Messarbeit im kleinen Grenzverkehr

Im Grenzbereich wird auch unter besten Nachbarn besonders exakt gemessen.

1958 kam es beim Hüningerzoll zu dieser spektakulären Karambolage. Da zum Glück niemand verletzt wurde und die entgleisten Fahrzeuge (wenn auch nur äusserst knapp) auf Schweizer Boden blieben, liess sich zumindest der juristische Grenzfall vermeiden. (Bild: Kurt Wyss)

Aus dem Foto­archiv – Beinahe wäre aus der Kollision zwischen Dampfross und Drämmli auch noch eine Staatsaffäre geworden.

(Bild: Kurt Wyss)

Wer die Schuld daran trägt, ist 54 Jahre danach wohl kaum mehr von Bedeutung. Tatsache ist, dass «es» an einem Dreizehnten passierte, der im Jahre 1958 zwar kein Freitag, in der Zweiländerecke zwischen dem Elsass und der Schweiz jedoch immerhin ein spektakulärer Montag war. Tatsache ist ferner, dass sowohl der Lokomotiv- wie auch der Drämmliführer vor dem Unfall überzeugt davon waren, ihr Fahrsignal richtig gedeutet zu haben, was nach dem Unfall die Spekulation zur Wahrscheinlichkeit erhob, dass beide vom gleichen Signal sprachen, das jedoch keinesfalls ein gemeinsames war.

«Hüningerzoll: Anhänger wird von Dampflok gerammt», heisst es dazu beim unabhängigen Basler Tram-Portal, in der Rubrik «Ereignisse». Ohne die Schuldfrage abschliessend zu klären, steht dort weiter zu lesen: «Auf einer Dienstfahrt wurde der Anhänger B3 1324 von einer die Strasse querenden Dampf-Rangierlokomotive der Hafenbahn gerammt und umgeworfen.

Glücklicherweise war der Anhänger unbesetzt.» In einer anderen Quelle wird allerdings erwähnt, ein BVB-Mitarbeiter habe beim unsanften Rauswurf aus dem Anhängewagen ein paar Prellungen erlitten, während der Lokomotivführer nicht die geringste Blessur davontrug. Nur Sachschaden also, verbeultes Blech und etwas ramponiertes Holzmobiliar beim Tram, unbedeutende Kollisionsspuren beim Dampfross.

Messen und nochmals messen

Man hätte nun also problemlos zur Tagesordnung übergehen und die Spuren des Unfalls beseitigen können, wenn sich dieser nicht im unmittelbaren Grenzbereich zwischen zwei souveränen Staaten ereignet hätte. Wurde beim Crash etwa gar französisches Hoheitsgebiet verletzt, wurden Pflastersteine vor dem Grenzgebäude verschoben, französischer Teerbelag beschädigt?

Akribisch wurde auf beiden Seiten gemessen. Mehrmals, um auch den geringsten Zweifel auszuschliessen, der sich zur veritablen Staatsaffäre hätte ausweiten können. Man mass und man mass noch einmal. Unaufgeregt, aber genau. Schliesslich war man sich einig – auf beiden Seiten, in beiden Ländern. Sämtliche Unfallfahrzeuge, ob nur entgleist oder gar gekippt, waren noch auf Schweizer Boden zum Stillstand gekommen, wenn auch nur wenige Zoll vom französischen Zollgebäude und damit vom Nachbarstaat entfernt.

Die Untersuchung war damit eine rein schweizerische Angelegenheit; Frankreichs Ordnungshüter zogen sich vornehm zurück. Was ist auch 54 Jahre später noch aus dieser Bildgeschichte zu lernen? Wo die Vernunft das Mass bestimmt, führt längst nicht jeder Bums zum Krach. Nicht nur im kleinen Grenzverkehr.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30.03.12

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