Mit Fremdsprachen über den Tellerrand

Nidwalden hat eine Zurückstufung des Französischunterrichts abgelehnt. In anderen Kantonen stehen ähnliche Abstimmungen an. Doch wer die Landessprachen abwertet, sägt nicht nur am Zusammenhalt des Landes, sondern erschwert auch die Binnenmobilität.

Ein ueberparteiliches Komitee reicht die Initiative "eine Fremdsprache auf der Primarstufe" ein, vor dem Kantons-Regierungsgebaeude in Luzern, am Mittwoch, 17. September 2014 . Die kantonale Initiative verlangt, dass an den Primarschulen nur noch eine Fremdsprache unterrichtet wird. Welche Sprache das sein soll, laesst das Begehren offen. (KEYSTONE/Sigi Tischler) (Bild: Keystone/SIGI TISCHLER)

Nidwalden hat eine Zurückstufung des Französischunterrichts abgelehnt. In anderen Kantonen stehen ähnliche Abstimmungen an. Doch wer die Landessprachen abwertet, sägt nicht nur am Zusammenhalt des Landes, sondern erschwert auch die Binnenmobilität.

Kantonale Entscheide können von gesamtschweizerischer Bedeutung sein. Sicher gilt das für die Nidwaldner Abstimmung vom vergangenen Wochenende: Beinahe 62 Prozent der knapp 15’000 Abstimmungsteilnehmenden haben eine SVP-Initiative bachab geschickt, die nur noch eine Zusatzsprache im Lehrplan der Primarschule haben wollte. Das heisst: Es wäre in der Primarschule nur noch Englisch gelehrt worden, während Französisch erst auf der Sekundarstufe zum Zug gekommen wäre

Der erfolglose Vorstoss stammte von einer Partei, die stets so tut, als hätte sie das Schweizertum für sich gepachtet. Die Initiative war jedoch in doppelter Weise ausgesprochen unschweizerisch: Sie hätte sowohl eine Zurückstufung einer wichtigen Landessprache als auch eine Erschwernis für die gesamtschweizerischen Harmonisierungsbemühungen bedeutet.

Die Initiative entsprang dem sattsam bekannten Bedürfnis, sich als reaktionäre Volkspartei zu profilieren und sich als Verteidigerin des Föderalismus aufzuspielen. Dabei hat die gleiche Partei überhaupt kein Problem mit landesweiten Vereinheitlichungen, wenn es darum geht, den Sexualkundeunterricht restriktiver zu regeln. Dieser vom Basler SVP-Nationalrat Sebastian Frehner vorgebrachte Versuch ist im Nationalrat in der letzten Woche deutlich durchgefallen – mit 134 ablehnenden zu 36 Ja-Stimmen.

Die Minderheit fühlt sich respektiert

Die deutliche Absage nun auch in Nidwalden überraschte. Im Tessin, das bekanntlich ebenfalls zur schweizerischen Sprachenlandschaft gehört, spekulierte man über die Motive hinter dem erfreulichen Entscheid und vermutete eine selbstverpflichtende Erinnerung daran, dass Nidwalden zu den «Gründern» des Gebildes gehörte, das einmal die Eidgenossenschaft werden sollte.

Regierungsrat Christoph Eymann, Basler Bildungsdirektor und Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), stellte nach dem Nidwaldner Votum befriedigt fest: «Die Bewohner des kleinen Zentralschweizer Kantons haben über den kantonalen Tellerrand hinausgeblickt und eine gute Entscheidung getroffen.» Fast euphorisch und dankbar anerkennend waren die Stimmen aus der französischen Schweiz. Die jurassische Erziehungsdirektorin Elisabeth Baume-Schneider sprach sogar von einem grossartigen Resultat: «Die Minderheit wird respektiert.»

In der französischen Schweiz macht man sich zu Recht Sorgen, dass das Englische auf Kosten der Landessprachen-Kompetenz weiter bevorzugt werde. Im Alltag machen wir immer wieder die Erfahrung, dass Verständigung zwischen den Landesteilen mehr und mehr auf Englisch erfolgt. Im Kleinbereich der wissenschaftlichen Kommunikation nimmt die angelsächsische Sprache mittlerweile eine zentrale Position ein.

Der Nationalfonds spricht Englisch

Darum wollte der Schweizerische Nationalfonds SNF auf April 2015 für die Politikwissenschaft ein in den Naturwissenschaften längst selbstverständliches Obligatorium einführen, die Anträge für Fördergelder nur noch auf Englisch einzureichen. Opposition kam mit einer Petition von über 600 Unterschriften und Anfragen in den eidgenössischen Räten bezeichnenderweise aus der französischen Schweiz.

Eine Umfrage bei den direkt betroffenen Politologen ist inzwischen zugunsten des Nationalfonds ausgegangen, mit 53 zu 47 Prozent allerdings nicht gerade eindeutig. Die nun auf Oktober 2015 in Kraft tretende Regelung wird vom SNF damit begründet, dass zur Beurteilung der Gesuche wegen der Kleinheit des Landes oft im Ausland Experten beigezogen werden müssten.

Dennoch ist ein Gegenargument bedenkenswert: Professor Bernard Voutat, Politologe in Lausanne, wies im «Tages-Anzeiger» darauf hin, dass die Gesuchssprache den Inhalt stark beeinflusse: «Wenn ich über die Schweizer Fichen-Affäre forsche, bringt mich die englische Sprache weg von meinem Forschungsgegenstand.»

Forschung muss, wenn sie «Inland» betrifft, sicher auch gegen innen vermittelbar sein. Sie muss aber auch gegen aussen, also auch über diesen Tellerrand hinaus, anschlussfähig sein. Dabei können wir beim angesprochenen Beispiel bleiben: Wenn im Mai 2015 in Washington eine Tagung zur extensiven Überwachung durch Nachrichtendienste (Stichwort: NSA) durchgeführt und dabei auch auf die schweizerische Staatsschutzvariante eingegangen wird, geht es nicht ohne eine Übersetzung der Fichen-Affäre ins Angelsächsische.

Weitere Angriffe aufs Französisch stehen an

Wir haben es mit verschiedenen Tellerrändern zu tun, die mit unterschiedlichen, ja gegenläufigen Zielsetzungen überwunden werden sollten. Gegen aussen sollten wir nicht einen falschen Helvetismus pflegen, gegen innen aber sehr wohl die gesamtschweizerischen Verhältnisse im Auge behalten. Das Ziel sollte angesichts der Binnenmobilität eine Harmonisierung der Lehrpläne sein, in denen die Mehrsprachigkeit unseres Landes Berücksichtigung findet.

Da ist noch einiges an Widerstand zu überwinden. In Luzern fordert eine im Herbst 2014 eingereichte Volksinitiative ebenfalls nur noch eine Zusatzsprache in der Primarschule, im November folgte Graubünden, und im Kanton Basel-Landschaft ist ein Postulat hängig, das Französisch nur noch als Wahlfach sehen will. Und im Thurgau (einem SVP-Land) gilt die Abschaffung des Französischen auf das Jahr 2017 bereits als beschlossene Sache. Selber schuld, wer von einem Kanton in einen anderen zieht und die entsprechenden Umstellungsschwierigkeiten hat.

Die Kantone haben nur die Wahl zwischen der Selbstharmonisierung und der Harmonisierung durch den Bund.

Die Harmonisierungsgegner bringen gerne das Argument vor, dass es vielmehr die Vereinheitlichungsbemühungen seien, welche den nationalen Zusammenhalt strapazierten. Das erklärte die Thurgauer Erziehungsdirektorin Monika Knill (SVP) nach dem Nidwaldner Entscheid. Die Verfahrenswege sind in dieser Sache allerdings klar vorgegeben: Die Kantone haben nur die Wahl zwischen der Selbstharmonisierung und der Harmonisierung durch den Bund.

Sicher wäre der erste Weg zu bevorzugen, zumal der zweite Weg schon aus prinzipiellen Gründen Widerstand gegen das Diktat von Bern (den «Schulvogt») provozieren könnte. Eine Bundeslösung wäre zudem dem Referendum ausgesetzt und könnte zu einem unschönen Abstimmungskampf führen.

Das von der ehemaligen EDK-Präsidentin Isabelle Chassot (FR) geleitete Bundesamt für Kultur (BAK) hat in den letzten Tagen eine einfache Gesetzeslösung auf den Tisch gelegt, wonach die Kantone verpflichtet würden, mit dem Unterricht einer zweiten Landessprache auf der Primarstufe zu beginnen. Ob Englisch erste oder, was unwahrscheinlich ist, bloss zweite Zusatzsprache wäre, bliebe offen.

Drei Landessprachen für Kader des Bundes

Der Bund ist übrigens keine plattmachende Walze. Seit Oktober 2014 gilt für das Kader der Bundesverwaltung, dass man zwei Amtssprachen sprechen und eine weitere verstehen muss. Nicht erstaunlich, dass die schon zuvor geschaffene Stelle für Mehrsprachigkeit mit einer Frau und Tessinerin besetzt worden ist: Nicoletta Mariolini.

Zwei Bemerkungen zum Schluss: Wenn schon von der Mehrsprachigkeit der Schweiz die Rede ist, sollten vermehrt auch Überlegungen entwickelt werden, wie die vielen einwanderungsbedingten Zusatzsprachen gesellschaftlich wie wirtschaftlich genutzt werden könnten. Das ist ein grosses, leider weitgehend brachliegendes Potenzial.

Das Abstimmungsergebnis von Nidwalden war eine Niederlage der SVP. Die stets grossmäulige Partei reagierte darauf ziemlich kleinlaut. Der Nidwaldner SVP-Bildungsdirektor Res Schmid erklärte, auf den Heimathelden anspielend: Man habe mit der vorpreschenden Initiative «ein bisschen Winkelried» spielen wollen. Winkelried gilt gemeinhin als Figur eines Superpatrioten. Viel patriotischer war es in diesem Fall aber, dieses Spiel nicht mitzumachen.

 

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