Vor etwas mehr als einem Jahr wurde ein Teil des ehemaligen Migrol-Areals am Basler Hafen polizeilich geräumt. Es war der Höhepunkt einer urbanen Widerstandsbewegung, die von Soziologen der Universität Basel und FHNW kritisch begleitet und analysiert wurde. Die Ergebnisse liegen nun in Form einer Studie vor.
Es gibt diese Zone in der Topografie Basel-Stadts, die einem roten Tuch gleicht. Daran zerren zwar diverse Parteien. Verantwortung übernehmen will aber dennoch niemand. Die Rede ist natürlich vom Basler Klybeckareal, das in den vergangenen Jahren unzählige Male die Titelseiten der Medien besetzte – und nun erstmals das Cover eines Buches ziert.
Es handelt sich dabei um eine Studie der Universität Basel und dem Institut für Sozialplanung und Stadtentwicklung der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW mit dem Titel: «Urbane Widerständigkeit am Beispiel des Basler Rheinhafen-Areals». Sechs Autorinnen und Autoren unter der Schirmherrschaft des Soziologen Ueli Mäder tragen darin verschiedene Aspekte zusammen, die in ihrer Gesamtheit den Problemfall «Rheinhafen» bilden.
Damit werden die Auseinandersetzungen um den Stadtteil erstmals zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Länger als ein Jahr haben sich die Verantwortlichen mit allen beteiligten Parteien auseinandergesetzt und über die teilnehmende Beobachtung bis zur quantitativen Umfrage keine Methode ausgelassen, um messbare Resultate zu erzielen.
Neue Erkenntnisse erst auf den zweiten Blick
Herausgekommen ist eine Studie, deren Erkenntnisgewinn nur wenig über das bisher Bekannte hinausreicht. Stück für Stück werden die Proteste nachvollzogen, die durch die Präsentation eines Stadtteils «New Basel» 2011 ihren Lauf nahmen und mit der Räumung eines Teils des besetzten Brache im Juli 2014 zu einem Höhepunkt kamen.
Bei genauerer Betrachtungsweise vermag die Studie den Ereignissen aber durchaus eine neue Dimension zu verleihen, indem sie den urbanen Widerstand auf raumsoziologische Theorien abstützt. Namentlich der französische Philosoph und Soziologe Henri Lefebvre (1901–1991) und der 2003 verstorbene Basler Soziologe Lucius Burckhardt bilden dafür die Grundlage, beide haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren Raumkonzepten für Aufruhr gesorgt.
Freiräume enstehen nicht am Reissbrett der Stadtplanung
Lebendige Städte, so die Prämissen, benötigen Freiräume. Freiräume, deren Koordinaten nicht am Reissbrett der Stadtplaner, sondern durch die spontane Aktion der Bevölkerung bestimmt werden. Und diese Aktion, so Lefebvre, kommt durch die Wahrnehmung zweier Rechte zustande: das «Recht auf Stadt» und das «Recht auf Differenz».
In der Verfassung sucht man nach beiden Rechten vergebens. Beide Rechte wurden aber von der Bevölkerung der Quartiere Klybeck und Kleinhüningen und insbesondere von den Aktivisten rund um den Wagenplatz mit Vehemenz eingefordert, wie die Studie zeigt.
Das Recht auf Stadt beschreibt die Aneignung des urbanen Raumes durch die Bewohner.
Das Recht auf Stadt beschreibt das Verlangen nach Mitbestimmung und Aneignung des urbanen Raumes durch die Bewohnerinnen und Bewohner der Quartiere. Die Entscheidungen und Organisationsvorgänge werden vom Staat weg zu den Menschen und damit in den lokalen Kontext verschoben. Die Menschen bestimmen selbst über den Gebrauchswert ihres Lebensraumes – und entziehen ihn damit dem Besitzanspruch des Staats, der mit seinen Kapitalinteressen vornehmlich den Tauschwert sieht.
Ein Tauschwert, der sich beispielsweise in Form von schicken Bürogebäuden, Hotels und Luxuswohnungen, kurz: dem Projekt Rheinhattan manifestiert. Die Interessengruppe «Klybeckinsel» kämpft dagegen und schreibt sich einen Ausspruch Burckhardts auf die Fahne: «Wir selber bauen unsere Stadt.»
Die Wagenleute beanspruchen ein Recht auf Differenz
Teil der IG Klybeckinsel sind auch die Bewohner des Wagenplatzes, die im Frühjahr 2013 nach einer «unsäglichen Odyssee» (O-Ton Studie) am Hafenareal «gestrandet» waren. Sie gehen einen Schritt weiter, indem sie am Diskurs um die Hafeninsel nicht mit Gegen- oder Alternativprojekten (Rheinhatten versenken, Vogelinsel) partizipieren, sondern physisch Stadtraum besetzen und ihn sich damit gewissermassen aneignen.
Sie beanspruchten ein Recht auf Differenz, ein Leben frei von Einordnungen in Kategorien, die ihnen durch die Gesellschaft oder dem Staat aufgezwungen werden.
Die Reaktion ist bekannt: Die Stadt tolerierte einen Teilaustritt aus der Normalität, bis durch die Erweiterung um «Uferlos» und «Hafenscharte» zu viel Freiraum in Anspruch genommen wurde. Das Experiment wurde beendet, oder: Das Recht auf Differenz wurde rückgebaut.
Objektive Darstellung als Antrieb zur weiteren Auseinandersetzung
Die Studie erschöpft sich allerdings nicht darin, die Deckungsgleichheit der Raum- und Widerstandstheorien mit den Handlungen der Aktivisten aufzuzeigen. Sie enthält überdies eine ganze Reihe von Interviews mit Interessenvertretern aller Parteien und statistischem Material zur Wahrnehmung der Hafen-Stadt. Den urbanen Widerstand rund um das Basler Hafenareal beschreibt sie nicht einfach als Blockade, sondern vielmehr als «soziale Bewegung und damit als Beteiligung an der Diskussion um gesellschaftliche Entwicklung».
Mit ihrer Studie wollen die Autorinnen und Autoren keine Handlungsanleitung liefern, sondern lediglich die «Sichtweisen der verschiedenen Player objektiv darstellen», heisst es in der Zusammenfassung. Aber vielleicht ist es genau diese Objektivität, die in den Diskussionen rund um das Rheinhafen Areal bisher zu kurz kam und die dem weiteren Verlauf der Dinge Auftrieb geben kann.
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Die Studie ist im Seminar für Soziologie (Petersgraben 27, Basel) zum Selbstkostenpreis von 15 Franken erhältlich. Die Autorinnen und Autoren der Studie sind: Reto Bürgin, Aline Schoch, Peter Sutter, Hector Schmassmann, Petra Huser, Nina Schweizer, Ueli Mäder. Der Beschreibungstext auf dem Buchrücken: