Startschuss zur Schlacht um den direkten Steuerabzug

Der freiwillige direkte Steuerabzug vom Lohn kommt in Basel-Stadt vor den Grossen Rat – und er hat dort gute Chancen. «Das wichtigste Schuldenpräventionsprojekt», sagen Befürworter. Doch sie wissen: Es wird ein harter Kampf, auf den die ganze Schweiz schaut.

Freiwilliger direkter Steuerabzug: Für viele die Ideallösung, für andere ein rotes Tuch. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Grosse Vorteile für Personen mit und ohne Steuer­schulden, Arbeitgebende und Staatshaushalt – so beurteilt die Mehrheit der grossrätlichen Wirtschafts- und Abgabekommission (WAK) den von SP-Grossrat Rudolf Rechsteiner per Motion vorgeschlagenen freiwilligen direkten Steuerabzug. Im am Freitag veröffentlichten Bericht wird der grundsätzliche Nutzen des neuen Steuerverfahrens als unbestritten bezeichnet.

https://tageswoche.ch/wirtschaft/alles-was-sie-ueber-den-direkten-steuerabzug-vom-lohn-wissen-muessen/

Eine Kommissionsminderheit sieht das anders: Sie vertritt laut Ratschlag an den Grossen Rat, der über die Einführung des freiwilligen Steuerabzugs bestimmen wird, die Ansicht, dass Arbeitgeber unnötigerweise «beübt» würden – und dass «hohe Kosten» entstünden, die «zum potentiellen Nutzen in keinem Verhältnis stehen».

«Offenbar sollen die Leute Probleme haben mit den Steuern, damit man gegen den Staat Stimmung machen kann.»
Rudolf Rechsteiner

«Wir hatten grosse und positive Diskussionen», sagt Motionär und WAK-Mitglied Rudolf Rechsteiner zur TagesWoche. «Aber ich musste feststellen: Für Bürgerliche ist der freiwillige Direktabzug der Steuern vom Lohn ein ideologisches Pièce de Résistance.» Es gehe, so Rechsteiner, «offenbar oft einfach darum, dass die Leute Probleme haben sollen mit Steuern, damit man gegen den Staat Stimmung machen kann».

Man sei daran, sich «auf eine Kampagne einzustellen», so Rechsteiner. «Der Widerstand aus dem bürgerlichen Lager ist gross – und wir werden aus der ganzen Schweiz aufmerksam beobachtet. Wie in der Drogenpolitik kann ein Kanton auch bei diesem Thema mit gutem Beispiel vorangehen», sagt der alt Nationalrat.

Bürgerliche werden, sollte der Grosse Rat die neue freiwillige Regelung einführen, aller Voraussicht nach das Referendum ergreifen. «Wir lassen uns diese Option noch offen», bestätigt Frank Linhart, Sprecher des Basler Arbeitgeberverbands, gegenüber der TagesWoche. Man warte zuerst den Entscheid des Grossen Rates ab.

Die SVP Basel-Stadt kündigt ein Referendum bereits an: «Sollte der Vorschlag eine Mehrheit finden, wird die SVP dagegen das Referendum ergreifen», schreibt sie in einer Medienmitteilung. Arbeitgeber würden «unnötig mit bürokratischem Aufwand belastet und Arbeitnehmer bevormundet», so die Partei in ihrem Communiqué.

Zehntausend Betroffene, Tausende Lohnpfändungen

Die Probleme der Steuerschuldner werden aus Sicht des Arbeitgeberverbands mit dem Verfahren «nicht gelöst», so Linhart. Er ist der Ansicht, dass «diejenigen, die wissen, dass sie Mühe haben, ihren Finanzhaushalt in den Griff zu bekommen» sich vom direkten Steuerabzug befreien lassen werden. Ausserdem könne man ja schon heute regelmässig einzahlen – per Dauerauftrag.

Rudolf Rechsteiner spricht dagegen von einer «Epidemie». Mit dem Direktabzug könne man «auf einfache Weise Leid und Not verhindern.» Denn die «Epidemie der Steuerbetreibungen ist für niemanden gut: Nicht für die Betriebenen, nicht für die Arbeitgeber und nicht für die Verwaltung, die einen riesigen Aufwand damit hat.»

Mit Steuerschulden und Steuerschuldnern kennt sich Agnes Würsch, Verantwortliche Prävention der Plusminus Budget- und Schuldenberatung in Basel, bestens aus. «Steuerschulden sind das Schuldenproblem Nummer eins in der Schweiz – sowohl, wenn es um die Anzahl Betroffener als auch um die Höhe der geschuldeten Beträge geht», sagt sie.

Steuerschulden sind das Problem Nummer eins.

Die Zahlen sprechen für sich. «Es geht um rund 9000 Betreibungen im Kanton Basel-Stadt, allein wegen der Einkommenssteuern.» Und das seien mitnichten einfach «notorische Steuersünder», sagt Würsch: «Die meisten sind einfach Menschen, die wegen eines unvorhersehbaren Ereignisses – Jobverlust, Unfall, Scheidung etc. – oder weil sie ihre Finanzen nicht gut überschauen, in Schulden geraten sind». Die Menschen litten stark unter ihrer Schuldenlast.

Ein freiwilliger, direkter Abzug der Steuern vom Lohn wäre für Würsch deshalb «das grösste und wichtigste Schuldenpräventionsprojekt». Dieser Ansicht ist auch Rudolf Rechsteiner: «Man muss sich da nichts vormachen: viele Leute richten ihre Ausgaben nach der Liquidität auf dem Lohnkonto.» Was da ist, werde auch ausgegeben – und mit dem verfügbaren Einkommen verwechselt. «Nach 12 oder 15 Monaten kommt dann die dicke Steuerrechnung, und dann fangen die Probleme an.»

Das kennt die Beraterin aus der Praxis nur zu gut. Agnes Würsch: «In Basel kann man zwei Jahre arbeiten und Lohn erhalten, ohne die dazugehörigen Steuern bezahlt zu haben.» Das sei «wie wenn man einem Kind einen Lollipop hinlegt, und dann noch einen und noch einen – und wenn es zwölf sind, dann nimmt man sie alle weg. Das ist doch ein absurdes System!» Ein monatlicher Direktabzug sei «viel cleverer».

«Unbaslerische» ideologische Diskussion

Das heutige Steuerinkassosystem ist laut Würsch «verschuldungsfreundlich und -fördernd» – es wäre vielen Menschen geholfen, mit einem «einfachen und übersichtlichen Direktabzug».

Barbara Gutzwiller vom Arbeitgeberverband sagt, die Steuerpflichtigen würden vom neuen System «entmündigt», obwohl «die meisten ihren Obliegenheiten korrekt nachkommen». Ausserdem würden «Arbeitgeber zu Handlangern der Steuerverwaltung».

Solche «Argumente» würden bloss «zeigen, dass die Gegenseite einen ideologischen Kampf führt», sagt Agnes Würsch. Das System sei schliesslich freiwillig: «Sie reden von der Selbstdeklaration des Staatsbürgers auf Augenhöhe mit dem Staat – dabei  hat der Arbeitgeber längst den Lohnausweis an die Steuerverwaltung geschickt und diese weiss dementsprechend, was ich verdient habe.»

Rudolf Rechsteiner betont ebenfalls, es gehe beim neuen System «überhaupt nicht um höhere Staatseinnahmen, sondern um Schuldenvermeidung und um eine konsumentenfreundliche Lösung der geschuldeten Steuerzahlung». Und es sei ja vollkommen freiwillig: «Wer nicht will, kann dies laut Gesetz einfach dem Arbeitgeber mitteilen, dann darf er die Steuervorauszahlung nicht automatisch vom Lohn abziehen. Aber die Möglichkeit, das direkt mit der Lohnauszahlung zu tun, die hilft vielen», sagt Rechsteiner.

Die Heftigkeit der Gegenwehr auf bürgerlicher Seite gebe ihm zu denken. Er spricht von einer «ideologischen Fixierung», die verhindere, dass Leerläufe auf verschiedenen Ebenen, die viel kosteten, vermieden werden könnten. Rechsteiner: «Was ich noch nie erlebt habe: Dass von Seiten der Arbeitgeber überhaupt keine Bereitschaft zum Dialog oder zu einem Kompromiss besteht.» Von Anfang an habe man «abgeblockt beim Arbeitgeberverband, hörte uns nicht einmal zu. Das ist meines Erachtens unbaslerisch.»

Normalerweise suche man in Basel «über die Parteigrenzen hinweg eine Lösung, wenn ein so gravierendes Problem besteht wie die jährlich fast 10’000 Betreibungen wegen Steuern und die über 3000 Lohnpfändungen».

Rechsteiner lässt auch das Argument nicht gelten, dass für Arbeitgeber ein nicht bewältigbarer Aufwand entstehe: «Man gibt den Abzug einmal im Lohnprogramm ein, genau wie die AHV- und die anderen Abgaben auch, und die Sache ist erledigt.» Die Arbeitgeber «bekommen dafür sogar noch eine Provision.» Dass sie sich «unter diesen Bedingungen noch immer gegen einen solchen Versuch aussprechen, der Notlagen mindern kann, empfinde ich als destruktiv.»

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