemeinnütziges Wohnen abgeben.

Das hat aber in Zürich bei der Europaallee nicht geklappt.

Bei der Europaallee haben wir es total vergeigt. Ich war damals frisch im Gemeinderat, hatte noch nicht viel verstanden. Die Fraktion war sehr stolz: Wow, wir haben 30 Prozent Wohnanteil rausgeholt! Statt 20! Und einen etwas breiteren Strassenraum und etwas mehr Freiflächen für die Bevölkerung! Und was hat es der Bevölkerung gebracht? Nichts. Zum «Wohnanteil» durften die SBB, weil niemand das ausgeschlossen hatte, auch das Hotel rechnen. Und die wenigen Wohnungen sind unbezahlbare Luxus-Dinger.

Da will man in Basel besser aufpassen (siehe Lauftext, d.Red.). Laut dem Basler SP-Papier soll Basel-Stadt neu Genossenschaftsanteile erwerben, um für ein günstigeres Mietzinsniveau zu sorgen, weil gerade Familien und finanziell Schwache –

Das ist eine schlechte Idee.

Warum? Finanziell schlechter gestellte Menschen haben doch oft keine Chance auf eine Genossenschaftswohnung.

Wohnpolitik ist Wirtschaftspolitik. Nicht Sozialpolitik. Mich stört es, wenn Wohnpolitik immer gleich in die sozialpolitische Ecke gerät. Die richtige, nämlich die gemeinnützige Wohnpolitik, hat einfach einen erwünschten sozialpolitischen Nebeneffekt. Genossenschaften sind private Veranstaltungen, das macht sie ja aus. Sie müssen durchmischt sein, für alle zugänglich, nicht nur für «die mit dem kleinen Portemonnaie».

Was macht Genossenschaftswohnungen denn besser als, sagen wir, die Wohnungen einer Pensionskasse?

Wenn eine Genossenschaft eine 3-Zimmer-Wohnung für 2500 Franken baut, würde eine PK an derselben Lage eine für 3000 Franken hinstellen. Bei der PK würde die selbe Wohnung 20 Jahre später 5000 Franken kosten. Die Genossenschaftswohnung kostet dann noch immer 2500 Franken. Alles ist besser als renditeorientiert. Klar, was man machen kann, sind Auflagen, um das Soziale aufzufangen. Aber da muss man aufpassen und darf nicht übertreiben.

Jacqueline Badran (*1961) führt als Mitinhaberin die Zeix AG, eine Agentur für digitale Dienstleistungen. Sie hat Abschlüsse in Biologie und Ökonomie/Staatswissenschaften sowie das Skilehrerpatent. Seit 2011 sitzt sie für die SP im Nationalrat, wo sie der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie angehört. In ihrem Schwerpunktthema Boden- und Wohnpolitik ist sie eine der profiliertesten Stimmen des Landes.

Wie meinen Sie das?

Wenn man sagt: Fünf bis zehn Prozent der Genossenschaftswohnungen werden subventioniert, damit man vergünstigte Mieten anbieten kann, dann mag das ja noch gehen. Aber höhere Anteile, wie das in Zürich etwa die Alternative Liste fordert, sind einfach nicht gut. Die Schweiz ist durchmischt, man will ja weder ein Armen- noch ein Reichen-Ghetto. Mit zu hohen Subventionsanteilen hat man den hohen Ausländeranteil und das Prekariat ja schon programmiert. Das muss man besser verteilen.

Basel kennt keine Subventionen für Wohnungen, so wie Zürich. Neu will die Basler SP auch in Basel die Objekthilfe wieder einführen.

Wie genau?

Eben durch Subventionierung von Genossenschaftsanteilen – und die Erstellung von preisgünstigem Wohnraum durch Immobilien Basel-Stadt.

Ui. Grundsätzlich ist der Wechsel auf Objekthilfe ja zu begrüssen. Aber dann muss man die Subjekthilfe KOMPLETT streichen. Und es ganz anders machen, als hier vorgeschlagen.

Warum soll man die Subjekthilfe streichen?

Wer profitiert denn von der Leistung, wenn der Staat einen Beitrag an das Wohnen bezahlt? Richtig: Der Empfänger liefert alles ab an den Immobilienbesitzer. Subjekthilfe, das ist faktisch die Subventionierung der Immobilienbranche. Wenn man stattdessen mit dem Geld Immobilien kaufen würde – die Stadt profitiert bei der Bank von grossartigen Konditionen und erhält etwa 90 Prozent Kredit –, dann könnte man für den zehnfachen Betrag Immobilien kaufen und die Unterstützungsbedürftigen gratis wohnen lassen, während sie über die ordentlichen Mieten quersubventioniert würden. Das käme günstiger.

«Die Immobilienbranche ist die bestsubventionierte Branche überhaupt. Da sind die Bauern nichts dagegen.»

Und warum soll die Stadt Basel keine günstigen Wohnungen bauen?

Ich bin grundsätzlich gegen staatlichen Wohnungsbau. Genossenschaften sind viel besser. Mit staatlichen Wohnungen kommt sofort das Zuteilungsproblem. Wer soll sie bekommen? Man entfernt sich von der Gemeinnützigkeit als Prinzip. Denn niemand – auch nicht der obere Mittelstand – darf gezwungen werden, irgendjemandem Gewinne abzuliefern für ein Gut, das man zwangskonsumieren muss. Das ist ja der eigentliche Punkt. Wenn die Stadt selber baut, wird sie zum Spielball der Politik. Was ist in 40 Jahren? Mit anderen Mehrheiten? Die stillen Reserven können sehr verlockend sein, um rasch eine Bilanz zu sanieren. Mit der Abgabe des Baurechts in die Gemeinnützigkeit ist der Boden für alle Zeiten gesichert. Abgesehen davon sind Genossenschaften privat. Die können selber schauen, sie haben ihre eigenen Reglemente und Massnahmen. Auch das ist wichtig.

Was soll man denn Ihrer Meinung nach tun, damit Wohnen möglichst erschwinglich wird – auch für Bedürftige?

Die Stadt Basel kann für Sozialfälle einzelne Liegenschaften aus dem Bestand kaufen, das geht. Aber Finger weg von grossen Liegenschaften und Bauprojekten. Dafür möglichst viel Boden dem Volksvermögen zuführen und für genossenschaftliches Wohnen im Baurecht freigeben. In Zürich verbilligt der Kanton Wohnungen, indem er bei Wohngenossenschaften gezielt Wohnungen verbilligt. Genossenschaften hatten einen Anteil von rund 5 bis 10 Prozent an solchen Wohnungen. Hätte die Stadt nicht seit Jahrzehnten Land gekauft und an Genossenschaften abgegeben, wären wir längst Monaco am See. Wir sind nach Wien auf dem zweiten Platz, was den Anteil von gemeinnützigem Wohnraum in Europa betrifft, und teilen uns das Spitzenranking bei der Standortqualität. Das ist kein Zufall. Aber man muss dann schon komplett auf die Subjekthilfe verzichten.

Das Basler SP-Papier verlangt ausdrücklich mehr gemeinnützigen Wohnungsbau. So soll vom geplanten Wohnraum für 30’000 Menschen bis 2035 auf den Arealen «die Hälfte der Wohnflächen dem gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden».

Auf welchem Land?

Auf Land, das die Stadt erwirbt: Angestrebt wird möglichst viel Grundbesitz durch den Kanton, da so Areale «der Spekulation entzogen und nachhaltig entwickelt» werden könnten.

Nur die Hälfte für gemeinnützigen Wohnungsbau auf städtischem Boden? Ganz schlecht. Auf dem eigenen Areal immer 100 Prozent gemeinnützig, alles andere geht nicht. Man kann doch keine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf demselben Areal schaffen, ausser man muss, weil einem nicht das ganze Areal gehört. Aber sonst kriegt man nur Probleme: «Warum hat der jetzt die gleich grosse Wohnung, zahlt aber 1000 Franken weniger als ich?» Das ist einfach nicht in Ordnung. In Zürich gilt seit Jahrzehnten: 100 Prozent gemeinnützig.

Finden Sie denn irgendetwas gut am Basler SP-Wohnpapier?

Aber klar!

Was denn konkret?

Fragen Sie mich konkret, das Papier ist ja 17 Seiten lang, da steht viel Gutes drin.

Der Kanton soll ein Vorverkaufsrecht erhalten für Grundstücke, die frei werden.

Das ist krass – aber richtig gut.

Wenn ein privater Investor zum Zug kommt, muss er sich an den Infrastrukturkosten beteiligen.

Das ist sehr gut. Private Bautätigkeit löst immer steuerfinanzierte Infrastrukturkosten aus, die schnell dreistellige Millionenhöhe erreichen können. Das macht übrigens die Immobilienbranche zur bestsubventionierten Branche überhaupt. Da sind die Bauern nichts dagegen.

In Basel soll auch wieder die Formularpflicht eingeführt werden. Damit Mieter den Anfangsmietzins überprüfen können wie früher. Und es soll wieder eine Kontrollstelle geben, damit Wohnungssanierungen nicht zu überteuerten Preisen führen: Nur die tatsächlichen Sanierungsleistungen dürfen auf die Altmiete geschlagen werden.

Grossartig. Da bin ich voll dafür. Diese Kontrolle braucht es, sonst funktioniert es nicht. Es ist schon elend: Heute müssen wir mühsam per Volksabstimmungen in den einzelnen Kantonen wieder einführen, was wir in den 1970er-Jahren schweizweit längst hatten.

https://tageswoche.ch/stadtleben/das-seilziehen-um-bodengewinn-zwischen-basel-stadt-und-sbb/

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