Die Schweiz ist für einmal fast kein Sonderfall. Europaweit wird der öffentlich-rechtliche Status von Rundfunkanstalten infrage gestellt: vom Kosovo über Deutschland bis Spanien. Dies mit den bekannten Vorwürfen, dass diese Betriebe träge, verkrustet und überfinanziert seien und vor allem den jeweils ureigensten Bedürfnissen viel zu wenig entsprechen würden.
Die Schweiz ist insofern doch ein Sonderfall, als hier die Bürger und Bürgerinnen – direkte Demokratie sei Dank – über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abstimmen können.
Die Debatte um die No-Billag-Initiative, über die am 3. März entschieden wird, ist ungewöhnlich früh in Gang gekommen. Es sollte also genug Zeit für eine solide Meinungsbildung zur Verfügung stehen. Ein sorgfältiges Urteil ist in diesem Fall speziell erwünscht, denn es dürfte sich um die wichtigste Abstimmung des Jahres handeln.
Die Initiative will mit nicht deklarierten Gewinnabsichten das Geschäftsfeld privater Medienanbieter erweitern.
Die Initiative will die Gebührenerhebung im Namen des Bundes (Billag) sowie die Subventionierung von Radio- und Fernsehstationen verbieten. Senderechte sollen an Meistbietende verkauft werden. Wie man den Erläuterungen der Initianten entnehmen kann, geht der Vorstoss davon aus, dass Radio- und Fernsehangebote in Zukunft bei Bedarf privat abonniert würden, dass das Geld aber auch für ganz anderes ausgegeben werden könnte.
Die Absicht ist klar: Die Initiative will mit nicht deklarierten Gewinnabsichten das Geschäftsfeld privater Medienanbieter erweitern und tut dies mit Lockvogel-Argumenten: Man spare mit der Aufhebung der Zwangsgebühren mühsam verdientes Geld, das dann für den Kauf von Büchern, für Weiterbildung und Spenden an Hilfswerke zur Verfügung stünde. Rührend, diese vorgeblichen Anliegen derjenigen, die ihren Geschäftsbereich ausbauen wollen!
Dafür gibt es gängige, aber seltsame Wörter aus der Jägerwelt, wie eben den Lockvogel oder die Schlangenfängerei. Ein Köder wird ausgelegt, und die Falle schnappt zu. Eine andere Form der Täuschung suggeriert, dass bei einem Yes zu «No Billag» die SRG als privates Gebilde irgendwie weiterbestehen könne und/oder dass die Kantone bei einem Ja die dem Bund verbotene Finanzierung übernehmen könnten.
Schluss mit Rücksichtnahme
Dies ist von den Kantonen unmissverständlich verneint worden, hält aber manche Bürger und Bürgerinnen, die gerne diffusem Wunschdenken verfallen, nicht von der illusionären Meinung ab, dass die negativen Konsequenzen ihres Entscheids schon «irgendwie» ausgeglichen würden. Etwa so wie bei der Masseneinwanderungs-Initiative.
Dass ein erheblicher Teil der «gesparten» Moneten ins private Pay-TV fliessen würde, wenn man auch nur einen Teil des bisherigen SRF-Angebots haben möchte, wird nicht ausgedeutscht. Ebenso wenig die Konsequenz, dass auf regionale Versorgung und auf Ausgewogenheit der Angebote keine Rücksicht mehr genommen würde. Und dass zahlreiche der jetzt bestehenden Lokalradios, die von den bisherigen Abgaben teilsubventioniert werden, ihren Betrieb einstellen müssten.
Wenn es in den kleinen Kantonen noch echte Konservative gibt, dann könnten uns die vor der Abschaffung der SRG bewahren.
Bevor man erwägt, den neu vorgeschlagenen Art. 93 zuzustimmen, sollte man sich bewusst machen, wie die bisherige Version lautet, die ersetzt werden soll. Art. 93, Abs. 2 der Bundesverfassung hält fest:
«Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.»
Im vorgeschlagenen Ersatzartikel 93 steht nichts dergleichen, denn das ist den Initianten nicht wichtig.
Auf fragwürdige Weise durchgeführte Umfragen haben im vergangenen Monat erschreckend hohe Zustimmungswerte zur Initiative ergeben. Ein Hoffnungsschimmer geht für einmal von dem bei fortschrittlichen Initiativen störenden Ständemehr aus. Wenn es in den kleinen Kantonen noch echte Konservative gibt, dann könnten uns diese vor der Abschaffung der Nachfolgeeinrichtung von «Beromünster, Sottens & Monte Ceneri» bewahren.
Pluralistisch und ausgewogen
Diese Sendeanstalten haben vor und nach 1945 einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Kohäsion des Landes geleistet. Mit dabei war das Zeitzeichen von Neuenburg, das den Schweizer Familien signalisierte, wann sie mit dem Löffeln der Mittagssuppe beginnen sollten.
Zutreffend wird gesagt, dies seien tempi passati, weil sich die Verhältnisse inzwischen geändert haben. Muss die Schlussfolgerung daraus lauten, dass wegen der stark gewachsenen Tendenz, in einem bunten Markt der Möglichkeiten nur noch die Befriedigung der je besonderen Bedürfnisse anzustreben, eine stark pluralisierte Gesellschaft kein übergreifendes Medium benötige? Aus gesamtpolitischer Sicht sollte das Gegenteil gesichert werden: ein pluralistisches, aber auch eine Gesamtabdeckung und politische wie kulturelle Ausgewogenheit anstrebendes Programm.
Entlarvend ist, dass vorgebliche Verteidiger der Demokratie für die Beseitigung der medialen Demokratie weibeln.
NZZ-Chef Eric Gujer hat sich bemüssigt gefühlt, in seinem Wochenend-Leitartikel vom 15. Dezember 2017 gegen «Staatsmedien» zu polemisieren. Er bezeichnete die Erwartung, dass nur öffentlich-rechtliche Sender eine die sozialen Schichten und Sprachen verbindende Wirkung entfalten können, als «totalitär». Eher totalitär ist ein Modell, das auf ökonomisch uninteressante Teile der Gesellschaft nicht mehr Rücksicht nimmt. Welcher der Pay-Sender wird, um nur gerade dieses Beispiel zu nennen, die Nachrichten auch in Gebärdensprache vermitteln?
Totalitär? Das vormals noble Blatt, das einmal auf subtilen und differenzierten Sprachgebrauch Wert gelegt hat, sollte beim Einsatz solcher Vokabeln vorsichtiger sein. In der Konsequenz jenes Denkens könnte man Krankenkassenobligatorien (andernorts eben «Obamacare») oder Maturitätsstandards oder Einbürgerungsvorschriften ebenfalls als totalitär abtun.
Entlarvend widersprüchlich ist, dass Kräfte, die gern den Einheitspatriotismus propagieren, die nationale Identität auf ihre Fahne schreiben und sich gerne als Verteidiger der Demokratie ausgeben, in diesem Fall für die Etablierung von Ego-Medien und für die Beseitigung der medialen Demokratie weibeln. Sie tun es einerseits aus den genannten wirtschaftlichen Interessen. Sie tun es aber auch, weil sie damit leichter (wie Fox News in der USA) ihre beschränkten politischen Botschaften an den Mann und die Frau bringen können.
Egoismus beschädigt das eigene Leben, Grosszügigkeit gegenüber anderen verbessert die eigene Lebensqualität.
Einmal mehr wäre es falsch, wenn man mit einem Schuss vor den Bug bloss ein «Zeichen setzen» möchte, dass einem einiges nicht behagt, was SRF bietet. Es geht um mehr, es geht um die grundsätzliche Frage, wie wir unser Land verstehen wollen. Die Initiative will eine Einrichtung zerstören, welche im Dienste politischer Vielfalt arbeitet. Es wäre bedenklich, wenn der Ausgang der Abstimmung davon abhängen würde, welche Programmangebote (natürlich des Fernsehens, denn die ausgezeichneten Angebote des Radios spielten in der ganzen Debatte leider eine geringe Rolle) in der Zeit unmittelbar davor gefallen oder missfallen.
Ein Leserbriefschreiber, nicht ganz zufällig aus dem Zürcher Hinterland, verkündete mit Blick auf die SRG trotzig, er möchte aus «dieser Kirche» austreten. Die SRG ist aber keine Kirche, beruht nicht auf einem religiös definierten Wertesystem. Ein Vergleich mit dem Regiebetrieb Post wäre da stimmiger: Fabian Renz, Leiter der Bundeshausredaktion «Tages-Anzeiger»/«Der Bund», hat das Postulat einer gesamtgesellschaftlichen Solidarität gut veranschaulicht: Auch wenn er nicht mit dem Postauto nach Cumpadials GR fahre, wisse er, dass er es könnte – und er zeigt sich froh, dass es die Bewohner von Cumpadials können. «Es gibt ein Gut, das die Libertären mit ihrer Vision nicht anbieten können: Vertrauen, das Gefühl von Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Geborgenheit.»
In dieser Aussage schwingt die Einsicht mit, dass kruder Egoismus letztlich das eigene Leben beschädigt und Grosszügigkeit gegenüber anderen die eigene Lebensqualität verbessert.
Die Abstimmung vom 3. März wird nicht die letzte in dieser Sache sein.
Vielleicht erinnert man sich: Über die gleichen Grundsatzfragen haben wir im Juni 2015 schon einmal abgestimmt und es ist in der TagesWoche auch schon darüber nachgedacht worden. Das Abstimmungsresultat fiel damals äusserst knapp aus: 50,08 Prozent sagten Ja zum neuen Finanzierungsmodell für die SRG. 3696 Stimmen gaben den Ausschlag zugunsten der öffentlich-rechtlichen Medien. Basel-Stadt sagte mit 51,2 Prozent Ja zur RTVG-Revision.
Die Abstimmung vom 3. März wird nicht die letzte in dieser Sache sein. Sollte ein Ja obsiegen, wird die Auseinandersetzung um die schwierige Umsetzung weiterlaufen. Gibt es ein No zu «No Billag», dann könnte der versenkte SVP-Gegenvorschlag reaktiviert werden, der der SRG 200 Franken Jahresgebühren gewähren will, um minimale Leistungen anzubieten, zugleich aber alle Firmen von der Gebührenpflicht befreit.
Die direkte Demokratie wird uns weitere Vorstösse zu den öffentlich-rechtlichen Sendern bescheren, mit denen wir uns wohl oder übel werden auseinandersetzen müssen.