Sie überwachen einen Waffenstillstand, der keiner ist: Bereits seit zwei Jahren sind OSZE-Beobachter im Donbass im Einsatz. Doch vor allem in den Separatistengebieten schlägt ihnen viel Widerstand entgegen.
Die Stadt Horliwka, eine Autostunde nördlich von Donezk. Es ist ein milder Wintertag Ende Februar, als der Konvoi mit den gepanzerten Autos und den wehenden Fahnen mit dem blauen Schriftzug der OSZE im Stadtzentrum vorfährt. Alte Frauen stehen vor einer ehemaligen Bankfiliale Schlange, sie warten auf die Auszahlung ihrer Pension. Matthias Kock, Teamleiter des OSZE-Stützpunktes in Horliwka, mischt sich unter die Leute. Sofort bildet sich eine Menschentraube um ihn. Eine Mitarbeiterin übersetzt, über welche Nöte die Bewohner klagen.
Sie sind die Chronisten des Krieges: Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) sind seit zwei Jahren in der Ostukraine im Einsatz. Sie sollen den Abzug schwerer Waffen und die Feuerpause überwachen. Eine Feuerpause, die keine ist: Das Minsker Friedensprotokoll schreibt eine Pufferzone von 30 Kilometern zwischen den Stellungen der ukrainischen Armee und den pro-russischen Separatisten entlang der Kontaktlinie vor.
In diesem Winter sind sich die Konfliktparteien aber wieder gefährlich nahe gerückt. Hunderte Explosionen werden von der OSZE jeden Tag gezählt. «Eine hohe Zahl von Verstössen gegen die Waffenruhe» – mit diesen Worten beginnen erneut die OSZE-Berichte zur Ukraine. Von den heftigsten Kämpfen seit dem vergangenen Herbst sprach zuletzt auch der Leiter der Beobachtermission in der Ukraine, Ertugrul Apakan, in einem Statement.
Am Samstag sind fünf OSZE-Beobachter in Showanka unter Beschuss geraten, es wurde niemand verletzt. Es war der zweite Beschuss innerhalb weniger Tage.
Vertrauensbildende Massnahme
In Horliwka sind die OSZE-Beobachter erst seit Kurzem fest stationiert. Im Dezember haben sie sich in einem Hotel auf zwei Stockwerken eingemietet. Doch nicht immer ist es eine einfache Mission. Vor allem in den Separatistengebieten, wie hier in Horliwka, schlägt den Beobachtern mit ihren weissen Helmen und den blauen Jacken viel Misstrauen und Frust entgegen. Den heutigen Besuch vor der Bank würde man im Managementsprech wohl eine vertrauensbildende Massnahme nennen.
Während die Frauen über ihre Geldnöte klagen, kommt ein Mann und schimpft: «Was steht ihr hier rum? Eine Bekannte hat mir gerade am Telefon gesagt, dass ihr Haus in Saizewe bombardiert wird.» Saizewe ist ein zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischer Armee seit Wochen heftig umkämpftes Dorf, wenige Kilometer von Horliwka entfernt. Dort liegt auch ein Checkpoint zum Übergang in das ukrainisch kontrollierte Gebiet, der zuletzt wegen Beschuss tagelang geschlossen war.
Die Separatisten werfen den blau-weissen Beobachtern vor, den Beschuss durch ukrainische Streitkräfte zu wenig zu verfolgen.
Die OSZE-Beobachter notieren die Adresse und fahren ab. «Es ist unsere Aufgabe, ihnen zuzuhören», wird Teamleiter Kock das Zusammentreffen später kommentieren. «Wir sagen ihnen, dass wir uns dafür einsetzen, den Checkpoint zu öffnen. Und dann fangen sie an zu realisieren, dass wir etwas für sie tun.»
Das Misstrauen gegen die OSZE-Sondermission zur Überwachung des Minsker Waffenstillstands ist vor allem in den Separatistengebieten gross – genährt durch die russische Propaganda, welche die Organisation aus 57 Mitgliedsländern, zu denen auch Russland gehört, als westliche Spione schmäht. Der Separatisten-Militärsprecher Eduard Basurin wirft den blau-weissen Beobachtern immer wieder öffentlichkeitswirksam vor, den Beschuss durch ukrainische Streitkräfte zu wenig zu verfolgen.
«Sie sehen alles einfach nur aus der Perspektive der Ukraine», empört sich auch Oleg, ein Bewohner von Horliwka, der wenige Meter weiter über den Leninplatz schlendert. «Alles andere will die OSZE nicht sehen.» Manchmal schlägt das Misstrauen gegen die OSZE-Beobachter, die immer unbewaffnet sind, auch in Gewalt um. Wie im vergangenen Sommer, als es in Donezk einen Brandanschlag auf vier OSZE-Fahrzeuge gab.
Beobachten statt entscheiden
Nach Aussagen der OSZE sind es aber gerade die pro-russischen Separatisten selbst, die die Beobachter an ihrer Arbeit hindern. «Immer wieder schränken die sogenannten Donezker und Luhansker Volksrepubliken den Zugang für OSZE-Beobachter ein, was unserem Mandat und der Minsker Vereinbarung widerspricht», klagte dieser Tage auch der Vize-Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, Alexander Hug, in einer Pressekonferenz. Insgesamt sind auf beiden Seiten der Frontlinie in der Ostukraine knapp 600 internationale Beobachter im Einsatz.
Ernüchterung herrscht oft auch darüber, dass die OSZE eben nur Beobachter und keine Friedenstruppe sind. «Sie schreiben einfach nur alles auf – aber was haben wir schon davon?», fragt Galina, eine Pensionistin vor der Bank. «Sie können nur beobachten, aber entscheiden können sie nichts.»