Ohne Freund und Partner

Frankreich belastet Flüge ab Basel nicht mit neuen Steuern – ein einsamer diplomatischer Erfolg. Denn Niederlagen sind zum Normalfall geworden für unser Land. Nun geht Aussenminister Didier Burkhalter mit einem Angebot an die EU in die Offensive. Bei den bürgerlichen Parteien kommt das nicht gut an.

Für die Schweiz wird das internationale Terrain immer rutschiger. (Bild: Nils Fisch)

Frankreich belastet Flüge ab Basel nicht mit neuen Steuern –ein einsamer diplomatischer Erfolg. Denn Niederlagen sind zum Normalfall geworden für unser Land. Nun geht Aussenminister Didier Burkhalter mit einem Angebot an die EU in die Offensive. Bei den bürgerlichen Parteien kommt das nicht gut an.

Der Erfolg im Streit mit Frankreich über neue Abgaben am EuroAirport (EAP) war so aussergewöhnlich und kam letzte Woche so überraschend, dass sich eine ganze Reihe von Schweizer Politikern mit ihm schmückte. Zum einen natürlich der Basler Regierungsrat und EAP-Verwaltungsrat Christoph Brutschin, der mit seiner kompromisslosen Haltung und der versteckten Drohung, im Gegenzug die Planungsarbeiten für einen Bahnanschluss an den Flughafen zu sistieren, empfindlich Druck ausüben konnte. Dann aber auch eine ganze Reihe von Politikern und Behördenmitgliedern in Bern und Basel bis hin zu CVP-Nationalrat Markus Lehmann, der in einer Medienmitteilung betonte, dass er sich mit einer Interpellation im Bundeshaus auch um das Einlenken Frankreichs verdient gemacht habe.

Es ist tatsächlich ungewöhnlich geworden, dass sich die Schweiz gegen einen anderen Staat, und sei er noch so befreundet, durchsetzen kann. Es ging beim Streit um etwas mehr als 14 Mil­lionen Euro, die die französische Zivilluftfahrtsbehörde per 1. Juli auf dem EuroAirport mit neuen Steuern einzutreiben gedachte. Sie hätten die Flüge um bis zu 15 Euro verteuert, auch jene, die ab Schweizer Seite fliegen. Dies wäre bei den Billigflügen, die in Basel-Mulhouse das grosse Geschäft ausmachen, offenbar so ins Gewicht gefallen, dass sich einzelne Fluggesellschaften überlegten, einen Teil ihrer Flüge über andere Destinationen abzuwickeln. Doch nun ist diese Gefahr gebannt, Frankreich verzichtet vorerst auf die neuen Steuern, die Schweiz hat sich durchgesetzt.

Ein bigottes Nein

Für einmal. In den letzten Jahren ein seltenes Ereignis, das sich ausgerechnet in derselben Woche abspielte, als der Nationalrat sich anschickte, mit dem Nein zum US-Banken-Deal ein Zeichen stolzer Souveränität in die USA zu schicken. Ein bigottes Nein allerdings, weil der Nationalrat den Bundesrat aufforderte, das, was er abgelehnt hatte, trotzdem zu tun. Nämlich den Banken zu ermöglichen, ihre Daten trotz offiziell noch geltendem Bankkundengeheimnis nach Amerika an die Justizbehörden zu schicken.

«Es ist eben schwierig geworden, die Souveränität zu verteidigen», sagt der aussenpolitisch versierte CVP-Frak­tionspräsident Urs Schwaller. Dass man Schritt für Schritt nachgeben müsse in den Verhandlungen mit anderen Staaten und Gemeinschaften, sei nicht nur beim Bankgeheimnis so, sondern auch in vielen anderen Bereichen.
Tatsächlich, die heiklen Dossiers stapeln sich hoch und höher. Da sind die Probleme mit der EU. Diese drängt ­entschieden darauf, dass die Schweiz die im Ausland erzielten Gewinne internationaler Konzerne nicht mehr tiefer besteuern darf als jene, die Firmen im Inland machen. Im Bemühen, die für Holdingfirmen steuerlich attrak­tive Schweiz zurückzubinden, greift die EU direkt in schweizerisches und kantonales Steuerrecht ein.

Zwar versucht Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, etwa mit Unterstützung der Basler Regierungsrätin Eva Herzog, mit der Unternehmenssteuerreform III eine Lösung anzubieten. Wie immer sie auch ausfallen wird, sie dürfte massive Auswirkungen auch auf den Finanzausgleich zwischen den Kantonen haben. «Doch ob wir wollen oder nicht», so Urs Schwaller, «wir müssen eine Lösung finden, sonst handeln wir uns andere Nachteile ein.»

Über kurz oder lang wird auch das Stromabkommen mit der EU zum Thema. Brüssel ist unerbittlich: Nur wenn die Schweiz alle bereits geltenden bilateralen Verträge ohne Wenn und Aber an das inzwischen veränderte EU-Recht anpasst, gibt es ein neues Abkommen. Der Fricktaler SVP-Nationalrat Maximilian Reimann, der seit ­Jahren in der Aussenpolitischen Kommission sitzt, sagt zwar: «Der Strom fliesst auch ohne Abkommen.» Doch die Elektrizitätswirtschaft drängt darauf, die gleichen Bedingungen zu erhalten wie die Konkurrenz im Ausland – das geht nur mit einem neuen Vertrag.

Auch ohne Stromabkommen macht die EU Druck, dass die Schweiz ihre Gesetze in allen Bereichen, in denen die bilateralen Verträge gelten, an ihr Recht anpasst. Am Mittwoch hat Bundesrat Didier Burkhalter ein erstes Entgegenkommen signalisiert und auch vorgeschlagen, dass die Schweiz in Streitfällen künftig die Urteile des EU-Gerichtshofs akzeptieren soll. Dies, um weiterhin von den Vorteilen der geltenden Verträge zu profitieren. Burk­halters Vorschlag hat bei den bürgerlichen Parteien entsetzte Reaktionen ausgelöst , gehört doch das Verjagen fremder Richter zu den Gründungsmythen der Schweiz.

Die Grenzen der Souveränität

Doch nicht nur die EU zeigt der Schweiz die Grenzen ihrer Souveränität. Auch einzelne Länder ignorieren die Eidgenossenschaft zusehends. Die mehr als 24 Milliarden Franken teure Neat wird als schnelle Nord-Süd-Achse für den Schienenverkehr in vier Jahren fertig erstellt sein, doch Deutschland und Italien denken nicht daran, die Zufahrtsstrecken in nützlicher Frist wie einst vereinbart auszubauen. Damit es wenigstens in Italien vorwärtsgeht, will der Bundesrat 230 Millionen Franken im Nachbarland investieren.

Oder: Nach jahrelangem Streit mit Deutschland über den Fluglärm, den der Luftverkehr des Zürcher Flug­hafens verursacht, hiessen National- und Ständerat einen Staatsvertrag gut, den die Deutschen einst vorgeschlagen hatten. Nun scheinen sie aber nichts mehr von den Abmachungen wissen zu wollen und ignorieren den Vertrag.

Die Liste liesse sich beliebig verlängern, und es verwundert nicht, wenn Reimann sagt: «Das politische Verhältnis zu einzelnen Ländern, insbesondere zu den USA und zu Deutschland, war seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie so prekär und mit bilateralen Problemen belastet wie heute.» Was Deutschland anbetrifft, führt das Reimann auf die pendente Flughafenfrage, das gescheiterte Abgeltungssteuerabkommen, den CD-Datenklau und die Nichteinhaltung der Bautermine beim Neat-Zubringer zurück, aber auch auf den Neid, den die Deutschen angesichts des Erfolgs des Schweizer Weges ohne EU/EWR-Beitritt empfinden. Anders sieht es Urs Schwaller: «Wir zahlen den Preis dafür, dass wir als Nichtmitglied der EU und des EWR an keinen Verhandlungstischen sitzen. Wir haben nicht nur bald keine Freunde, sondern auch bald keine Partner mehr.»

Fatale Selbstgenügsamkeit

SP-Aussenpolitiker Andreas Gross, der seit 18 Jahren im Europarat sitzt, analysiert die Isolation so: «Heute rächt sich die jahrzehntelange Selbstgenügsamkeit, welche die Schweizer Politik seit den 1950er-Jahren beherrscht.» Die Schweiz habe es verpasst, ihre Aussenpolitik derjenigen anderer Länder anzugleichen, die sie im Zuge der Globalisierung grundlegend neu ausgerichtet hätten. «Die Aussenpolitik aller Staaten wird zwar immer noch von nationalen Interessen dominiert, aber strukturell findet sie vor allem in transnationalen, mehr oder weniger dichten multinationalen Organisationen und Bündnissystemen statt: von der EU über die Nato, OECD, G-8, G-20.»

Zudem gebe es Gruppen von Staaten, die einander speziell nahe stehen und helfen, etwa Benelux, die skandinavischen oder die baltischen Staaten, Deutschland und Frankreich, Deutschland und Polen und weitere mehr. «Die Schweiz ist da nirgends richtig dabei. Sie ist immer wieder und an den meisten Orten mutterseelenallein.»

Gross, ein erklärter EU-Beitrittsbefürworter, plädiert nun nicht einmal in erster Linie dafür, dass die Schweiz der EU beitreten solle. Vielmehr brauche es mehr internationale Kontakte, transnationale Empathie und ein entsprechendes Know-how. «Doch es wird Jahre dauern, bis sich dann die Verhältnisse ändern.» Und bis sich aus­senpolitische Erfolge wie etwa jener mit den nicht eingeführten Steuern am EuroAirport wiederholen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.06.13

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