In Basel überschlagen sich politische Vorstösse zur Schaffung von Wohnraum. Dabei beherrscht vor allem ein Schlagwort die öffentliche Debatte: Wohnungsnot. Doch nicht alles, was Linderung verheisst, ist wirksam.
Es ist die Angst jedes Mieters, jeder Mieterin: keine Wohnung zu finden, die preislich und qualitativ den eigenen Wünschen oder, noch schlimmer, den eigenen Möglichkeiten entspricht. Schliesslich geht es um den existenziellen Anspruch auf ein Dach über dem Kopf, bezahlbar, bewohnbar, kurz – ein eigenes Zuhause.
Die Angst davor, plötzlich auf der Strasse zu stehen, sitzt Menschen, die zur Miete wohnen, wie ein diffuses Monster im Nacken. Manchmal leckt es dem Mieter nur am Ohr, um zu zeigen, dass es noch da ist: etwa nach der erfolglosen Suche auf einem Wohnungsportal.
Manchmal springt es kurz vor den Bildschirm, wenn der Blick über die Mietpreise schweift. Und ab und zu verzieht es sich zurück in seine Höhle – wenn der Mieter tatsächlich seine Perle findet: das schöne, neue Heim.
Auch im Baselbiet ists nicht besser
Das Monster hat es sich in Basel bequem gemacht, in einer Stadt, in der rund 85 Prozent der Bevölkerung in einem Mietverhältnis sind. Im engen Raum der Stadt wollen Studierende ebenso unterkommen wie Expats, Migrantinnen und Migranten, Ausgesteuerte und die klassische Mittelstandsfamilie.
Tatsächlich beträgt die offizielle Leerstandsquote in Basel derzeit 0,2 Prozent. Das heisst, dass im Kanton per Stichtag am 1. Juni 2014 gerade noch 245 Wohnungen leer standen. Bei einer Einwohnerzahl von 196’471 ist das viel zu wenig.
Inzwischen hat das Monster auch einen Namen erhalten: Das Bundesgericht taufte es «Wohnungsnot». Liegt die Leerstandsquote unter 0,5 Prozent ist dieser Begriff nach höchstrichterlicher Auffassung angebracht. Es ist kein Trost, aber gut zu wissen: den Baselbietern geht es auch nicht besser, dort liegt die Quote bei 0,3 Prozent.
Das Thema beschäftigt schon seit Längerem die hiesige Politik. Wer will schon sogenannte «Zürcher Zustände»: Menschenmengen, die sich beim Besichtigungstermin für eine kleine, aber horrend teure Zweizimmerwohnung bis weit ins Treppenhaus stauen. Der pure Horror für alle mit einigermassen landesüblichen Vorstellungen von Wartezeit, Verfügbarkeit und Entgegenkommen.
Kritik an der Erhebung der Leerstandsquote
Die Leerstandsquote wird regelmässig in aufwendiger Zählung vom Kanton auf den Stichtag hin erhoben. Die Zählung umfasst alle zur Miete oder zum Kauf angebotenen Wohnungen, die am 1. Juni eines Jahres leer stehen. Das ist die eine Methode, um die Zahl leerer Wohnungen zu erfassen.
Wie die Basler Regierung in einer Antwort auf eine Interpellation von FDP-Grossrat Andreas Zappalà schreibt, gibt es allerdings noch eine weitere Methode. Dabei kann der Kanton mittels Einwohnerregister und Gebäude- sowie Wohnungsregister nicht belegte Wohnungen ermitteln. Diese Ermittlung via Register ergibt eine andere Zahl, wie die Regierung erklärt:
«Eine Analyse der gemäss Registerauswertung per 31. Dezember 2013 nicht belegten Wohnungen hat ergeben, dass verschiedenste Gründe dazu führen können, dass eine Wohnung nicht belegt ist. Die Gründe konnten in acht Kategorien unterteilt werden, eine davon ist die Kategorie Leerwohnungen. Eine Schätzung des Statistischen Amts geht für 31. Dezember 2013 von ca. 1000 Wohnungen aus, die, angeboten (entsprechend der Leerwohnungszählung) oder nicht angeboten (durch keine direkte Erhebung erfasst), leergestanden sind.» (Hervorhebung durch die Redaktion).
Zappalà, der auch Geschäftsführer des Basler Hauseigentümerverbands (HEV) ist, zweifelt deshalb die Korrektheit der angegebenen Leerstandsquote an und will auch nicht von «Wohnungsnot» sprechen. Dennoch: «Ich bestreite nicht, dass die Zahl der Leerwohnungen rückläufig ist», sagt er. Dem HEV sei sehr wohl bewusst, dass der Wohnungsbau in Basel abnahm, die Zuwanderung dafür stetig anstieg – was zur heutigen Situation führte.
Also doch ein Monster, wenn man es auch nicht «Wohnungsnot» nennen mag. Tatsache bleibt: In Basel gibt es zu wenig Wohnungen, gemessen an den vielen Leuten, die eine suchen.
«Wohnen für alle» fördert Wohngenossenschaften, hilft kurzfristig nicht weiter.
Dem will die Politik Abhilfe schaffen. Aktuell kämpfen SP und Juso für ihre Initiative «Wohnen für alle», die am 8. März zur Abstimmung kommen soll. Die Initiative fordert eine staatliche Stiftung, die gemeinnützigen Wohnungsbau betreibt und damit «bezahlbare Mieten anbietet». Die Initianten aus dem linken Lager rechnen damit, mittel- bis langfristig mehrere Hundert Wohneinheiten in der Stadt anbieten zu können.
Das Gegnerkomitee der Bürgerlichen – dem auch Zappalà angehört – wehrt sich dagegen: Es sei nicht Sache des Staates, gemeinnützige oder genossenschaftlich organisierte Wohnungen anzubieten oder zu bauen. Viel lieber möchten die Bürgerlichen steuerliche Anreize schaffen, damit Hauseigentümer freiwillig günstige Wohnungen anbieten.
So versuchen die Parteien und Politiker mit Vorstoss um Vorstoss, die Wohnungsnot zu bekämpfen. Es zogen aus auf Monsterjagd:
- die Regierung, die unter anderem mit der Zonenplanrevision das verdichtete Bauen und das Bauen in die Höhe förderte und aktuell mit Volta Ost eine weitere Siedlung ankurbelt.
- der Grosse Rat, der das Basler Wohnraumfördergesetz erliess, das seit 1. Juli 2014 in Kraft ist und vorsieht, genossenschaftliches Wohnen durch Darlehen zu unterstützen, kostengünstige Wohnungen für besonders Bedürftige anzubieten, den Abbruchschutz zugunsten von Neubauten zu lockern. Da das Gesetz erst seit einem halben Jahr in Kraft ist, gibt es noch kaum Erfahrungswerte.
- die SP und die Juso, die mit «Wohnen für alle» gemeinnütziges Wohnen und Bauen erleichtern wollen: Mittels Staatsstiftung soll der Kanton gemeinnütziges Wohnen aktiv fördern und Raum für Klein- und Kreativgewerbe anbieten. Unterstützt wird die Initiative auch von bestehenden privaten Wohngenossenschaften und Stiftungen.
- die Bürgerlichen (FDP, LDP, SVP, CVP), die «Wohnen für alle» ablehnen, aber dafür Steuererleichterungen für Hauseigentümer wollen, um die tieferen Mietpreise zu fördern.
- die Jungliberalen, die mit einer Containersiedlung am Rheinhafen nach Amsterdamer Vorbild Unterkünfte für Studierende schaffen wollen.
- die Stiftung «Habitat», unterstützt von SP, Grünen, Basta, EVP und Mieterverband, die mit der neuen Bodeninitiative fordert, dass Basel-Stadt sein Land nur noch im Baurecht abgeben kann und somit immer Liegenschaftsbesitzer bleibt.
- der Basler Mieterinnen- und Mieterverband, der mit eigenen Initiativen immer wieder für bezahlbaren Wohnraum eintritt.
- der Verein für Gassenarbeit Schwarzer Peter, der per eingereichter Petition fordert, Industrie- und Bürogebäude zu Wohnraum umzunutzen oder freie Flächen mit Wohncontainern zu bestücken.
- Zudem sind diverse weitere Vorstösse politischer Parteien im Grossen Rat behandelt worden oder hängig.
Tatsächlich ist die Jagd auf das Monster bislang nur mässig erfolgreich. Niemand konnte ihm den Kopf abschlagen, die Silberkugel, die es vertreibt, wurde noch nicht gegossen.
Mehr Bauen, um die Zuwanderung aufzufangen
Aber vielleicht ist es auch gar nicht zu bekämpfen. Vielleicht muss man mit ihm leben, sich mit ihm arrangieren und es in seine Höhle zurückjagen.
Wochenthema Wohnungsnot
Diese Woche beschäftigen wir uns mit der Wohnungsnot in Basel. Lesen Sie auch:
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Denn die Knappheit an Wohnungen lässt sich kurzfristig nicht beheben – weder durch einen Gesetzeserlass, noch durch eine staatliche Stiftung für gemeinnütziges Wohnen und Bauen.
Das sehen auch die Befürworter der Initiative «Wohnen für alle» so, auch wenn die Initiative mittelfristig Linderung bieten könne, wie SP-Grossrat René Brigger an der Medienkonferenz vergangene Woche sagte.
Auch HEV-Geschäftsführer Andreas Zappalà hat kein Rezept. Es führe kein Weg daran vorbei, mehr Wohnraum zu bauen und zu verdichten: «Bauen aber ist ein längerfristiger Prozess – und nicht gerade günstig.»